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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Ueber Unechtheit und Ursprung der Mtmöek wM".
2.

Die Natmöes sind ein Buch, in welchem die Hingebung an das Laster als
Lebensweisheit, die Täuschung der Menschen in der Politik und im Privat¬
leben als das große Regierungsmittel, und schließlich, wo die Täuschung nicht
ausreicht, die Anwendung von Dietrich und Gift gepredigt wird. Daneben
Verachtung der Literatur, Begünstigung der Liederlichkeit in der weiblichen Ju¬
gend, außerdem das Meiste, was man sonst in einer Blumenlese von Lastern
und Gemeinheiten austreiben mag.

Friedrich der Große hat von der Jugendzeit an. in welcher er "mein Volk
ist mein Gott!" ausrief, bis zu jenem Ausspruche seines vereinsamten Alters,
"daß er müde sei über Sklaven zu herrschen", vielfach seine Ansichten über
Menschen und Dinge gewechselt, er hat in seinem Streben nach Erkenntniß
niemals einen Werth aus sogenannte Consequenz gelegt, -- zu welchem Zeit¬
punkte aber hätte er jemals in seinen zahlreichen Schriften oder Briefen jene
in den NÄtiu6es enthaltenen Grundsätze ausgesprochen? -- Er schrieb gern,
er schrieb viel. Seine Werke gestatten ein Urtheil über die Textur seines Gei¬
stes, die Entwickelung und Umbildung seines Wesens von der Jugend bis in
das höchste Greisenalter, wenige Seelen liegen einer spätern Zeit so offen.

Sir I. Acton, der neue Herausgeber der Nutinoes, hat darauf eine Antwort
bereit: Alles was Friedrich der Große sonst geschrieben habe, sei für die Oeffent-
lichkeit bestimmt gewesen. Hier haben wir aber seine wirklichen und geheimsten
Gedanken. "Er wollte nicht," sagt Herr Acton, "daß sein Nachfolger wie die
übrige Welt in Unwissenheit bleiben sollte. Er glaubte, daß nichts als
treue Befolgung seines Beispiels den Staat, den er ausgerichtet
hatte, erhalten könne."

Also alles Andere in Friedrich ist Heuchelei, hier ist Wahrheit.

Carlyle sagt von Friedrich: "Er ist immer er selbst, wirklich und ganz!
er meint immer, was er sagt, er begründet seine Handlungen auf das, was
er für Wahrheit erkannt hat." Herr Acton sagt uns dagegen: "Sein ganzes
Leben war bis auf die kleinsten Details studirt mit der Absicht die Welt zu
täuschen und zu blenden."

Der König ist schon während seines Lebens in entgegengesetzten Richtungen
beurtheilt worden. Seine Schlachten, seine Verse, seine religiösen und Po"
Mischen Grundsätze erweckten ihm an einigen Stellen Europas den bittersten


Ueber Unechtheit und Ursprung der Mtmöek wM«.
2.

Die Natmöes sind ein Buch, in welchem die Hingebung an das Laster als
Lebensweisheit, die Täuschung der Menschen in der Politik und im Privat¬
leben als das große Regierungsmittel, und schließlich, wo die Täuschung nicht
ausreicht, die Anwendung von Dietrich und Gift gepredigt wird. Daneben
Verachtung der Literatur, Begünstigung der Liederlichkeit in der weiblichen Ju¬
gend, außerdem das Meiste, was man sonst in einer Blumenlese von Lastern
und Gemeinheiten austreiben mag.

Friedrich der Große hat von der Jugendzeit an. in welcher er „mein Volk
ist mein Gott!" ausrief, bis zu jenem Ausspruche seines vereinsamten Alters,
„daß er müde sei über Sklaven zu herrschen", vielfach seine Ansichten über
Menschen und Dinge gewechselt, er hat in seinem Streben nach Erkenntniß
niemals einen Werth aus sogenannte Consequenz gelegt, — zu welchem Zeit¬
punkte aber hätte er jemals in seinen zahlreichen Schriften oder Briefen jene
in den NÄtiu6es enthaltenen Grundsätze ausgesprochen? — Er schrieb gern,
er schrieb viel. Seine Werke gestatten ein Urtheil über die Textur seines Gei¬
stes, die Entwickelung und Umbildung seines Wesens von der Jugend bis in
das höchste Greisenalter, wenige Seelen liegen einer spätern Zeit so offen.

