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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Dieselben traurigen Gedanken mache" sich viele Amerikaner, namentlich
im Osten und in den kräftigen und weniger verdorbenen Staaten, die in dem
letzten Me nschenalter aus den Hinterwäldern des Westens hervorgewachsen sind.
In Washington scheint man von dieser Betrübniß über die Noth des Vater¬
landes wenig zu empfinden. Trollopc erzählt:

"Leute, die man in Washington traf, waren wegen der Lage der Dinge
nicht so unglücklich. Sie zeigten sich hauptsächlich gleichgiltig, freilich gleich-
giltig infolge des Verlusts alles ihres Glaubens. "Wir haben eine Armee,
ja; aber was für eine Armee! Keiner gehvrchi, keiner thut etwas. Keiner
denkt an Vorrücken. Zweimalhunderttausend Mann vielleicht stehen um Wa¬
shington herum, und die Beschaffung von Lebensmitteln und Kleidern für die¬
selben nimmt alle Kräfte in Anspruch. Die Lieferanten werden reich dabei.
Und die Negierung! Wer vertraut auf sie, wer auf Seward und Cameron?
Der Congreß! Was kann, was soll der Congreß thun? Fragen wird er thun,
die Niemand beantworten mag, und endlich eingepackt und nach Hause ge¬
schickt werden. Der Präsident und die Constitution kommen nicht besser weg.
Der erstere, so sagte man, thut nichts, weder etwas Gutes noch etwas Schlech¬
tes. Die letztere ist zerfallen und hat sich nicht bewährt. So aßen, tranken
und lachten die Leute und warteten, bis das Chaos käme, doch hielten sie
sich an der Ueberzeugung fest, daß Hie Atome, in welche die Welt sich auf¬
lösen werde, in irgend einer Weise sich wieder zusammenfinden würden, ohne
daß sie selbst, die Leute, etwas dazu thäten."

Auch die Erbitterung über England und dessen Verhalten zu den Er¬
eignissen in Amerika, die in andern Gegenden Amerikas herrschte, wurde von
den Bewohnern der Bundesstadt, so weit Trollope sie kennen lernte, nicht ge¬
theilt. "Wir," so hätte Jemand in Washington sagen können, "wissen recht
gut, daß jeder zuerst für sich sorgen muß. Wir sind den Engländern wohl¬
geneigt und sehen sie immer gern an unserm Tische, so oft sie über das Meer
herüberkommen. Aber wir sind auch zu gut mit der Welt bekannt, als daß
wir erwarten sollten, sie würden an unsern Sorgen theilnehmen. Wir zerfallen
in Stücke, und das ist natürlich für die Engländer ein Vortheil. -- Nehmen
Sie aber doch eine andre Cigarre".




Dieselben traurigen Gedanken mache» sich viele Amerikaner, namentlich
im Osten und in den kräftigen und weniger verdorbenen Staaten, die in dem
letzten Me nschenalter aus den Hinterwäldern des Westens hervorgewachsen sind.
In Washington scheint man von dieser Betrübniß über die Noth des Vater¬
landes wenig zu empfinden. Trollopc erzählt:

„Leute, die man in Washington traf, waren wegen der Lage der Dinge
nicht so unglücklich. Sie zeigten sich hauptsächlich gleichgiltig, freilich gleich-
giltig infolge des Verlusts alles ihres Glaubens. „Wir haben eine Armee,
ja; aber was für eine Armee! Keiner gehvrchi, keiner thut etwas. Keiner
denkt an Vorrücken. Zweimalhunderttausend Mann vielleicht stehen um Wa¬
shington herum, und die Beschaffung von Lebensmitteln und Kleidern für die¬
selben nimmt alle Kräfte in Anspruch. Die Lieferanten werden reich dabei.
Und die Negierung! Wer vertraut auf sie, wer auf Seward und Cameron?
Der Congreß! Was kann, was soll der Congreß thun? Fragen wird er thun,
die Niemand beantworten mag, und endlich eingepackt und nach Hause ge¬
schickt werden. Der Präsident und die Constitution kommen nicht besser weg.
Der erstere, so sagte man, thut nichts, weder etwas Gutes noch etwas Schlech¬
tes. Die letztere ist zerfallen und hat sich nicht bewährt. So aßen, tranken
und lachten die Leute und warteten, bis das Chaos käme, doch hielten sie
sich an der Ueberzeugung fest, daß Hie Atome, in welche die Welt sich auf¬
lösen werde, in irgend einer Weise sich wieder zusammenfinden würden, ohne
daß sie selbst, die Leute, etwas dazu thäten."

