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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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ich freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen und Sie in unserm Lande
zu sehen. Die londoner Times ist eine der größten Mächte der Welt, ja ich
weiß in der Tink nicht, was viel mehr Macht hat, ausgenommen vielleicht
der Mississippi. Ich freue mich, daß Sie Gesandter dieser Großmacht sind."
Und ein paar Tage später that die "erste Dame der Union" dem Spccial-
corrcspondmten in Williards Hotel die Ehre an, ihm ein prächtiges Bouquet
und eine Karte mit Mrs. Lincolns Empfehlungen sowie eine zweite Karte
zu senden, welche die Anzeige enthielt, daß Mrs. Lincoln um drei Uhr
empfange.

Als Russell dieser Einladung Folge leistete, traf er die Frau Präsidentin
bereits in Positur, ihre Gäste zu empfangen. "Sie ist eine Vierzigerin und
von Mittelgroße sowie von einer Drallhcit, die schon in die ihren Jahren
natürliche Wohlbeleibtheit übergeht. Ihre Züge sind gewöhnlich, ihre Nase
wie ihr Mund von ordinärem Schnitt und ihre Manier und Haltung unbehol¬
fen, doch gesteift durch das Bewußtsein, daß ihre Stellung von ihr verlangt,
etwas mehr zu sein als die einfache Mrs. Lincoln, die Frau des Advvcaicn
aus Illinois. Allzuhänsig und fast in jedem Satze gebraucht sie das Wort
"Lir", welches jetzt fast zum Amerikanismus geworden ist und auch edler nur
auf gewisse Classen sich beschränkt, während es früher in England ebenso ge¬
wöhnlich war. Ihr Anzug war sehr prunkvoll und von prahlenden Farben.
Sie hanthicrtc sehr energisch mit einem Fächer, wobei sie einen runden wohl¬
geformten Arm .zeigte, und war mit einigen einfachen Juwelen geschmückt.
Mrs. Lincoln überraschte mich durch den augenscheinlichen Wunsch, angenehm
zu erscheinen, und ich gestehe, ich war angenehm enttäuscht dadurch, da die
secessionisüschen Damen Washingtons sich an Anekdoten ergötzt hatten, welche
hiernach kaum aus Thatsachen begründet sein konnten.

Bald nachher trat mit schlotterigen, wackeligem, unregelmäßigem, fast
unsicherem Gange ein laugaufgeschvsscuer, hagerer, dürrer Mann herein, be¬
trächtlich mehr als sechs Fuß hoch, mit vom übergebcugtcn Schultern und
langen baumelnden Armen, die in Hände von außerordentlichem Dimensionen
endigten, welche indeß an Größe von seinen Füßen noch bei weitem übertroffen
wurden. Er war mit einem schlecht passenden, faltenwerfcnden schwarzen Ball¬
anzug bekleidet, welcher mich an die Uniform eines Leichcnbitters erinnerte.
Um seinen Hals war ein Strick von schwarzer Seide in eine gewaltige Schleife
geknüpft, deren fliegende Enden sich bis über den Frackkragen hinausstreckten.
Sein niedergeschlagner Hemdkragen ließ einen sehnigen, muskulösen, gelbe"
Hals sehen, und darüber erhob sich, in eine große Masse dichten und draht¬
artig steifen schwarzen Barthaares geschmiegt, mit einem Dache wirren repu¬
blikanischen Kopfhaares bedeckt, das seltsame, wunderliche Gesicht des Präsiden¬
ten Lincoln. Der Eindruck, welchen die Größe seiner Gliedmaßen und seine


ich freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen und Sie in unserm Lande
zu sehen. Die londoner Times ist eine der größten Mächte der Welt, ja ich
weiß in der Tink nicht, was viel mehr Macht hat, ausgenommen vielleicht
der Mississippi. Ich freue mich, daß Sie Gesandter dieser Großmacht sind."
Und ein paar Tage später that die „erste Dame der Union" dem Spccial-
corrcspondmten in Williards Hotel die Ehre an, ihm ein prächtiges Bouquet
und eine Karte mit Mrs. Lincolns Empfehlungen sowie eine zweite Karte
zu senden, welche die Anzeige enthielt, daß Mrs. Lincoln um drei Uhr
empfange.

Als Russell dieser Einladung Folge leistete, traf er die Frau Präsidentin
bereits in Positur, ihre Gäste zu empfangen. „Sie ist eine Vierzigerin und
von Mittelgroße sowie von einer Drallhcit, die schon in die ihren Jahren
natürliche Wohlbeleibtheit übergeht. Ihre Züge sind gewöhnlich, ihre Nase
wie ihr Mund von ordinärem Schnitt und ihre Manier und Haltung unbehol¬
fen, doch gesteift durch das Bewußtsein, daß ihre Stellung von ihr verlangt,
etwas mehr zu sein als die einfache Mrs. Lincoln, die Frau des Advvcaicn
aus Illinois. Allzuhänsig und fast in jedem Satze gebraucht sie das Wort
„Lir", welches jetzt fast zum Amerikanismus geworden ist und auch edler nur
auf gewisse Classen sich beschränkt, während es früher in England ebenso ge¬
wöhnlich war. Ihr Anzug war sehr prunkvoll und von prahlenden Farben.
Sie hanthicrtc sehr energisch mit einem Fächer, wobei sie einen runden wohl¬
geformten Arm .zeigte, und war mit einigen einfachen Juwelen geschmückt.
Mrs. Lincoln überraschte mich durch den augenscheinlichen Wunsch, angenehm
zu erscheinen, und ich gestehe, ich war angenehm enttäuscht dadurch, da die
secessionisüschen Damen Washingtons sich an Anekdoten ergötzt hatten, welche
hiernach kaum aus Thatsachen begründet sein konnten.

