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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Wochen einmal zurückkehrenden Gefangenen sein Willkommen entgegen. Die
Straßen von Washington waren Tag und Nacht voll Pulver- und Proviant¬
wagen, in der ganzen Stadt sah man Militärhütten und Zelte mitten im
Schmutz, weite Plätze waren mit Fuhrwerk, Pferden und Maulthieren bedeckt.
Ueberall Trommeln und Signalhörner, an allen Ecken berittene Schildwachen
Mit gezogenem Pallasch und über und über mit Koth bespritzt.

So gings fort bis hinaus in die Vorstädte. In den Hauptstraßen waren
Eisenbahnen angelegt, und die morschen Pfeiler der Longbridge zitterten unter
dem Gewicht der mit Kriegsvorräten darübcrhinbrausenden Züge. Die grünen
Hügel von Arlington sind jetzt in große gelbe Lehmhaufen verwandelt, auf
denen ein paar Dutzend Schanzen in der Sonne backen. Militärstraßen sind
durch die Felsen beim Aquäduct und bei Chainbridge gehauen. Die schönen
"Colleges" in Georgetown sind zu Zeughäusern und Spitälern umgestaltet,
und der Potomac trägt fast nur Schiffe, die für die Armee befrachtet sind.

Und eben diese Geschäftigkeit des Feldlagers bringt auch die rohen Vergnü¬
gungen eines solchen. Die schönsten Häuser der Stadt wurden von Spielgaunern
gemiethet. Schnapsschenken, vom Volkswitz "Kum-miUs" genannt, schössen an
leder Ecke auf. Allenthalben brannten Lichter zu ungewohnten Stunden, um
Ku zeigen, wo das Laster fidel war. Massen liederlicher Weibsbilder trieben sich
"ach Dunkelwerden aus den Gassen umher. Mac Clellans Provost-Marschall
versuchte umsonst die vorzüglichsten Unordnungen zu bewältigen. Die Fässer
betrügerischer Wirthe wurden auf die Straße ausgeleert, herumstrolchende Sol¬
daten ins Lager oder ins Gefängniß gebracht, eine geheime Polizei eingerichtet
zu Ueberwachung von Verräthern, Spionen und Schwindlern, auch stellte man
da. wo die Straßen sich kreuzten, Dragoner auf, die Befehl hatten, jeden
Offizier oder Soldaten zusammenzuhauen, welcher gegen ihre Abmahnung im
Galopp ritte.

Schlimmer als dieses Treiben in den niedern Regionen Washingtons ist,
daß auch die höheren und höchsten Sparen von dem Kriege verwandelt worden
sind, und nicht zu ihrem Vortheil.

Der, biedere Hinterwäldler-Advocat, der zufällig an die Spitze der Geschäfte
gestellt worden ist. hat durchaus reine Hände. Aber es fehlt ihm das Auge,
d'e Ränke seiner nächsten Untergebnen zu sehen, und der Wille, sie zu strafen.
Kein Regierender mit so gutem Willen hatte je so wenig Glück als Prä¬
sident Lincoln.

Ehe wir ihn und sein Cabinet vom moralischen Gesichtspunkt schildern,
folgen wir Russell zunächst zu einem Besuch im Weißen Hause.

Als Russell nach Washington kam, verloren der Präsident und der Staats-
sekretär keine Zeit, ihn zu Tisch zu bitten. Jener bemerkte bei der ersten Audienz,
b>e der Gesandte von Printing House Square bei ihm hatte: "Mr. Russell,


Grenzboten I- l863. 59

Wochen einmal zurückkehrenden Gefangenen sein Willkommen entgegen. Die
Straßen von Washington waren Tag und Nacht voll Pulver- und Proviant¬
wagen, in der ganzen Stadt sah man Militärhütten und Zelte mitten im
Schmutz, weite Plätze waren mit Fuhrwerk, Pferden und Maulthieren bedeckt.
Ueberall Trommeln und Signalhörner, an allen Ecken berittene Schildwachen
Mit gezogenem Pallasch und über und über mit Koth bespritzt.

So gings fort bis hinaus in die Vorstädte. In den Hauptstraßen waren
Eisenbahnen angelegt, und die morschen Pfeiler der Longbridge zitterten unter
dem Gewicht der mit Kriegsvorräten darübcrhinbrausenden Züge. Die grünen
Hügel von Arlington sind jetzt in große gelbe Lehmhaufen verwandelt, auf
denen ein paar Dutzend Schanzen in der Sonne backen. Militärstraßen sind
durch die Felsen beim Aquäduct und bei Chainbridge gehauen. Die schönen
"Colleges" in Georgetown sind zu Zeughäusern und Spitälern umgestaltet,
und der Potomac trägt fast nur Schiffe, die für die Armee befrachtet sind.

