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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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nährte die Erwartung eines europäischen Kongresses, aus dem die polnischen
Mitglieder des preußischen Landtags neben den Vertretern der legitimen euro¬
päischen Mächte sitzen sollten. Auf ihre Veranlassung unternahm endlich der
Graf Montalembert eine Reise nach Polen, auf der er auch fast so viel Tage
in, Posen war, wie ich Jahre. Trotzdem hat sein Scharfblick gesehen, was
mir bis heute entgangen ist. Gestatten Sie mir eine Blumenlese aus der
Nation "u äeuil, welche als Frucht dieser Inspektionsreise 1861 in Paris
erschienen ist.

"Es hat sich wieder einmal eine erlauchte, großmüthige, glühende, vater¬
landsliebende, freisinnige, gewissenhafte, geistreiche, gläubige Nation, die zu
leiden und zu sterben weiß, der Welt offenbart, und als hätte sie weder Mitleid
noch Gefühl, hat diese sich von ihr abgewendet. S. 11.

Unsere Demokraten haben etwas mehr Theilnahme für Ungarn, weil es
minder katholisch ist als Posen. S. 11.

Polen ist von unerbittlichen Feinden geschlagen, gemordet, beschimpft
worden. Religion, Gesetzgebung, Erziehung, Sprache, Tracht, Geld, Handel,
Besitz, nichts ist geschont worden, und doch ist Polen nicht untergegangen.
S. 12.

Ich finde, daß Polen in seinem Unglück alle Tugenden besitzt und zeigt,
deren Mangel man ihm vorwarf, und welche gerade den meisten Völkern
Europas fehlen. Besonnenheit, Klugheit, Zucht. Mäßigkeit und Selbstbeherr¬
schung, um die Feinde desto leichter zu überwinden, die Selbstzucht, die erste
und beste Bedingung der Selbstregierung. S. 13.

Die Constitution vom 3. Mai 1791, die beste, die aus Menschenhänden
kam (mit leibeigenen Bauern). S. 16.

In Polen role in Ungarn ist der Adel, d. h. der große und kleine Besitz
tief innerlich mit den Bauern, den arbeitenden Classen vereinigt. S. 18.

Nachdem ich einen Augenblick die Hand an das Herz Polens gelegt, scheue
ich mich nicht zu versichern, daß es die gesundeste Rat,on Europas ist-
s. 21.

Ohne Polen würde die Kirche im ganzen Norden und Osten Europas, von
der Weser ins zur Wolga keine Zuflucht, keinen Altar mehr haben! (Fürst'
biscbof Heinrich in Breslau?) S. 21.

Diese Republik, welche die Päpste als die ganz besonders rechtgläubige
bezeichnet haben, hat zuerst bei Juden und Protestanten die Gewissensfreiheit
geachtet (vgl. unsern zweiten, dritten und vierten Brief). S. 23.

Die Feindschaft Preußens ist leider nur zu gewiß. Friedrich der Zweite
(schon vor der zweiten Theilung gestorben, Herr Graf!) ist der unversöhnlichste
Werkmeister des Unterganges der Polen gewesen, und heute haben sie keinen
erbitterteren Feind als Preußen und hinter ihm ganz Deutschland- Denn ich


nährte die Erwartung eines europäischen Kongresses, aus dem die polnischen
Mitglieder des preußischen Landtags neben den Vertretern der legitimen euro¬
päischen Mächte sitzen sollten. Auf ihre Veranlassung unternahm endlich der
Graf Montalembert eine Reise nach Polen, auf der er auch fast so viel Tage
in, Posen war, wie ich Jahre. Trotzdem hat sein Scharfblick gesehen, was
mir bis heute entgangen ist. Gestatten Sie mir eine Blumenlese aus der
Nation «u äeuil, welche als Frucht dieser Inspektionsreise 1861 in Paris
erschienen ist.

„Es hat sich wieder einmal eine erlauchte, großmüthige, glühende, vater¬
landsliebende, freisinnige, gewissenhafte, geistreiche, gläubige Nation, die zu
leiden und zu sterben weiß, der Welt offenbart, und als hätte sie weder Mitleid
noch Gefühl, hat diese sich von ihr abgewendet. S. 11.

Unsere Demokraten haben etwas mehr Theilnahme für Ungarn, weil es
minder katholisch ist als Posen. S. 11.

Polen ist von unerbittlichen Feinden geschlagen, gemordet, beschimpft
worden. Religion, Gesetzgebung, Erziehung, Sprache, Tracht, Geld, Handel,
Besitz, nichts ist geschont worden, und doch ist Polen nicht untergegangen.
S. 12.