Auch die Erbitterung über England und dessen Verhalten zu den Er¬
eignissen in Amerika, die in andern Gegenden Amerikas herrschte, wurde von
den Bewohnern der Bundesstadt, so weit Trollope sie kennen lernte, nicht ge¬
theilt. „Wir," so hätte Jemand in Washington sagen können, „wissen recht
gut, daß jeder zuerst für sich sorgen muß. Wir sind den Engländern wohl¬
geneigt und sehen sie immer gern an unserm Tische, so oft sie über das Meer
herüberkommen. Aber wir sind auch zu gut mit der Welt bekannt, als daß
wir erwarten sollten, sie würden an unsern Sorgen theilnehmen. Wir zerfallen
in Stücke, und das ist natürlich für die Engländer ein Vortheil. — Nehmen
Sie aber doch eine andre Cigarre".




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[0420] Dieselben traurigen Gedanken mache» sich viele Amerikaner, namentlich im Osten und in den kräftigen und weniger verdorbenen Staaten, die in dem letzten Me nschenalter aus den Hinterwäldern des Westens hervorgewachsen sind. In Washington scheint man von dieser Betrübniß über die Noth des Vater¬ landes wenig zu empfinden. Trollopc erzählt: „Leute, die man in Washington traf, waren wegen der Lage der Dinge nicht so unglücklich. Sie zeigten sich hauptsächlich gleichgiltig, freilich gleich- giltig infolge des Verlusts alles ihres Glaubens. „Wir haben eine Armee, ja; aber was für eine Armee! Keiner gehvrchi, keiner thut etwas. Keiner denkt an Vorrücken. Zweimalhunderttausend Mann vielleicht stehen um Wa¬ shington herum, und die Beschaffung von Lebensmitteln und Kleidern für die¬ selben nimmt alle Kräfte in Anspruch. Die Lieferanten werden reich dabei. Und die Negierung! Wer vertraut auf sie, wer auf Seward und Cameron? Der Congreß! Was kann, was soll der Congreß thun? Fragen wird er thun, die Niemand beantworten mag, und endlich eingepackt und nach Hause ge¬ schickt werden. Der Präsident und die Constitution kommen nicht besser weg. Der erstere, so sagte man, thut nichts, weder etwas Gutes noch etwas Schlech¬ tes. Die letztere ist zerfallen und hat sich nicht bewährt. So aßen, tranken und lachten die Leute und warteten, bis das Chaos käme, doch hielten sie sich an der Ueberzeugung fest, daß Hie Atome, in welche die Welt sich auf¬ lösen werde, in irgend einer Weise sich wieder zusammenfinden würden, ohne daß sie selbst, die Leute, etwas dazu thäten." Auch die Erbitterung über England und dessen Verhalten zu den Er¬ eignissen in Amerika, die in andern Gegenden Amerikas herrschte, wurde von den Bewohnern der Bundesstadt, so weit Trollope sie kennen lernte, nicht ge¬ theilt. „Wir," so hätte Jemand in Washington sagen können, „wissen recht gut, daß jeder zuerst für sich sorgen muß. Wir sind den Engländern wohl¬ geneigt und sehen sie immer gern an unserm Tische, so oft sie über das Meer herüberkommen. Aber wir sind auch zu gut mit der Welt bekannt, als daß wir erwarten sollten, sie würden an unsern Sorgen theilnehmen. Wir zerfallen in Stücke, und das ist natürlich für die Engländer ein Vortheil. — Nehmen Sie aber doch eine andre Cigarre".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/420>, abgerufen am 22.11.2024.