Und eben diese Geschäftigkeit des Feldlagers bringt auch die rohen Vergnü¬
gungen eines solchen. Die schönsten Häuser der Stadt wurden von Spielgaunern
gemiethet. Schnapsschenken, vom Volkswitz „Kum-miUs" genannt, schössen an
leder Ecke auf. Allenthalben brannten Lichter zu ungewohnten Stunden, um
Ku zeigen, wo das Laster fidel war. Massen liederlicher Weibsbilder trieben sich
»ach Dunkelwerden aus den Gassen umher. Mac Clellans Provost-Marschall
versuchte umsonst die vorzüglichsten Unordnungen zu bewältigen. Die Fässer
betrügerischer Wirthe wurden auf die Straße ausgeleert, herumstrolchende Sol¬
daten ins Lager oder ins Gefängniß gebracht, eine geheime Polizei eingerichtet
zu Ueberwachung von Verräthern, Spionen und Schwindlern, auch stellte man
da. wo die Straßen sich kreuzten, Dragoner auf, die Befehl hatten, jeden
Offizier oder Soldaten zusammenzuhauen, welcher gegen ihre Abmahnung im
Galopp ritte.

Schlimmer als dieses Treiben in den niedern Regionen Washingtons ist,
daß auch die höheren und höchsten Sparen von dem Kriege verwandelt worden
sind, und nicht zu ihrem Vortheil.

Der, biedere Hinterwäldler-Advocat, der zufällig an die Spitze der Geschäfte
gestellt worden ist. hat durchaus reine Hände. Aber es fehlt ihm das Auge,
d'e Ränke seiner nächsten Untergebnen zu sehen, und der Wille, sie zu strafen.
Kein Regierender mit so gutem Willen hatte je so wenig Glück als Prä¬
sident Lincoln.

Ehe wir ihn und sein Cabinet vom moralischen Gesichtspunkt schildern,
folgen wir Russell zunächst zu einem Besuch im Weißen Hause.

Als Russell nach Washington kam, verloren der Präsident und der Staats-
sekretär keine Zeit, ihn zu Tisch zu bitten. Jener bemerkte bei der ersten Audienz,
b>e der Gesandte von Printing House Square bei ihm hatte: „Mr. Russell,


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[0473] Wochen einmal zurückkehrenden Gefangenen sein Willkommen entgegen. Die Straßen von Washington waren Tag und Nacht voll Pulver- und Proviant¬ wagen, in der ganzen Stadt sah man Militärhütten und Zelte mitten im Schmutz, weite Plätze waren mit Fuhrwerk, Pferden und Maulthieren bedeckt. Ueberall Trommeln und Signalhörner, an allen Ecken berittene Schildwachen Mit gezogenem Pallasch und über und über mit Koth bespritzt. So gings fort bis hinaus in die Vorstädte. In den Hauptstraßen waren Eisenbahnen angelegt, und die morschen Pfeiler der Longbridge zitterten unter dem Gewicht der mit Kriegsvorräten darübcrhinbrausenden Züge. Die grünen Hügel von Arlington sind jetzt in große gelbe Lehmhaufen verwandelt, auf denen ein paar Dutzend Schanzen in der Sonne backen. Militärstraßen sind durch die Felsen beim Aquäduct und bei Chainbridge gehauen. Die schönen "Colleges" in Georgetown sind zu Zeughäusern und Spitälern umgestaltet, und der Potomac trägt fast nur Schiffe, die für die Armee befrachtet sind. Und eben diese Geschäftigkeit des Feldlagers bringt auch die rohen Vergnü¬ gungen eines solchen. Die schönsten Häuser der Stadt wurden von Spielgaunern gemiethet. Schnapsschenken, vom Volkswitz „Kum-miUs" genannt, schössen an leder Ecke auf. Allenthalben brannten Lichter zu ungewohnten Stunden, um Ku zeigen, wo das Laster fidel war. Massen liederlicher Weibsbilder trieben sich »ach Dunkelwerden aus den Gassen umher. Mac Clellans Provost-Marschall versuchte umsonst die vorzüglichsten Unordnungen zu bewältigen. Die Fässer betrügerischer Wirthe wurden auf die Straße ausgeleert, herumstrolchende Sol¬ daten ins Lager oder ins Gefängniß gebracht, eine geheime Polizei eingerichtet zu Ueberwachung von Verräthern, Spionen und Schwindlern, auch stellte man da. wo die Straßen sich kreuzten, Dragoner auf, die Befehl hatten, jeden Offizier oder Soldaten zusammenzuhauen, welcher gegen ihre Abmahnung im Galopp ritte. Schlimmer als dieses Treiben in den niedern Regionen Washingtons ist, daß auch die höheren und höchsten Sparen von dem Kriege verwandelt worden sind, und nicht zu ihrem Vortheil. Der, biedere Hinterwäldler-Advocat, der zufällig an die Spitze der Geschäfte gestellt worden ist. hat durchaus reine Hände. Aber es fehlt ihm das Auge, d'e Ränke seiner nächsten Untergebnen zu sehen, und der Wille, sie zu strafen. Kein Regierender mit so gutem Willen hatte je so wenig Glück als Prä¬ sident Lincoln. Ehe wir ihn und sein Cabinet vom moralischen Gesichtspunkt schildern, folgen wir Russell zunächst zu einem Besuch im Weißen Hause. Als Russell nach Washington kam, verloren der Präsident und der Staats- sekretär keine Zeit, ihn zu Tisch zu bitten. Jener bemerkte bei der ersten Audienz, b>e der Gesandte von Printing House Square bei ihm hatte: „Mr. Russell, Grenzboten I- l863. 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/473>, abgerufen am 28.07.2024.