Sir I. Acton, der neue Herausgeber der Nutinoes, hat darauf eine Antwort
bereit: Alles was Friedrich der Große sonst geschrieben habe, sei für die Oeffent-
lichkeit bestimmt gewesen. Hier haben wir aber seine wirklichen und geheimsten
Gedanken. „Er wollte nicht," sagt Herr Acton, „daß sein Nachfolger wie die
übrige Welt in Unwissenheit bleiben sollte. Er glaubte, daß nichts als
treue Befolgung seines Beispiels den Staat, den er ausgerichtet
hatte, erhalten könne."

Also alles Andere in Friedrich ist Heuchelei, hier ist Wahrheit.

Carlyle sagt von Friedrich: „Er ist immer er selbst, wirklich und ganz!
er meint immer, was er sagt, er begründet seine Handlungen auf das, was
er für Wahrheit erkannt hat." Herr Acton sagt uns dagegen: „Sein ganzes
Leben war bis auf die kleinsten Details studirt mit der Absicht die Welt zu
täuschen und zu blenden."

Der König ist schon während seines Lebens in entgegengesetzten Richtungen
beurtheilt worden. Seine Schlachten, seine Verse, seine religiösen und Po"
Mischen Grundsätze erweckten ihm an einigen Stellen Europas den bittersten


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[0508] Ueber Unechtheit und Ursprung der Mtmöek wM«. 2. Die Natmöes sind ein Buch, in welchem die Hingebung an das Laster als Lebensweisheit, die Täuschung der Menschen in der Politik und im Privat¬ leben als das große Regierungsmittel, und schließlich, wo die Täuschung nicht ausreicht, die Anwendung von Dietrich und Gift gepredigt wird. Daneben Verachtung der Literatur, Begünstigung der Liederlichkeit in der weiblichen Ju¬ gend, außerdem das Meiste, was man sonst in einer Blumenlese von Lastern und Gemeinheiten austreiben mag. Friedrich der Große hat von der Jugendzeit an. in welcher er „mein Volk ist mein Gott!" ausrief, bis zu jenem Ausspruche seines vereinsamten Alters, „daß er müde sei über Sklaven zu herrschen", vielfach seine Ansichten über Menschen und Dinge gewechselt, er hat in seinem Streben nach Erkenntniß niemals einen Werth aus sogenannte Consequenz gelegt, — zu welchem Zeit¬ punkte aber hätte er jemals in seinen zahlreichen Schriften oder Briefen jene in den NÄtiu6es enthaltenen Grundsätze ausgesprochen? — Er schrieb gern, er schrieb viel. Seine Werke gestatten ein Urtheil über die Textur seines Gei¬ stes, die Entwickelung und Umbildung seines Wesens von der Jugend bis in das höchste Greisenalter, wenige Seelen liegen einer spätern Zeit so offen. Sir I. Acton, der neue Herausgeber der Nutinoes, hat darauf eine Antwort bereit: Alles was Friedrich der Große sonst geschrieben habe, sei für die Oeffent- lichkeit bestimmt gewesen. Hier haben wir aber seine wirklichen und geheimsten Gedanken. „Er wollte nicht," sagt Herr Acton, „daß sein Nachfolger wie die übrige Welt in Unwissenheit bleiben sollte. Er glaubte, daß nichts als treue Befolgung seines Beispiels den Staat, den er ausgerichtet hatte, erhalten könne." Also alles Andere in Friedrich ist Heuchelei, hier ist Wahrheit. Carlyle sagt von Friedrich: „Er ist immer er selbst, wirklich und ganz! er meint immer, was er sagt, er begründet seine Handlungen auf das, was er für Wahrheit erkannt hat." Herr Acton sagt uns dagegen: „Sein ganzes Leben war bis auf die kleinsten Details studirt mit der Absicht die Welt zu täuschen und zu blenden." Der König ist schon während seines Lebens in entgegengesetzten Richtungen beurtheilt worden. Seine Schlachten, seine Verse, seine religiösen und Po" Mischen Grundsätze erweckten ihm an einigen Stellen Europas den bittersten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/508>, abgerufen am 25.11.2024.