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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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über bei Seite setzt, und es nicht verschmäht, von wohlunterrichteten Persern
sich Aufschlüsse über Haupt- und Staatsactionen ihres Reichs in die Feder dictiren
zu lassen oder armenische Qucllenwcrke im Originale zu studiren; ihre Genauig¬
keit in der Wiedergabe deutscher und persischer Namen werden die Zeitgenossen
schwerlich zu würdigen gewußt haben, für uns ist sie unschätzbar. Sie be¬
fleißigen sich ferner großer Sorgfalt in Beschreibung der Localitäten, auf de¬
nen die Ereignisse spielen, und schalten mit Vorliebe geographische und ethno¬
graphische Skizzen ein. Noch bemerkenswerther ist ihr Streben, der Geschichts-
darstellung einen möglichst urkundlichen Charakter zu verschaffen: in größerer
Anzahl als irgend einer ihrer Vorgänger theilen sie Actenstücke, Briefe, Ge-
sandtschaftsberichte u, s. w. mit. In diesem löblichen Eifer sind sie freilich nur
zu oft der Versuchung erlegen, in diplomatischen Durchstechereien das eigent¬
liche Getriebe der Weltgeschichte zu erblicken; und wie wenig sie ihre kritische
Methode an dem Klatsch der Antichambre bethätigten, davon sind die Anet-
dota des Procopius ein laut redendes Beispiel. Mit den Geschichtschreibern
des classischen Alterthums sind sie ohne Ausnahme wohlvertraut und nehmen
sich dieselben zum Muster, in einem Grade, der ihrer Darstellung wenig zum
Vortheil gereicht. Ihre Achillesferse ist der gesuchte, prunkvolle Stil, der bei
Allen in Manier, bei Vielen in Geschmacklosigkeit, bei Thcophylaktus in un¬
verständlichen Schwulst ausartet. Den Vergleich mit Herodot oder Thucydides,
den sie nachäffen, oder auch nur den mit Polybius halten sie nicht aus; aber den
besten der späteren griechisch-römischen Historiker darf man sie getrost zur Seite stel¬
len: Schönrednern wie Herodian sind sie an Ernst der Forschung sogar weit über¬
legen. Mit ihrer Haupttugend, der Objektivität, hat es freilich eine eigne Bewandt-
niß. Sie stehen mit ihren politischen Anschauungen und Sympathien auf dem
Boden der ersten drei Jahrhunderte des Kaiserreichs; dem unter ihren Augen
sich vollendenden Beamtcnstaate stehen sie nicht feindlich, aber gleichgiltig gegen¬
über. Die älteren Vertreter der Schule waren sämmtlich Heiden, der geistvolle
Eunapiuv sogar ein fanatischer Heide; da offene Ausfälle gegen die Staatsreli¬
gion immer gefährlicher wurden, so kam man mehr und mehr dahin überein,
das Christenthum als etwas, das ist, zu nehmen, es, soweit es irgend ging,
zu ignoriren und als ein Institut zu behandeln, welches zu discutiren unter
der Würde der geschichtlichen Muse sei. Dieser von bedeutenden Männern wie
Eunapius und Zosimus angeschlagene Ton ward, da die literarisch gebildeten
Kreise auch damals noch vom Christenthum wenig berührt worden waren, für
die Geschichtschreibung so maßgebend, baß auch die späteren christlichen Reprä¬
sentanten der Schule sich ihm nicht haben entziehen können: ihre kühl referi-
renden Notizen über kirchliche Dinge, die nicht allein im sechsten Jahrhundert die
christliche Welt bewegten, haben mehr als Einen darunter bei neueren Forschern
in den unbegründeten Verdacht heimlichen Heidenthums gebracht. Wohl das


über bei Seite setzt, und es nicht verschmäht, von wohlunterrichteten Persern
sich Aufschlüsse über Haupt- und Staatsactionen ihres Reichs in die Feder dictiren
zu lassen oder armenische Qucllenwcrke im Originale zu studiren; ihre Genauig¬
keit in der Wiedergabe deutscher und persischer Namen werden die Zeitgenossen
schwerlich zu würdigen gewußt haben, für uns ist sie unschätzbar. Sie be¬
fleißigen sich ferner großer Sorgfalt in Beschreibung der Localitäten, auf de¬
nen die Ereignisse spielen, und schalten mit Vorliebe geographische und ethno¬
graphische Skizzen ein. Noch bemerkenswerther ist ihr Streben, der Geschichts-
darstellung einen möglichst urkundlichen Charakter zu verschaffen: in größerer
Anzahl als irgend einer ihrer Vorgänger theilen sie Actenstücke, Briefe, Ge-
sandtschaftsberichte u, s. w. mit. In diesem löblichen Eifer sind sie freilich nur
zu oft der Versuchung erlegen, in diplomatischen Durchstechereien das eigent¬
liche Getriebe der Weltgeschichte zu erblicken; und wie wenig sie ihre kritische
Methode an dem Klatsch der Antichambre bethätigten, davon sind die Anet-
dota des Procopius ein laut redendes Beispiel. Mit den Geschichtschreibern
des classischen Alterthums sind sie ohne Ausnahme wohlvertraut und nehmen
sich dieselben zum Muster, in einem Grade, der ihrer Darstellung wenig zum
Vortheil gereicht. Ihre Achillesferse ist der gesuchte, prunkvolle Stil, der bei
Allen in Manier, bei Vielen in Geschmacklosigkeit, bei Thcophylaktus in un¬
verständlichen Schwulst ausartet. Den Vergleich mit Herodot oder Thucydides,
den sie nachäffen, oder auch nur den mit Polybius halten sie nicht aus; aber den
besten der späteren griechisch-römischen Historiker darf man sie getrost zur Seite stel¬
len: Schönrednern wie Herodian sind sie an Ernst der Forschung sogar weit über¬
legen. Mit ihrer Haupttugend, der Objektivität, hat es freilich eine eigne Bewandt-
niß. Sie stehen mit ihren politischen Anschauungen und Sympathien auf dem
Boden der ersten drei Jahrhunderte des Kaiserreichs; dem unter ihren Augen
sich vollendenden Beamtcnstaate stehen sie nicht feindlich, aber gleichgiltig gegen¬
über. Die älteren Vertreter der Schule waren sämmtlich Heiden, der geistvolle
Eunapiuv sogar ein fanatischer Heide; da offene Ausfälle gegen die Staatsreli¬
gion immer gefährlicher wurden, so kam man mehr und mehr dahin überein,
das Christenthum als etwas, das ist, zu nehmen, es, soweit es irgend ging,
zu ignoriren und als ein Institut zu behandeln, welches zu discutiren unter
der Würde der geschichtlichen Muse sei. Dieser von bedeutenden Männern wie
Eunapius und Zosimus angeschlagene Ton ward, da die literarisch gebildeten
Kreise auch damals noch vom Christenthum wenig berührt worden waren, für
die Geschichtschreibung so maßgebend, baß auch die späteren christlichen Reprä¬
sentanten der Schule sich ihm nicht haben entziehen können: ihre kühl referi-
renden Notizen über kirchliche Dinge, die nicht allein im sechsten Jahrhundert die
christliche Welt bewegten, haben mehr als Einen darunter bei neueren Forschern
in den unbegründeten Verdacht heimlichen Heidenthums gebracht. Wohl das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/352>, abgerufen am 28.07.2024.