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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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in dem 631 auftauchenden Monotheismus bald auch ihren letzten Gegner über¬
wand , konnte fortan selbständiger Denker entrathen und sich ganz auf sich selbst
zurückziehen. Wie leicht es war, innerhalb derselben ohne großen Aufwand
von Denken große Berühmtheit zu erlangen, beweisen die Erfolge der frommen
Röhrwasserbercdtsamkeit des Joannes Mansur von Damaskus, des Berthei¬
digers der Bilder gegen den Kaiser Konstantin Kopronymos. Um sich die Be¬
deutung des sechsten Jahrhunderts als Wendepunkt zweier Literaturen recht zu ver¬
gegenwärtigen, blicke man auf die Dionysiaka des Nonnus oder eines der
späteren Gedichte der ägyptischen Dichterschule aus dem fünften Jahrhundert,
mit ihren sorglich gefeilten Versen, in deren Bau selbstgeschaffene Schwierig¬
keiten mit Meisterschaft überwunden werden, strotzend von antiquarischer Ge¬
lehrsamkeit und phantastischem Inhalt, und vergleiche damit die hüpfenden
Versehen der Anatreonteen, oder gar die zwei an Form und Inhalt gleich leicht
wiegenden jambischen Gedichte, in denen Georg der Pisidier das göttliche und
das menschliche Hexaemeron besang, nämlich den sechsjährigen Feldzug des Hera-
klius gegen die Perser, den die geschmackvolle" Höflinge mit dem sechstägigen
Schöpfungswerk verglichen! Oder man denke an das geographische Werk des
Alexandriners Pappus aus dem Ende des vierten Jahrhunderts, von dem wir
uns durch den Auszug des Moses von Chorene noch eine Vorstellung machen
können, in welchem die Geographie rein theoretisch, auf mathematischer Grund¬
lage und durchaus im Anschluß an die gute Tradition des Alterthums behan¬
delt war. und man halte dagegen "des Christen Topographie" von Kosmas
aus der Mitte des sechsten Jahrhunderts, in welcher die Umkehr der Wissen¬
schaft mit einer selbst an einem ägyptischen Mönche bewundernswerthen Igno¬
ranz in den ersten Grundbegriffen und mit einer rücksichtslosen Gründlichkeit
durchgeführt worden ist, die selbst den unbescheidensten Forderungen der Ortho¬
doxie des neunzehnten Jahrhunderts genügen dürfte -- in welcher aber auf
der anderen Seite der Gebrauch, den der weit herumgekommene Versasser von
seiner Autopsie macht, von dem Bestreben zeugt, die Geographie wieder in
nähere Beziehung zum praktischen Leben zu setzen.

Auf keinem Gebiete tritt der Umschwung der Geister, der sich auch im
Orient endgiltig im sechsten Jahrhundert vollzogen hat, so offen zu Tage als
"> der Geschichtschreibung, an der sich ein ganz analoger Entwicklungsgang
Verfolgen läßt wie im Abendlande. Die historische Kunst der Griechen hat
während des fünften und sechsten Jahrhunderts in der von Eunapius begrün¬
deten historischen Schule, deren namhafteste Vertreter Zosimus, Olympiodor,
Pnscus, Eustathius, Procopius. Agathias, Menander und Thcophylaktus
Sunokatta sind, eine schöne Nachblüthe erlebt. Ein Vorzug dieser Schule ist
U)r echt geschichtlicher Sinn, ihr unerschrockenes, rastloses Bemühen um richtige
Information, welches auch den altgriechischen Hochmuth den Barbaren gegen-


in dem 631 auftauchenden Monotheismus bald auch ihren letzten Gegner über¬
wand , konnte fortan selbständiger Denker entrathen und sich ganz auf sich selbst
zurückziehen. Wie leicht es war, innerhalb derselben ohne großen Aufwand
von Denken große Berühmtheit zu erlangen, beweisen die Erfolge der frommen
Röhrwasserbercdtsamkeit des Joannes Mansur von Damaskus, des Berthei¬
digers der Bilder gegen den Kaiser Konstantin Kopronymos. Um sich die Be¬
deutung des sechsten Jahrhunderts als Wendepunkt zweier Literaturen recht zu ver¬
gegenwärtigen, blicke man auf die Dionysiaka des Nonnus oder eines der
späteren Gedichte der ägyptischen Dichterschule aus dem fünften Jahrhundert,
mit ihren sorglich gefeilten Versen, in deren Bau selbstgeschaffene Schwierig¬
keiten mit Meisterschaft überwunden werden, strotzend von antiquarischer Ge¬
lehrsamkeit und phantastischem Inhalt, und vergleiche damit die hüpfenden
Versehen der Anatreonteen, oder gar die zwei an Form und Inhalt gleich leicht
wiegenden jambischen Gedichte, in denen Georg der Pisidier das göttliche und
das menschliche Hexaemeron besang, nämlich den sechsjährigen Feldzug des Hera-
klius gegen die Perser, den die geschmackvolle» Höflinge mit dem sechstägigen
Schöpfungswerk verglichen! Oder man denke an das geographische Werk des
Alexandriners Pappus aus dem Ende des vierten Jahrhunderts, von dem wir
uns durch den Auszug des Moses von Chorene noch eine Vorstellung machen
können, in welchem die Geographie rein theoretisch, auf mathematischer Grund¬
lage und durchaus im Anschluß an die gute Tradition des Alterthums behan¬
delt war. und man halte dagegen „des Christen Topographie" von Kosmas
aus der Mitte des sechsten Jahrhunderts, in welcher die Umkehr der Wissen¬
schaft mit einer selbst an einem ägyptischen Mönche bewundernswerthen Igno¬
ranz in den ersten Grundbegriffen und mit einer rücksichtslosen Gründlichkeit
durchgeführt worden ist, die selbst den unbescheidensten Forderungen der Ortho¬
doxie des neunzehnten Jahrhunderts genügen dürfte — in welcher aber auf
der anderen Seite der Gebrauch, den der weit herumgekommene Versasser von
seiner Autopsie macht, von dem Bestreben zeugt, die Geographie wieder in
nähere Beziehung zum praktischen Leben zu setzen.