Ich finde, daß Polen in seinem Unglück alle Tugenden besitzt und zeigt,
deren Mangel man ihm vorwarf, und welche gerade den meisten Völkern
Europas fehlen. Besonnenheit, Klugheit, Zucht. Mäßigkeit und Selbstbeherr¬
schung, um die Feinde desto leichter zu überwinden, die Selbstzucht, die erste
und beste Bedingung der Selbstregierung. S. 13.

Die Constitution vom 3. Mai 1791, die beste, die aus Menschenhänden
kam (mit leibeigenen Bauern). S. 16.

In Polen role in Ungarn ist der Adel, d. h. der große und kleine Besitz
tief innerlich mit den Bauern, den arbeitenden Classen vereinigt. S. 18.

Nachdem ich einen Augenblick die Hand an das Herz Polens gelegt, scheue
ich mich nicht zu versichern, daß es die gesundeste Rat,on Europas ist-
s. 21.

Ohne Polen würde die Kirche im ganzen Norden und Osten Europas, von
der Weser ins zur Wolga keine Zuflucht, keinen Altar mehr haben! (Fürst'
biscbof Heinrich in Breslau?) S. 21.

Diese Republik, welche die Päpste als die ganz besonders rechtgläubige
bezeichnet haben, hat zuerst bei Juden und Protestanten die Gewissensfreiheit
geachtet (vgl. unsern zweiten, dritten und vierten Brief). S. 23.

Die Feindschaft Preußens ist leider nur zu gewiß. Friedrich der Zweite
(schon vor der zweiten Theilung gestorben, Herr Graf!) ist der unversöhnlichste
Werkmeister des Unterganges der Polen gewesen, und heute haben sie keinen
erbitterteren Feind als Preußen und hinter ihm ganz Deutschland- Denn ich


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[0426] nährte die Erwartung eines europäischen Kongresses, aus dem die polnischen Mitglieder des preußischen Landtags neben den Vertretern der legitimen euro¬ päischen Mächte sitzen sollten. Auf ihre Veranlassung unternahm endlich der Graf Montalembert eine Reise nach Polen, auf der er auch fast so viel Tage in, Posen war, wie ich Jahre. Trotzdem hat sein Scharfblick gesehen, was mir bis heute entgangen ist. Gestatten Sie mir eine Blumenlese aus der Nation «u äeuil, welche als Frucht dieser Inspektionsreise 1861 in Paris erschienen ist. „Es hat sich wieder einmal eine erlauchte, großmüthige, glühende, vater¬ landsliebende, freisinnige, gewissenhafte, geistreiche, gläubige Nation, die zu leiden und zu sterben weiß, der Welt offenbart, und als hätte sie weder Mitleid noch Gefühl, hat diese sich von ihr abgewendet. S. 11. Unsere Demokraten haben etwas mehr Theilnahme für Ungarn, weil es minder katholisch ist als Posen. S. 11. Polen ist von unerbittlichen Feinden geschlagen, gemordet, beschimpft worden. Religion, Gesetzgebung, Erziehung, Sprache, Tracht, Geld, Handel, Besitz, nichts ist geschont worden, und doch ist Polen nicht untergegangen. S. 12. Ich finde, daß Polen in seinem Unglück alle Tugenden besitzt und zeigt, deren Mangel man ihm vorwarf, und welche gerade den meisten Völkern Europas fehlen. Besonnenheit, Klugheit, Zucht. Mäßigkeit und Selbstbeherr¬ schung, um die Feinde desto leichter zu überwinden, die Selbstzucht, die erste und beste Bedingung der Selbstregierung. S. 13. Die Constitution vom 3. Mai 1791, die beste, die aus Menschenhänden kam (mit leibeigenen Bauern). S. 16. In Polen role in Ungarn ist der Adel, d. h. der große und kleine Besitz tief innerlich mit den Bauern, den arbeitenden Classen vereinigt. S. 18. Nachdem ich einen Augenblick die Hand an das Herz Polens gelegt, scheue ich mich nicht zu versichern, daß es die gesundeste Rat,on Europas ist- s. 21. Ohne Polen würde die Kirche im ganzen Norden und Osten Europas, von der Weser ins zur Wolga keine Zuflucht, keinen Altar mehr haben! (Fürst' biscbof Heinrich in Breslau?) S. 21. Diese Republik, welche die Päpste als die ganz besonders rechtgläubige bezeichnet haben, hat zuerst bei Juden und Protestanten die Gewissensfreiheit geachtet (vgl. unsern zweiten, dritten und vierten Brief). S. 23. Die Feindschaft Preußens ist leider nur zu gewiß. Friedrich der Zweite (schon vor der zweiten Theilung gestorben, Herr Graf!) ist der unversöhnlichste Werkmeister des Unterganges der Polen gewesen, und heute haben sie keinen erbitterteren Feind als Preußen und hinter ihm ganz Deutschland- Denn ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/426>, abgerufen am 22.11.2024.