Bald nachher trat mit schlotterigen, wackeligem, unregelmäßigem, fast
unsicherem Gange ein laugaufgeschvsscuer, hagerer, dürrer Mann herein, be¬
trächtlich mehr als sechs Fuß hoch, mit vom übergebcugtcn Schultern und
langen baumelnden Armen, die in Hände von außerordentlichem Dimensionen
endigten, welche indeß an Größe von seinen Füßen noch bei weitem übertroffen
wurden. Er war mit einem schlecht passenden, faltenwerfcnden schwarzen Ball¬
anzug bekleidet, welcher mich an die Uniform eines Leichcnbitters erinnerte.
Um seinen Hals war ein Strick von schwarzer Seide in eine gewaltige Schleife
geknüpft, deren fliegende Enden sich bis über den Frackkragen hinausstreckten.
Sein niedergeschlagner Hemdkragen ließ einen sehnigen, muskulösen, gelbe»
Hals sehen, und darüber erhob sich, in eine große Masse dichten und draht¬
artig steifen schwarzen Barthaares geschmiegt, mit einem Dache wirren repu¬
blikanischen Kopfhaares bedeckt, das seltsame, wunderliche Gesicht des Präsiden¬
ten Lincoln. Der Eindruck, welchen die Größe seiner Gliedmaßen und seine


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[0474] ich freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen und Sie in unserm Lande zu sehen. Die londoner Times ist eine der größten Mächte der Welt, ja ich weiß in der Tink nicht, was viel mehr Macht hat, ausgenommen vielleicht der Mississippi. Ich freue mich, daß Sie Gesandter dieser Großmacht sind." Und ein paar Tage später that die „erste Dame der Union" dem Spccial- corrcspondmten in Williards Hotel die Ehre an, ihm ein prächtiges Bouquet und eine Karte mit Mrs. Lincolns Empfehlungen sowie eine zweite Karte zu senden, welche die Anzeige enthielt, daß Mrs. Lincoln um drei Uhr empfange. Als Russell dieser Einladung Folge leistete, traf er die Frau Präsidentin bereits in Positur, ihre Gäste zu empfangen. „Sie ist eine Vierzigerin und von Mittelgroße sowie von einer Drallhcit, die schon in die ihren Jahren natürliche Wohlbeleibtheit übergeht. Ihre Züge sind gewöhnlich, ihre Nase wie ihr Mund von ordinärem Schnitt und ihre Manier und Haltung unbehol¬ fen, doch gesteift durch das Bewußtsein, daß ihre Stellung von ihr verlangt, etwas mehr zu sein als die einfache Mrs. Lincoln, die Frau des Advvcaicn aus Illinois. Allzuhänsig und fast in jedem Satze gebraucht sie das Wort „Lir", welches jetzt fast zum Amerikanismus geworden ist und auch edler nur auf gewisse Classen sich beschränkt, während es früher in England ebenso ge¬ wöhnlich war. Ihr Anzug war sehr prunkvoll und von prahlenden Farben. Sie hanthicrtc sehr energisch mit einem Fächer, wobei sie einen runden wohl¬ geformten Arm .zeigte, und war mit einigen einfachen Juwelen geschmückt. Mrs. Lincoln überraschte mich durch den augenscheinlichen Wunsch, angenehm zu erscheinen, und ich gestehe, ich war angenehm enttäuscht dadurch, da die secessionisüschen Damen Washingtons sich an Anekdoten ergötzt hatten, welche hiernach kaum aus Thatsachen begründet sein konnten. Bald nachher trat mit schlotterigen, wackeligem, unregelmäßigem, fast unsicherem Gange ein laugaufgeschvsscuer, hagerer, dürrer Mann herein, be¬ trächtlich mehr als sechs Fuß hoch, mit vom übergebcugtcn Schultern und langen baumelnden Armen, die in Hände von außerordentlichem Dimensionen endigten, welche indeß an Größe von seinen Füßen noch bei weitem übertroffen wurden. Er war mit einem schlecht passenden, faltenwerfcnden schwarzen Ball¬ anzug bekleidet, welcher mich an die Uniform eines Leichcnbitters erinnerte. Um seinen Hals war ein Strick von schwarzer Seide in eine gewaltige Schleife geknüpft, deren fliegende Enden sich bis über den Frackkragen hinausstreckten. Sein niedergeschlagner Hemdkragen ließ einen sehnigen, muskulösen, gelbe» Hals sehen, und darüber erhob sich, in eine große Masse dichten und draht¬ artig steifen schwarzen Barthaares geschmiegt, mit einem Dache wirren repu¬ blikanischen Kopfhaares bedeckt, das seltsame, wunderliche Gesicht des Präsiden¬ ten Lincoln. Der Eindruck, welchen die Größe seiner Gliedmaßen und seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/474>, abgerufen am 29.11.2024.