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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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"Eine traurige Stelle," fährt unser Reisender fort, "war dieser Sumpf,
als ich an einem Sonntagsnachmittag allein daran hinwanderte. Der Boden
war gefroren, und ich konnte trocken darüber gehen, aber kein Grashalm zeigte
sich. Nach allen Seiten um mich her gab es Vieh in großer Menge, mäch¬
tige Ochsen, die hungernd nach einer Mahlzeit brüllten. Sie waren Schlacht¬
thiere für die Armee, und wahrscheinlich sollten sie den hungrigen Magen nie
wieder füllen. Da auf dem braunen häßlichen Gefilde, im Angesichte des
Hauses des Präsidenten, stand der nutz- und gestaltlose Steinhaufen. Mir
war. als sähe ich in demselben den Genius des Ortes. Groß, anspruchsvoll,
kühn. ruhmredig stand er da. beretts um v,ele Köpfe größer als andere Obe¬
lisken, und doch noch ein Kind, häßlich, widerwärtig, eine Lüge. Der Grün¬
der des Monuments hat gesagt- hier soll der Weltobelisk stehen, wie der
Gründer der Stadt etwas Aehnliches von seinem Kinde gedacht haben mag.
Möglich allerdings bleibt es. daß sowohl die Stadt als der Obelisk einmal
fertig werden; gegenwärtig aber scheint Jedermann weder an das Eine noch
an das Andere zu glauben. Ich habe großes Vertrauen zu dem amerikanischen
Charakter, vermag aber weder der Stadt Washington noch dem Washington-
Denkmal eine Zukunft zu weissagen. Die Prahlerei ist zu groß und das. was
man bisher daran gethan hat, zu geringfügig gewesen."

Aehnliches sagt der Verfasser des Aufsatzes im "C o rnhill - Ma g azin ",
mi Amerikaner. An die Möglichkeit denkend. daß Washington der Union ge¬
nommen werden könnte, bemerkt er: "Der Verlust der Stadt wird vielleicht
für unmöglich gehalten. Die Arbeiter schichten Quader auf Quader beim Bau
des weitgedehnten Schatzamtes und bauen geschäftig an der großen Kuppel des>
Capitols. Nur ein Bauwerk verwittert in Vernachlässigung -- der unfertige
Schaft des Washington-Denkmals. Ich tastete eines Nachmittags mich durch
die Pfützen und Sümpfe der Straße nach der Wohnung des Vortiers und pas-
sirte. nachdem ich den Schlüssel bekommen, über ein kolbiges Feld und durch
une Heerde von Armeevieh nach den wackeligen Stufen. Ich stieg diese hin¬
auf, schvv die Riegel einer Breterthür zurück und stand nun unter dem tempo¬
rären Dache. Der Regen war hindurch getröpfelt und hatte auf dem Boden
"ne Lache Kalkwasser gebildet, und die Blöcke von Marmor, Granit. Kupfer
und Blei, welche den Schaft bilden, sahen verwittert und von Frost angefressen
aus. Trübsinnig las ich auf ihnen die Inschriften:

"Louisiana, ewig treu der Union, verehrt diesen Granitblock."

"Alexandria. die Heimath Washingtons, sendet diese Tafel zu dessen
Denkmal. -- Freiheit und Einigkeit!"

"Diese Probe von Tennessee-Marmor bezeugt die nimmer ersterbende An-
hänglichkeit der Nachbarn Henry Clavs an die Union, gegründet von Georg
Washington, dem Vater seines Landes."


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„Eine traurige Stelle," fährt unser Reisender fort, „war dieser Sumpf,
als ich an einem Sonntagsnachmittag allein daran hinwanderte. Der Boden
war gefroren, und ich konnte trocken darüber gehen, aber kein Grashalm zeigte
sich. Nach allen Seiten um mich her gab es Vieh in großer Menge, mäch¬
tige Ochsen, die hungernd nach einer Mahlzeit brüllten. Sie waren Schlacht¬
thiere für die Armee, und wahrscheinlich sollten sie den hungrigen Magen nie
wieder füllen. Da auf dem braunen häßlichen Gefilde, im Angesichte des
Hauses des Präsidenten, stand der nutz- und gestaltlose Steinhaufen. Mir
war. als sähe ich in demselben den Genius des Ortes. Groß, anspruchsvoll,
kühn. ruhmredig stand er da. beretts um v,ele Köpfe größer als andere Obe¬
lisken, und doch noch ein Kind, häßlich, widerwärtig, eine Lüge. Der Grün¬
der des Monuments hat gesagt- hier soll der Weltobelisk stehen, wie der
Gründer der Stadt etwas Aehnliches von seinem Kinde gedacht haben mag.
Möglich allerdings bleibt es. daß sowohl die Stadt als der Obelisk einmal
fertig werden; gegenwärtig aber scheint Jedermann weder an das Eine noch
an das Andere zu glauben. Ich habe großes Vertrauen zu dem amerikanischen
Charakter, vermag aber weder der Stadt Washington noch dem Washington-
Denkmal eine Zukunft zu weissagen. Die Prahlerei ist zu groß und das. was
man bisher daran gethan hat, zu geringfügig gewesen."

