Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bild deutscher Einheit zu Händen gekommen ist, das wir Alle kennen. Wie
sollte e<> sich anders Verhalten in den Anfangszeiten der Geschichte, wo die
Schöpfungen des Menschengeistes noch den Reiz deS Werdens an sich tragen,
die Dinge und die Begriffe, die Menschen und die Völker noch ihr ursprüngliches
scharfes Gepräge zeigen, sich noch nicht an einander ab- und verschlissen haben?
Versuche" wir es denn, von den merkwürdigen Dingen, welche die Thaler und
Pfennige des Alterthums in ihrer Sprache erzählen, einiges Wenige in die
"nsrige zu übersetzen.

Wie der Diamant nur durch sich selbst geschliffen werden kann, so bildet
der Mensch sich nur am Menschen. Perkehr der Menschen mit einander-- das
ist Civilisation; und er wirkt um so rascher und mächtiger, je größere und je
verschiedenartigere Massen sich einander berühren. Denn das Ungleiche muß
sich paaren, wenn etwas werden soll; das ist wie ein Gesetz der Natur
so auch das der Geschichte. So beherrscht und durchdringt der gewaltige Gegen¬
satz von Orient und Occident die ganze Menschengeschichte; so in engeren, aber
immer noch ungeheuren Kreisen die Geschichte des Alterthums der Gegensatz
von Griechenland und Rom, die Geschichte der Neuzeit der Gegensatz von
Romanen und Germanen. Viele Wege führen nach diesem Ziel; für die stetige
Steigerung dieses Verkehrs arbeiten wir Alle, was wir auch treiben, ob wir
Bücher machen oder Stiefel, vorausgesetzt freilich, daß beide etwas taugen.
Aber unter den zahllosen Civilisativnsmitteln gibt es doch zwei, die in unver¬
gleichlich gewaltiger Weise die Menschen und die Volker zusammenführen und
zusammenbinden und deren Wirksamkeit, im grauen Alterthum beginnend,
noch bis auf den heutigen Tag beständig im Zunehmen ist, so daß deren Son¬
nenhöhe kein menschliches Auge abmißt -- ich meine die Schrift und die Münze.
Und doch sind beide einmal nicht da gewesen und beide sind positive Erfindungen
deS Menschengeistes, so gut wie die Dampfmaschine und der Telegraph, nur
daß wir zufällig den Namen des Erfinders und das Jahr der Erfindung bei
jenen anzugeben nicht vermögen. Ich meine auch nicht Erfindungen in dem
Sinne, daß die Entwickelung des Menschengeistes in jedem Volte darauf mit
Nothwendigkeit hingeführt und aus gleichem Bedürfniß überall ähnliche Wir¬
kungen sich selbständig erzeugt hätten; nein es hat, wie eine erste Dampf¬
maschine, so auch ein erstes Alphabet und ein erstes Geldstück gegeben, und
aus diesen sind im Laufe der Jahrtausende, von geringfügigen Ausnahmen
abgesehen, alle jene zahllosen Schriftgattungen und Münzordnungen hervor¬
gegangen, deren Alterthum und Neuzeit, Orient und Occident sich bedient
haben und heut" noch bedienen. Alle Nationen, zu denen von diesem phöni-
kischen Uralphabet, von dieser kleinasiatischen Münzvrdnung kein Schößling
gelangt ist, stehen in Folge dessen, wo nicht außerhalb der Civilisation, doch
außerhalb desjenigen Kreises derselben, der in der Entwickelung des Menschen-


bild deutscher Einheit zu Händen gekommen ist, das wir Alle kennen. Wie
sollte e<> sich anders Verhalten in den Anfangszeiten der Geschichte, wo die
Schöpfungen des Menschengeistes noch den Reiz deS Werdens an sich tragen,
die Dinge und die Begriffe, die Menschen und die Völker noch ihr ursprüngliches
scharfes Gepräge zeigen, sich noch nicht an einander ab- und verschlissen haben?
Versuche» wir es denn, von den merkwürdigen Dingen, welche die Thaler und
Pfennige des Alterthums in ihrer Sprache erzählen, einiges Wenige in die
«nsrige zu übersetzen.

Wie der Diamant nur durch sich selbst geschliffen werden kann, so bildet
der Mensch sich nur am Menschen. Perkehr der Menschen mit einander— das
ist Civilisation; und er wirkt um so rascher und mächtiger, je größere und je
verschiedenartigere Massen sich einander berühren. Denn das Ungleiche muß
sich paaren, wenn etwas werden soll; das ist wie ein Gesetz der Natur
so auch das der Geschichte. So beherrscht und durchdringt der gewaltige Gegen¬
satz von Orient und Occident die ganze Menschengeschichte; so in engeren, aber
immer noch ungeheuren Kreisen die Geschichte des Alterthums der Gegensatz
von Griechenland und Rom, die Geschichte der Neuzeit der Gegensatz von
Romanen und Germanen. Viele Wege führen nach diesem Ziel; für die stetige
Steigerung dieses Verkehrs arbeiten wir Alle, was wir auch treiben, ob wir
Bücher machen oder Stiefel, vorausgesetzt freilich, daß beide etwas taugen.