Auf keinem Gebiete tritt der Umschwung der Geister, der sich auch im
Orient endgiltig im sechsten Jahrhundert vollzogen hat, so offen zu Tage als
»> der Geschichtschreibung, an der sich ein ganz analoger Entwicklungsgang
Verfolgen läßt wie im Abendlande. Die historische Kunst der Griechen hat
während des fünften und sechsten Jahrhunderts in der von Eunapius begrün¬
deten historischen Schule, deren namhafteste Vertreter Zosimus, Olympiodor,
Pnscus, Eustathius, Procopius. Agathias, Menander und Thcophylaktus
Sunokatta sind, eine schöne Nachblüthe erlebt. Ein Vorzug dieser Schule ist
U)r echt geschichtlicher Sinn, ihr unerschrockenes, rastloses Bemühen um richtige
Information, welches auch den altgriechischen Hochmuth den Barbaren gegen-


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[0351] in dem 631 auftauchenden Monotheismus bald auch ihren letzten Gegner über¬ wand , konnte fortan selbständiger Denker entrathen und sich ganz auf sich selbst zurückziehen. Wie leicht es war, innerhalb derselben ohne großen Aufwand von Denken große Berühmtheit zu erlangen, beweisen die Erfolge der frommen Röhrwasserbercdtsamkeit des Joannes Mansur von Damaskus, des Berthei¬ digers der Bilder gegen den Kaiser Konstantin Kopronymos. Um sich die Be¬ deutung des sechsten Jahrhunderts als Wendepunkt zweier Literaturen recht zu ver¬ gegenwärtigen, blicke man auf die Dionysiaka des Nonnus oder eines der späteren Gedichte der ägyptischen Dichterschule aus dem fünften Jahrhundert, mit ihren sorglich gefeilten Versen, in deren Bau selbstgeschaffene Schwierig¬ keiten mit Meisterschaft überwunden werden, strotzend von antiquarischer Ge¬ lehrsamkeit und phantastischem Inhalt, und vergleiche damit die hüpfenden Versehen der Anatreonteen, oder gar die zwei an Form und Inhalt gleich leicht wiegenden jambischen Gedichte, in denen Georg der Pisidier das göttliche und das menschliche Hexaemeron besang, nämlich den sechsjährigen Feldzug des Hera- klius gegen die Perser, den die geschmackvolle» Höflinge mit dem sechstägigen Schöpfungswerk verglichen! Oder man denke an das geographische Werk des Alexandriners Pappus aus dem Ende des vierten Jahrhunderts, von dem wir uns durch den Auszug des Moses von Chorene noch eine Vorstellung machen können, in welchem die Geographie rein theoretisch, auf mathematischer Grund¬ lage und durchaus im Anschluß an die gute Tradition des Alterthums behan¬ delt war. und man halte dagegen „des Christen Topographie" von Kosmas aus der Mitte des sechsten Jahrhunderts, in welcher die Umkehr der Wissen¬ schaft mit einer selbst an einem ägyptischen Mönche bewundernswerthen Igno¬ ranz in den ersten Grundbegriffen und mit einer rücksichtslosen Gründlichkeit durchgeführt worden ist, die selbst den unbescheidensten Forderungen der Ortho¬ doxie des neunzehnten Jahrhunderts genügen dürfte — in welcher aber auf der anderen Seite der Gebrauch, den der weit herumgekommene Versasser von seiner Autopsie macht, von dem Bestreben zeugt, die Geographie wieder in nähere Beziehung zum praktischen Leben zu setzen. Auf keinem Gebiete tritt der Umschwung der Geister, der sich auch im Orient endgiltig im sechsten Jahrhundert vollzogen hat, so offen zu Tage als »> der Geschichtschreibung, an der sich ein ganz analoger Entwicklungsgang Verfolgen läßt wie im Abendlande. Die historische Kunst der Griechen hat während des fünften und sechsten Jahrhunderts in der von Eunapius begrün¬ deten historischen Schule, deren namhafteste Vertreter Zosimus, Olympiodor, Pnscus, Eustathius, Procopius. Agathias, Menander und Thcophylaktus Sunokatta sind, eine schöne Nachblüthe erlebt. Ein Vorzug dieser Schule ist U)r echt geschichtlicher Sinn, ihr unerschrockenes, rastloses Bemühen um richtige Information, welches auch den altgriechischen Hochmuth den Barbaren gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/351>, abgerufen am 28.07.2024.