Aehnliches sagt der Verfasser des Aufsatzes im „C o rnhill - Ma g azin ",
mi Amerikaner. An die Möglichkeit denkend. daß Washington der Union ge¬
nommen werden könnte, bemerkt er: „Der Verlust der Stadt wird vielleicht
für unmöglich gehalten. Die Arbeiter schichten Quader auf Quader beim Bau
des weitgedehnten Schatzamtes und bauen geschäftig an der großen Kuppel des>
Capitols. Nur ein Bauwerk verwittert in Vernachlässigung — der unfertige
Schaft des Washington-Denkmals. Ich tastete eines Nachmittags mich durch
die Pfützen und Sümpfe der Straße nach der Wohnung des Vortiers und pas-
sirte. nachdem ich den Schlüssel bekommen, über ein kolbiges Feld und durch
une Heerde von Armeevieh nach den wackeligen Stufen. Ich stieg diese hin¬
auf, schvv die Riegel einer Breterthür zurück und stand nun unter dem tempo¬
rären Dache. Der Regen war hindurch getröpfelt und hatte auf dem Boden
"ne Lache Kalkwasser gebildet, und die Blöcke von Marmor, Granit. Kupfer
und Blei, welche den Schaft bilden, sahen verwittert und von Frost angefressen
aus. Trübsinnig las ich auf ihnen die Inschriften:

„Louisiana, ewig treu der Union, verehrt diesen Granitblock."

„Alexandria. die Heimath Washingtons, sendet diese Tafel zu dessen
Denkmal. — Freiheit und Einigkeit!"

„Diese Probe von Tennessee-Marmor bezeugt die nimmer ersterbende An-
hänglichkeit der Nachbarn Henry Clavs an die Union, gegründet von Georg
Washington, dem Vater seines Landes."


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[0419] „Eine traurige Stelle," fährt unser Reisender fort, „war dieser Sumpf, als ich an einem Sonntagsnachmittag allein daran hinwanderte. Der Boden war gefroren, und ich konnte trocken darüber gehen, aber kein Grashalm zeigte sich. Nach allen Seiten um mich her gab es Vieh in großer Menge, mäch¬ tige Ochsen, die hungernd nach einer Mahlzeit brüllten. Sie waren Schlacht¬ thiere für die Armee, und wahrscheinlich sollten sie den hungrigen Magen nie wieder füllen. Da auf dem braunen häßlichen Gefilde, im Angesichte des Hauses des Präsidenten, stand der nutz- und gestaltlose Steinhaufen. Mir war. als sähe ich in demselben den Genius des Ortes. Groß, anspruchsvoll, kühn. ruhmredig stand er da. beretts um v,ele Köpfe größer als andere Obe¬ lisken, und doch noch ein Kind, häßlich, widerwärtig, eine Lüge. Der Grün¬ der des Monuments hat gesagt- hier soll der Weltobelisk stehen, wie der Gründer der Stadt etwas Aehnliches von seinem Kinde gedacht haben mag. Möglich allerdings bleibt es. daß sowohl die Stadt als der Obelisk einmal fertig werden; gegenwärtig aber scheint Jedermann weder an das Eine noch an das Andere zu glauben. Ich habe großes Vertrauen zu dem amerikanischen Charakter, vermag aber weder der Stadt Washington noch dem Washington- Denkmal eine Zukunft zu weissagen. Die Prahlerei ist zu groß und das. was man bisher daran gethan hat, zu geringfügig gewesen." Aehnliches sagt der Verfasser des Aufsatzes im „C o rnhill - Ma g azin ", mi Amerikaner. An die Möglichkeit denkend. daß Washington der Union ge¬ nommen werden könnte, bemerkt er: „Der Verlust der Stadt wird vielleicht für unmöglich gehalten. Die Arbeiter schichten Quader auf Quader beim Bau des weitgedehnten Schatzamtes und bauen geschäftig an der großen Kuppel des> Capitols. Nur ein Bauwerk verwittert in Vernachlässigung — der unfertige Schaft des Washington-Denkmals. Ich tastete eines Nachmittags mich durch die Pfützen und Sümpfe der Straße nach der Wohnung des Vortiers und pas- sirte. nachdem ich den Schlüssel bekommen, über ein kolbiges Feld und durch une Heerde von Armeevieh nach den wackeligen Stufen. Ich stieg diese hin¬ auf, schvv die Riegel einer Breterthür zurück und stand nun unter dem tempo¬ rären Dache. Der Regen war hindurch getröpfelt und hatte auf dem Boden "ne Lache Kalkwasser gebildet, und die Blöcke von Marmor, Granit. Kupfer und Blei, welche den Schaft bilden, sahen verwittert und von Frost angefressen aus. Trübsinnig las ich auf ihnen die Inschriften: „Louisiana, ewig treu der Union, verehrt diesen Granitblock." „Alexandria. die Heimath Washingtons, sendet diese Tafel zu dessen Denkmal. — Freiheit und Einigkeit!" „Diese Probe von Tennessee-Marmor bezeugt die nimmer ersterbende An- hänglichkeit der Nachbarn Henry Clavs an die Union, gegründet von Georg Washington, dem Vater seines Landes." 52*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/419>, abgerufen am 22.11.2024.