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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Lissa wählen lassen und dem Kolko (dem Verein der polnischen Abgeordneten
auf dem Landtage) nicht beitreten. Man befehlet sich und stellte für einen Wahl¬
kreis, in dem ohne Geistliche nichts zu hoffen war, statt drei nur zwei Kan¬
didaten auf. Prusinowski ward als dritter gewählt.

Ein zweites Zeugniß für die innere Unselbständigkeit der Nation ist die
Stellung eben dieses polnischen Abgcordnetenclubs, des Kolko. Außer Herrn
v. Taczanowski gehören ihm die polnischen Mitglieder beider Häuser des Land¬
tags an. Graf M,, der sich ausschließen wollte, ward wie einst C. Marcius
Cvriolanus durch seine Pani gewonnen. Bei Gelegenheit eines großen Ehren¬
diners, für das auch besondere Denkmünzen geschlagen wurden, ward dem
Kollo die Führerschaft der Nation feierlich übertragen, auch für nicht parla¬
mentarische Dinge. Auf dem Landtage zeichnete sich der Club durch seine Ein¬
stimmigkeit aus. Er besteht aus Mitgliedern aller Parteien, die sich scharf
bekämpfen und im Falle eines Sieges furchtbar über einander herfallen würden.
Jetzt aber findet sie jede Frage einig. Ziel ist, stets dem Ministerium Ver¬
legenheiten zu bereiten^ wider die Grundsteuer, wider die Gewerbefreiheit, wider
die Militärorganisation, VL/^tlco jväuo -- alles eins! Sie waren es, die dem
hagenschen Antrag seine Majorität verschafften, und laut triumphirten ihre
Vlätter über die bedeutsamen Folgen ihres Verhaltens. Es sind edle Männer
im Koll'v, wie der sinnige Graf Eziestowski, der "Hegel der Polen", der gründ¬
liche und gelehrte Dr. Libell, Redner, wie Janiczewski, der sich 1848 in Frank¬
furt geltend zu machen wußte, aber diese sind jetzt in den Hintergrund getreten.

Der große Redner der Fraction ist v. Niegvlewsti. über den in der
Session vom 31. Mai 1861 durch Einmüthigl'eit des Abgeordnetenhauses die
Censur ergangen ist, daß er die einfachsten Rücksichten der Schicklichkeit, der Sitt¬
lichkeit und der Naterlandstieve auf das frevelhafteste verletzt habe. Auf dem
Landtage hört er bekanntlich nie eher auf zu reden, als bis ihm vor edler
Aufwallung die Stimme versagt. Außerhalb des Landtages versuchte er einmal
ein Hauptcvntrvlamt der preußischen Verwaltung zu organisiren, um dann mit
gewaltigen Enthüllungen vor das Land zu treten. Und wer weiß, was ge¬
schehen wäre, wenn der Translateur Post die 600 Thlr. angenommen hätte,
d>c ihm Herr v. B. im Auftrage seines Freundes für einen kleinen Verrath
tot. Der sonderbare Mann machte statt dessen dem Staatsanwalt Anzeige von
der Sache. Auch das wird Ihnen an dem preußischen Abgeordneten Nicgo-
lewski gefallen, daß er sich von Lcmartvwicz die polnische Uebertragung der
Mussctschen Antwort auf das beckcrsche Nheinlicd widmen ließ. Dies Jahr
bat der junge Herr mit dem schönen schwarzen Haar ein kleines Unglück ge¬
habt. Er trat am 28. Juni gerade aus der Szpingierschen Konditorei, als
Herr v. Poleski "zufällig" eine Flasche voll Firniß zerbrach, deren Inhalt sich
über das Haupt des Volksbefreiers ergoß. Herr v. Poleski, bekannt durch seinen


Lissa wählen lassen und dem Kolko (dem Verein der polnischen Abgeordneten
auf dem Landtage) nicht beitreten. Man befehlet sich und stellte für einen Wahl¬
kreis, in dem ohne Geistliche nichts zu hoffen war, statt drei nur zwei Kan¬
didaten auf. Prusinowski ward als dritter gewählt.

Ein zweites Zeugniß für die innere Unselbständigkeit der Nation ist die
Stellung eben dieses polnischen Abgcordnetenclubs, des Kolko. Außer Herrn
v. Taczanowski gehören ihm die polnischen Mitglieder beider Häuser des Land¬
tags an. Graf M,, der sich ausschließen wollte, ward wie einst C. Marcius
Cvriolanus durch seine Pani gewonnen. Bei Gelegenheit eines großen Ehren¬
diners, für das auch besondere Denkmünzen geschlagen wurden, ward dem
Kollo die Führerschaft der Nation feierlich übertragen, auch für nicht parla¬
mentarische Dinge. Auf dem Landtage zeichnete sich der Club durch seine Ein¬
stimmigkeit aus. Er besteht aus Mitgliedern aller Parteien, die sich scharf
bekämpfen und im Falle eines Sieges furchtbar über einander herfallen würden.
Jetzt aber findet sie jede Frage einig. Ziel ist, stets dem Ministerium Ver¬
legenheiten zu bereiten^ wider die Grundsteuer, wider die Gewerbefreiheit, wider
die Militärorganisation, VL/^tlco jväuo — alles eins! Sie waren es, die dem
hagenschen Antrag seine Majorität verschafften, und laut triumphirten ihre
Vlätter über die bedeutsamen Folgen ihres Verhaltens. Es sind edle Männer
im Koll'v, wie der sinnige Graf Eziestowski, der „Hegel der Polen", der gründ¬
liche und gelehrte Dr. Libell, Redner, wie Janiczewski, der sich 1848 in Frank¬
furt geltend zu machen wußte, aber diese sind jetzt in den Hintergrund getreten.

