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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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und Russell-Square, sondern wie man sich in den Wüsten des heiligen Landes,
zwischen Emmaus und Arimathia verirrt. Niemand weiß zu sagen, wo die
Plätze des Plans sind, und ob sie wirklich existiren. Die Häuserzeilen, die man
nach demselben sucht, sind größtentheils noch Häuserzeilen in "pö. Statt
eines Straßennetzes trifft man auf mehr als fünf Sechstheilcn des Terrains,
welches der Stadtplan umfaßt, rauhe Hügel und Sumpflachen; ist man Jäger,
so kann man, das Haus des Präsidenten vor Augen, sehr leicht die Hoffnung
hegen, Schnepfen zu schießen. Jener Plan ist ein Parallelogramm von über
vier Meilen (englisch) Länge und etwas mehr als zwei Meilen Breite. Eine
solche Fläche mit Häusern mäßig dicht besetzt, würde einer Stadt'von einer
Million Einwohnern entsprechen. Das jetzige Washington aber hat eine blei¬
bende Bevölkerung von höchstens 60,000 Einwohnern, und selbst in der be¬
lebtesten Zeit der Congreßscssivnen halten sich hier schwerlich mehr als 80,000
Menschen auf. Die Gründer der Stadt haben offenbar das ungeheure Wachs¬
thum der Union geahnt und daran die Hoffnung geknüpft, das politische Cen¬
trum derselben müsse in gleichem Maß zunehmen. In letzterer Erwartung
täuschten sie sich, und so ist Washington jetzt in gewisser Beziehung das Gegen¬
bild von London. Will dieses, weil man ihm bei seiner Geburt die Mittel
zu geben vergaß, sich nach seinem wachsenden Leibesumfang zu richten, fast in
seinem eignen Fett ersticken, so erinnert jenes an das Haus des guten Ehe¬
manns, der nach seiner^Verheirathung die Freunde mit großer Selbstbefriedigung
durch ein halbes Dutzend Kinderstuben führt und nach zwanzig fahren immer
noch nur ein einziges schwächliches Kind besitzt.

Drei Hauptstraßen oder "L.viZnuL8" durchziehen Washington der ganzen
Länge nach: Virginia Avenue, Pennsylvania Avenue und Massachusetts Avenue
genannt. Aber nur die zweite derselben ist gewöhnlichen Menschen bekannt
und auch diese nur zur Hälfte. Diese Straße ist gleichsam das Rückgrat der
Stadt, und diejenigen Partien des Stadtplans, welche mit Häusern bedeckt
sind, gruppiren sich um jene westlich vom Capitol laufende Hcilfle. Die östliche
Fortsetzung derselben, von der Front des Capitols aus, ist wiederum Wüste.
Der Plan der Stadt ist übrigens etwas complicirt, "ein gewaltiges Labyrinth,
nicht ohne System". Das Capitol soll nach demselben der Mittelpunkt sen>>
Es blickt nach Osten, vom Potomac und -- unglücklicherweise auch von der
Hauptmasse der Stadt hinweg. Der jetzigen Hauptstraße, dem Schatzgebäude
und der Wohnung des Präsidenten kehrt es den Rücken zu. Vermuthlich fei¬
ten die nach Osten gehenden Straßen nach der Absicht der Gründer sich zuerst
mit Häusern und Menschen füllen, sie wollten aber nicht, und so zeigt das
Gebäude dem, was jetzt Washington ist, die Kehrseite.

Man kann auch sagen, Washington habe zwei Mittelpunkte: das Capitol
und das Haus des Präsidenten. Am Capitol laufen die vier Averner zusammen,


und Russell-Square, sondern wie man sich in den Wüsten des heiligen Landes,
zwischen Emmaus und Arimathia verirrt. Niemand weiß zu sagen, wo die
Plätze des Plans sind, und ob sie wirklich existiren. Die Häuserzeilen, die man
nach demselben sucht, sind größtentheils noch Häuserzeilen in »pö. Statt
eines Straßennetzes trifft man auf mehr als fünf Sechstheilcn des Terrains,
welches der Stadtplan umfaßt, rauhe Hügel und Sumpflachen; ist man Jäger,
so kann man, das Haus des Präsidenten vor Augen, sehr leicht die Hoffnung
hegen, Schnepfen zu schießen. Jener Plan ist ein Parallelogramm von über
vier Meilen (englisch) Länge und etwas mehr als zwei Meilen Breite. Eine
solche Fläche mit Häusern mäßig dicht besetzt, würde einer Stadt'von einer
Million Einwohnern entsprechen. Das jetzige Washington aber hat eine blei¬
bende Bevölkerung von höchstens 60,000 Einwohnern, und selbst in der be¬
lebtesten Zeit der Congreßscssivnen halten sich hier schwerlich mehr als 80,000
Menschen auf. Die Gründer der Stadt haben offenbar das ungeheure Wachs¬
thum der Union geahnt und daran die Hoffnung geknüpft, das politische Cen¬
trum derselben müsse in gleichem Maß zunehmen. In letzterer Erwartung
täuschten sie sich, und so ist Washington jetzt in gewisser Beziehung das Gegen¬
bild von London. Will dieses, weil man ihm bei seiner Geburt die Mittel
zu geben vergaß, sich nach seinem wachsenden Leibesumfang zu richten, fast in
seinem eignen Fett ersticken, so erinnert jenes an das Haus des guten Ehe¬
manns, der nach seiner^Verheirathung die Freunde mit großer Selbstbefriedigung
durch ein halbes Dutzend Kinderstuben führt und nach zwanzig fahren immer
noch nur ein einziges schwächliches Kind besitzt.

Drei Hauptstraßen oder „L.viZnuL8" durchziehen Washington der ganzen
Länge nach: Virginia Avenue, Pennsylvania Avenue und Massachusetts Avenue
genannt. Aber nur die zweite derselben ist gewöhnlichen Menschen bekannt
und auch diese nur zur Hälfte. Diese Straße ist gleichsam das Rückgrat der
Stadt, und diejenigen Partien des Stadtplans, welche mit Häusern bedeckt
sind, gruppiren sich um jene westlich vom Capitol laufende Hcilfle. Die östliche
Fortsetzung derselben, von der Front des Capitols aus, ist wiederum Wüste.
Der Plan der Stadt ist übrigens etwas complicirt, „ein gewaltiges Labyrinth,
nicht ohne System". Das Capitol soll nach demselben der Mittelpunkt sen>>
Es blickt nach Osten, vom Potomac und — unglücklicherweise auch von der
Hauptmasse der Stadt hinweg. Der jetzigen Hauptstraße, dem Schatzgebäude
und der Wohnung des Präsidenten kehrt es den Rücken zu. Vermuthlich fei¬
ten die nach Osten gehenden Straßen nach der Absicht der Gründer sich zuerst
mit Häusern und Menschen füllen, sie wollten aber nicht, und so zeigt das
Gebäude dem, was jetzt Washington ist, die Kehrseite.

Man kann auch sagen, Washington habe zwei Mittelpunkte: das Capitol
und das Haus des Präsidenten. Am Capitol laufen die vier Averner zusammen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/410>, abgerufen am 22.11.2024.