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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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deutschen Landes nur noch Erinnerung an die seltenen Gaben seines Geistes
und Herzens hatten und in aufrichtiger Trauer einig waren, da haben sie ihm
das Glockengeiäut mißgönnt, das schwarze Kleid, den Trauerrand um ihre
Blätter versagt, ein Zeugniß sowohl für ihren sittlichen Bildungsstand, wie
für die Aufrichtigkeit ihrer Declamation von Personalunion, Nachher haben
sie alle dem Könige nicht erwiesenen Todtenehren für Schneidergesellen und
Setzerlehrlinge bereit gehalten, und Meuchelmörder, wie Jarvszynski, Ryll und
Rzvnka als Märtyrer betrauert.

Aber die Sprachenfrage? Die einfache Thatsache, daß Sie, Herr Redacteur,
der Sie wiederholt für das Recht des mißhandelten Bruderstammes in Schleswig-
Holstein eingetreten sind, sich erbieten, Ihr Blatt der preußisch-deutschen Auf¬
fassung der Pvlenfrage zu öffnen, beweist mir, daß man uns doch in Deutsch¬
land für so schwarz nicht hält, wie uns Herr v. Bentkowski, der Sprach-
meister, schildert, und daß Sie nicht glauben, das Schicksal der preußischen
Polen sei dem der Deutschen Schleswig-Holsteins gleich. Nichts wäre auch
falscher. Aus dem Markte, in der Gesellschaft, in der Schule, in der Kirche ist
das Polnische völlig frei, stellenweis allein herrschend. In Kirche und Schule
ist sogar das Deutsche unterdrückt, und es gibt Stellen, wo es den Deutschen,
namentlich den katholischen, hier zu Lande nicht viel anders ergeht, als den
Schleswigern, nur daß der Terrorismus von einer andern Stelle ausgeht.
Die Unterrichtssprache aller katholischen Schulen der gemischten Kreise ist
polnisch. Der arme deutsche Junge versteht davon nichts und bittet den Lehrer
schüchtern, er möge ihm das auch zeigen. "Kannst polnisch lernen, dazu bist
du hier; deutsch lernst du ja beim Vater." Noch schlimmer erging es einem
deutschen katholischen Knaben, den der Lehrer beim Spiel belauscht hatte und
andern Tags mit den Worten strafte: "wie kannst du in einer so schmutzigen
Sprache, wie die deutsche ist, spielen."

An den Höhren Lehranstalten katholischer Konfession ist polnisch die Unter¬
richtssprache der vier untern Classen; in Prima und Secunda soll es die
deutsche sein. Als Unterrichtsgegenstand wird die polnische Sprache in allen
Schulen der Provinz getrieben. Die Gottesdienste der Polen sind lateinisch
und polnisch. Versprengte Deutsche müssen in diesen Sprachen einstimmen,
und eine Wittwe zu K. bei M6, die in der katholischen Kirche still für sich
aus dem deutschen Buche betete, ward zur Strafe aus ihrem Dienst gejagt-
Wo die deutschen Minoritäten stark sind, richtet etwa die Behörde gegen
besondere Entschädigungen deutsche Gottesdienste ein.

Ein junger Geistlicher, der einen solchen abzuhalten hatte, reichte eine
polnische Quittung für das dafür erhobene Gehalt ein, bemerkend, er sei im
Deutschen nicht genug gefördert, um eine deutsche Quittung ausstellen zu
können.


deutschen Landes nur noch Erinnerung an die seltenen Gaben seines Geistes
und Herzens hatten und in aufrichtiger Trauer einig waren, da haben sie ihm
das Glockengeiäut mißgönnt, das schwarze Kleid, den Trauerrand um ihre
Blätter versagt, ein Zeugniß sowohl für ihren sittlichen Bildungsstand, wie
für die Aufrichtigkeit ihrer Declamation von Personalunion, Nachher haben
sie alle dem Könige nicht erwiesenen Todtenehren für Schneidergesellen und
Setzerlehrlinge bereit gehalten, und Meuchelmörder, wie Jarvszynski, Ryll und
Rzvnka als Märtyrer betrauert.

Aber die Sprachenfrage? Die einfache Thatsache, daß Sie, Herr Redacteur,
der Sie wiederholt für das Recht des mißhandelten Bruderstammes in Schleswig-
Holstein eingetreten sind, sich erbieten, Ihr Blatt der preußisch-deutschen Auf¬
fassung der Pvlenfrage zu öffnen, beweist mir, daß man uns doch in Deutsch¬
land für so schwarz nicht hält, wie uns Herr v. Bentkowski, der Sprach-
meister, schildert, und daß Sie nicht glauben, das Schicksal der preußischen
Polen sei dem der Deutschen Schleswig-Holsteins gleich. Nichts wäre auch
falscher. Aus dem Markte, in der Gesellschaft, in der Schule, in der Kirche ist
das Polnische völlig frei, stellenweis allein herrschend. In Kirche und Schule
ist sogar das Deutsche unterdrückt, und es gibt Stellen, wo es den Deutschen,
namentlich den katholischen, hier zu Lande nicht viel anders ergeht, als den
Schleswigern, nur daß der Terrorismus von einer andern Stelle ausgeht.
Die Unterrichtssprache aller katholischen Schulen der gemischten Kreise ist
polnisch. Der arme deutsche Junge versteht davon nichts und bittet den Lehrer
schüchtern, er möge ihm das auch zeigen. „Kannst polnisch lernen, dazu bist
du hier; deutsch lernst du ja beim Vater." Noch schlimmer erging es einem
deutschen katholischen Knaben, den der Lehrer beim Spiel belauscht hatte und
andern Tags mit den Worten strafte: „wie kannst du in einer so schmutzigen
Sprache, wie die deutsche ist, spielen."

An den Höhren Lehranstalten katholischer Konfession ist polnisch die Unter¬
richtssprache der vier untern Classen; in Prima und Secunda soll es die
deutsche sein. Als Unterrichtsgegenstand wird die polnische Sprache in allen
Schulen der Provinz getrieben. Die Gottesdienste der Polen sind lateinisch
und polnisch. Versprengte Deutsche müssen in diesen Sprachen einstimmen,
und eine Wittwe zu K. bei M6, die in der katholischen Kirche still für sich
aus dem deutschen Buche betete, ward zur Strafe aus ihrem Dienst gejagt-
Wo die deutschen Minoritäten stark sind, richtet etwa die Behörde gegen
besondere Entschädigungen deutsche Gottesdienste ein.

Ein junger Geistlicher, der einen solchen abzuhalten hatte, reichte eine
polnische Quittung für das dafür erhobene Gehalt ein, bemerkend, er sei im
Deutschen nicht genug gefördert, um eine deutsche Quittung ausstellen zu
können.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/384>, abgerufen am 28.07.2024.