Der große Redner der Fraction ist v. Niegvlewsti. über den in der
Session vom 31. Mai 1861 durch Einmüthigl'eit des Abgeordnetenhauses die
Censur ergangen ist, daß er die einfachsten Rücksichten der Schicklichkeit, der Sitt¬
lichkeit und der Naterlandstieve auf das frevelhafteste verletzt habe. Auf dem
Landtage hört er bekanntlich nie eher auf zu reden, als bis ihm vor edler
Aufwallung die Stimme versagt. Außerhalb des Landtages versuchte er einmal
ein Hauptcvntrvlamt der preußischen Verwaltung zu organisiren, um dann mit
gewaltigen Enthüllungen vor das Land zu treten. Und wer weiß, was ge¬
schehen wäre, wenn der Translateur Post die 600 Thlr. angenommen hätte,
d>c ihm Herr v. B. im Auftrage seines Freundes für einen kleinen Verrath
tot. Der sonderbare Mann machte statt dessen dem Staatsanwalt Anzeige von
der Sache. Auch das wird Ihnen an dem preußischen Abgeordneten Nicgo-
lewski gefallen, daß er sich von Lcmartvwicz die polnische Uebertragung der
Mussctschen Antwort auf das beckcrsche Nheinlicd widmen ließ. Dies Jahr
bat der junge Herr mit dem schönen schwarzen Haar ein kleines Unglück ge¬
habt. Er trat am 28. Juni gerade aus der Szpingierschen Konditorei, als
Herr v. Poleski „zufällig" eine Flasche voll Firniß zerbrach, deren Inhalt sich
über das Haupt des Volksbefreiers ergoß. Herr v. Poleski, bekannt durch seinen


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[0455] Lissa wählen lassen und dem Kolko (dem Verein der polnischen Abgeordneten auf dem Landtage) nicht beitreten. Man befehlet sich und stellte für einen Wahl¬ kreis, in dem ohne Geistliche nichts zu hoffen war, statt drei nur zwei Kan¬ didaten auf. Prusinowski ward als dritter gewählt. Ein zweites Zeugniß für die innere Unselbständigkeit der Nation ist die Stellung eben dieses polnischen Abgcordnetenclubs, des Kolko. Außer Herrn v. Taczanowski gehören ihm die polnischen Mitglieder beider Häuser des Land¬ tags an. Graf M,, der sich ausschließen wollte, ward wie einst C. Marcius Cvriolanus durch seine Pani gewonnen. Bei Gelegenheit eines großen Ehren¬ diners, für das auch besondere Denkmünzen geschlagen wurden, ward dem Kollo die Führerschaft der Nation feierlich übertragen, auch für nicht parla¬ mentarische Dinge. Auf dem Landtage zeichnete sich der Club durch seine Ein¬ stimmigkeit aus. Er besteht aus Mitgliedern aller Parteien, die sich scharf bekämpfen und im Falle eines Sieges furchtbar über einander herfallen würden. Jetzt aber findet sie jede Frage einig. Ziel ist, stets dem Ministerium Ver¬ legenheiten zu bereiten^ wider die Grundsteuer, wider die Gewerbefreiheit, wider die Militärorganisation, VL/^tlco jväuo — alles eins! Sie waren es, die dem hagenschen Antrag seine Majorität verschafften, und laut triumphirten ihre Vlätter über die bedeutsamen Folgen ihres Verhaltens. Es sind edle Männer im Koll'v, wie der sinnige Graf Eziestowski, der „Hegel der Polen", der gründ¬ liche und gelehrte Dr. Libell, Redner, wie Janiczewski, der sich 1848 in Frank¬ furt geltend zu machen wußte, aber diese sind jetzt in den Hintergrund getreten. Der große Redner der Fraction ist v. Niegvlewsti. über den in der Session vom 31. Mai 1861 durch Einmüthigl'eit des Abgeordnetenhauses die Censur ergangen ist, daß er die einfachsten Rücksichten der Schicklichkeit, der Sitt¬ lichkeit und der Naterlandstieve auf das frevelhafteste verletzt habe. Auf dem Landtage hört er bekanntlich nie eher auf zu reden, als bis ihm vor edler Aufwallung die Stimme versagt. Außerhalb des Landtages versuchte er einmal ein Hauptcvntrvlamt der preußischen Verwaltung zu organisiren, um dann mit gewaltigen Enthüllungen vor das Land zu treten. Und wer weiß, was ge¬ schehen wäre, wenn der Translateur Post die 600 Thlr. angenommen hätte, d>c ihm Herr v. B. im Auftrage seines Freundes für einen kleinen Verrath tot. Der sonderbare Mann machte statt dessen dem Staatsanwalt Anzeige von der Sache. Auch das wird Ihnen an dem preußischen Abgeordneten Nicgo- lewski gefallen, daß er sich von Lcmartvwicz die polnische Uebertragung der Mussctschen Antwort auf das beckcrsche Nheinlicd widmen ließ. Dies Jahr bat der junge Herr mit dem schönen schwarzen Haar ein kleines Unglück ge¬ habt. Er trat am 28. Juni gerade aus der Szpingierschen Konditorei, als Herr v. Poleski „zufällig" eine Flasche voll Firniß zerbrach, deren Inhalt sich über das Haupt des Volksbefreiers ergoß. Herr v. Poleski, bekannt durch seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/455>, abgerufen am 22.11.2024.