Aber unter den zahllosen Civilisativnsmitteln gibt es doch zwei, die in unver¬
gleichlich gewaltiger Weise die Menschen und die Volker zusammenführen und
zusammenbinden und deren Wirksamkeit, im grauen Alterthum beginnend,
noch bis auf den heutigen Tag beständig im Zunehmen ist, so daß deren Son¬
nenhöhe kein menschliches Auge abmißt — ich meine die Schrift und die Münze.
Und doch sind beide einmal nicht da gewesen und beide sind positive Erfindungen
deS Menschengeistes, so gut wie die Dampfmaschine und der Telegraph, nur
daß wir zufällig den Namen des Erfinders und das Jahr der Erfindung bei
jenen anzugeben nicht vermögen. Ich meine auch nicht Erfindungen in dem
Sinne, daß die Entwickelung des Menschengeistes in jedem Volte darauf mit
Nothwendigkeit hingeführt und aus gleichem Bedürfniß überall ähnliche Wir¬
kungen sich selbständig erzeugt hätten; nein es hat, wie eine erste Dampf¬
maschine, so auch ein erstes Alphabet und ein erstes Geldstück gegeben, und
aus diesen sind im Laufe der Jahrtausende, von geringfügigen Ausnahmen
abgesehen, alle jene zahllosen Schriftgattungen und Münzordnungen hervor¬
gegangen, deren Alterthum und Neuzeit, Orient und Occident sich bedient
haben und heut« noch bedienen. Alle Nationen, zu denen von diesem phöni-
kischen Uralphabet, von dieser kleinasiatischen Münzvrdnung kein Schößling
gelangt ist, stehen in Folge dessen, wo nicht außerhalb der Civilisation, doch
außerhalb desjenigen Kreises derselben, der in der Entwickelung des Menschen-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0390" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187884"/>
          <p xml:id="ID_1446" prev="#ID_1445"> bild deutscher Einheit zu Händen gekommen ist, das wir Alle kennen. Wie<lb/>
sollte e&lt;&gt; sich anders Verhalten in den Anfangszeiten der Geschichte, wo die<lb/>
Schöpfungen des Menschengeistes noch den Reiz deS Werdens an sich tragen,<lb/>
die Dinge und die Begriffe, die Menschen und die Völker noch ihr ursprüngliches<lb/>
scharfes Gepräge zeigen, sich noch nicht an einander ab- und verschlissen haben?<lb/>
Versuche» wir es denn, von den merkwürdigen Dingen, welche die Thaler und<lb/>
Pfennige des Alterthums in ihrer Sprache erzählen, einiges Wenige in die<lb/>
«nsrige zu übersetzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1447" next="#ID_1448"> Wie der Diamant nur durch sich selbst geschliffen werden kann, so bildet<lb/>
der Mensch sich nur am Menschen. Perkehr der Menschen mit einander&#x2014; das<lb/>
ist Civilisation; und er wirkt um so rascher und mächtiger, je größere und je<lb/>
verschiedenartigere Massen sich einander berühren. Denn das Ungleiche muß<lb/>
sich paaren, wenn etwas werden soll; das ist wie ein Gesetz der Natur<lb/>
so auch das der Geschichte. So beherrscht und durchdringt der gewaltige Gegen¬<lb/>
satz von Orient und Occident die ganze Menschengeschichte; so in engeren, aber<lb/>
immer noch ungeheuren Kreisen die Geschichte des Alterthums der Gegensatz<lb/>
von Griechenland und Rom, die Geschichte der Neuzeit der Gegensatz von<lb/>
Romanen und Germanen. Viele Wege führen nach diesem Ziel; für die stetige<lb/>
Steigerung dieses Verkehrs arbeiten wir Alle, was wir auch treiben, ob wir<lb/>
Bücher machen oder Stiefel, vorausgesetzt freilich, daß beide etwas taugen.<lb/>
Aber unter den zahllosen Civilisativnsmitteln gibt es doch zwei, die in unver¬<lb/>
gleichlich gewaltiger Weise die Menschen und die Volker zusammenführen und<lb/>
zusammenbinden und deren Wirksamkeit, im grauen Alterthum beginnend,<lb/>
noch bis auf den heutigen Tag beständig im Zunehmen ist, so daß deren Son¬<lb/>
nenhöhe kein menschliches Auge abmißt &#x2014; ich meine die Schrift und die Münze.<lb/>
Und doch sind beide einmal nicht da gewesen und beide sind positive Erfindungen<lb/>
deS Menschengeistes, so gut wie die Dampfmaschine und der Telegraph, nur<lb/>
daß wir zufällig den Namen des Erfinders und das Jahr der Erfindung bei<lb/>
jenen anzugeben nicht vermögen. Ich meine auch nicht Erfindungen in dem<lb/>
Sinne, daß die Entwickelung des Menschengeistes in jedem Volte darauf mit<lb/>
Nothwendigkeit hingeführt und aus gleichem Bedürfniß überall ähnliche Wir¬<lb/>
kungen sich selbständig erzeugt hätten; nein es hat, wie eine erste Dampf¬<lb/>
maschine, so auch ein erstes Alphabet und ein erstes Geldstück gegeben, und<lb/>
aus diesen sind im Laufe der Jahrtausende, von geringfügigen Ausnahmen<lb/>
abgesehen, alle jene zahllosen Schriftgattungen und Münzordnungen hervor¬<lb/>
gegangen, deren Alterthum und Neuzeit, Orient und Occident sich bedient<lb/>
haben und heut« noch bedienen. Alle Nationen, zu denen von diesem phöni-<lb/>
kischen Uralphabet, von dieser kleinasiatischen Münzvrdnung kein Schößling<lb/>
gelangt ist, stehen in Folge dessen, wo nicht außerhalb der Civilisation, doch<lb/>
außerhalb desjenigen Kreises derselben, der in der Entwickelung des Menschen-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0390] bild deutscher Einheit zu Händen gekommen ist, das wir Alle kennen. Wie sollte e<> sich anders Verhalten in den Anfangszeiten der Geschichte, wo die Schöpfungen des Menschengeistes noch den Reiz deS Werdens an sich tragen, die Dinge und die Begriffe, die Menschen und die Völker noch ihr ursprüngliches scharfes Gepräge zeigen, sich noch nicht an einander ab- und verschlissen haben? Versuche» wir es denn, von den merkwürdigen Dingen, welche die Thaler und Pfennige des Alterthums in ihrer Sprache erzählen, einiges Wenige in die «nsrige zu übersetzen. Wie der Diamant nur durch sich selbst geschliffen werden kann, so bildet der Mensch sich nur am Menschen. Perkehr der Menschen mit einander— das ist Civilisation; und er wirkt um so rascher und mächtiger, je größere und je verschiedenartigere Massen sich einander berühren. Denn das Ungleiche muß sich paaren, wenn etwas werden soll; das ist wie ein Gesetz der Natur so auch das der Geschichte. So beherrscht und durchdringt der gewaltige Gegen¬ satz von Orient und Occident die ganze Menschengeschichte; so in engeren, aber immer noch ungeheuren Kreisen die Geschichte des Alterthums der Gegensatz von Griechenland und Rom, die Geschichte der Neuzeit der Gegensatz von Romanen und Germanen. Viele Wege führen nach diesem Ziel; für die stetige Steigerung dieses Verkehrs arbeiten wir Alle, was wir auch treiben, ob wir Bücher machen oder Stiefel, vorausgesetzt freilich, daß beide etwas taugen. Aber unter den zahllosen Civilisativnsmitteln gibt es doch zwei, die in unver¬ gleichlich gewaltiger Weise die Menschen und die Volker zusammenführen und zusammenbinden und deren Wirksamkeit, im grauen Alterthum beginnend, noch bis auf den heutigen Tag beständig im Zunehmen ist, so daß deren Son¬ nenhöhe kein menschliches Auge abmißt — ich meine die Schrift und die Münze. Und doch sind beide einmal nicht da gewesen und beide sind positive Erfindungen deS Menschengeistes, so gut wie die Dampfmaschine und der Telegraph, nur daß wir zufällig den Namen des Erfinders und das Jahr der Erfindung bei jenen anzugeben nicht vermögen. Ich meine auch nicht Erfindungen in dem Sinne, daß die Entwickelung des Menschengeistes in jedem Volte darauf mit Nothwendigkeit hingeführt und aus gleichem Bedürfniß überall ähnliche Wir¬ kungen sich selbständig erzeugt hätten; nein es hat, wie eine erste Dampf¬ maschine, so auch ein erstes Alphabet und ein erstes Geldstück gegeben, und aus diesen sind im Laufe der Jahrtausende, von geringfügigen Ausnahmen abgesehen, alle jene zahllosen Schriftgattungen und Münzordnungen hervor¬ gegangen, deren Alterthum und Neuzeit, Orient und Occident sich bedient haben und heut« noch bedienen. Alle Nationen, zu denen von diesem phöni- kischen Uralphabet, von dieser kleinasiatischen Münzvrdnung kein Schößling gelangt ist, stehen in Folge dessen, wo nicht außerhalb der Civilisation, doch außerhalb desjenigen Kreises derselben, der in der Entwickelung des Menschen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/390
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/390>, abgerufen am 24.11.2024.