Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Einzelstudien, die ihm für seinen Zweck allerdings unentbehrlich waren, als
Theil der Darstellung selbst einzureihen bemüht gewesen sei. Was hat z, B.
eine seitenlange Beschreibung der Malereien Rafaels in der Farnesina, was ein
Excurs über die venetianische Schule, eine Charakteristik Correggios oder die
Herleitung der Motive der deutschen Reformation und manche politische oder
geschichtsphilosophische Auseinandersetzungen mit dem Leben Michelangelos zu
thun? Die Gestalt Michelangelos wird nicht gehoben, sondern beeinträchtigt
durch das eingehende sich Verbreiter über Dinge, an denen er gar keinen oder
nur einen sehr bescheidenen Antheil hat.

Es war immerhin die Aufgabe, ein Bild von der ganzen Zeit zu geben,
in weicher ein so außerordentlicher Mann wirkte, die Atmosphäre zu schildern,
in welcher er lebte und groß wurde. Allein bei der überwältigenden Fülle des
hier in Frage kommenden Stoffs war es um so mehr geboten, dabei die dop¬
pelte Rücksichtnahme festzuhalten, einmal wie das äußere Leben in diesem Zu¬
sammenhang verlief, sodann aber, wie der innere Mensch unter den mannig¬
fachen Strömungen, die ihn erfaßten, lernte, wuchs, sich kräftigte, schließlich
vielleicht abnahm. Gerade diese letztere Aufgabe aber, an Bedeutung und Inter¬
esse der Schilderung des äußeren Lebens nicht nachstehend, kommt nach mei¬
ner Ueberzeugung nicht zu ihrem vollen Recht, und es ist nicht blos die Ueber-
fülle des Thatsächlichen und die Neigung des Verfassers zu Abschweifungen auf
seitwärts liegende Gebiete, was im Wege steht, sondern es sind gerade solche
Erscheinungen, welche in dieser Beziehung sehr bedeutsam in die Entwicklung
von Michelangelos Persönlichkeit eingreifen, mit ausfallender Kürze behandelt,
so die Einwirkung des Platonismus sür die jüngern Jahre, und für die spätere
Zeit die Einwirkung des reformitten Christenthums. Wie der junge Künstler,
auferzogen mit den Söhnen Lorenzos und durch Freundschaft mit den Män¬
nern der platonischen Akademie verbunden, zuerst in die classische Bildung
jener Zeit eingetaucht, und seine Seele mit den platonischen Idealen geschwellt
wird, wie dann die Predigt Savonarolas sein empfängliches Herz ergreift, wie
unter der Arbeit am Marmor die tiefsten philosophischen Probleme durch seinen
Kopf jagen, wie er sich abmüht in dem Kampfe, den die ästhetische und die
religiöse Weltbetrachtung in ihm entzünden, wie dann die Freundschaft Vikto¬
ria Cvlonnas für ihn entscheidend wird, indem er von nun an -- zugleich
unier dem Druck der sich neigenden Jahre, doch nicht ohne herbe Kämpfe --
mehr und mehr in eine religiöse Denkart sich versenkt, die bald in reuevoller
Zerknirschung, bald in verlangendem Ausblick nach dem ewigen Ziel sich kund¬
gibt, -- diese ganze Entwickelung ist so einzig, und das Aufsuchen ihrer einzelnen
Aeußerungen und Wendungen so unentbehrlich zum Verständniß dieses Geistes,
daß w>r ohne sie nur den halben Michelangelo haben, und die Biographie
es geradezu als eine Hauptaufgabe betrachten müßte, diesen Entwickelungs-


Einzelstudien, die ihm für seinen Zweck allerdings unentbehrlich waren, als
Theil der Darstellung selbst einzureihen bemüht gewesen sei. Was hat z, B.
eine seitenlange Beschreibung der Malereien Rafaels in der Farnesina, was ein
Excurs über die venetianische Schule, eine Charakteristik Correggios oder die
Herleitung der Motive der deutschen Reformation und manche politische oder
geschichtsphilosophische Auseinandersetzungen mit dem Leben Michelangelos zu
thun? Die Gestalt Michelangelos wird nicht gehoben, sondern beeinträchtigt
durch das eingehende sich Verbreiter über Dinge, an denen er gar keinen oder
nur einen sehr bescheidenen Antheil hat.

Es war immerhin die Aufgabe, ein Bild von der ganzen Zeit zu geben,
in weicher ein so außerordentlicher Mann wirkte, die Atmosphäre zu schildern,
in welcher er lebte und groß wurde. Allein bei der überwältigenden Fülle des
hier in Frage kommenden Stoffs war es um so mehr geboten, dabei die dop¬
pelte Rücksichtnahme festzuhalten, einmal wie das äußere Leben in diesem Zu¬
sammenhang verlief, sodann aber, wie der innere Mensch unter den mannig¬
fachen Strömungen, die ihn erfaßten, lernte, wuchs, sich kräftigte, schließlich
vielleicht abnahm. Gerade diese letztere Aufgabe aber, an Bedeutung und Inter¬
esse der Schilderung des äußeren Lebens nicht nachstehend, kommt nach mei¬
ner Ueberzeugung nicht zu ihrem vollen Recht, und es ist nicht blos die Ueber-
fülle des Thatsächlichen und die Neigung des Verfassers zu Abschweifungen auf
seitwärts liegende Gebiete, was im Wege steht, sondern es sind gerade solche
Erscheinungen, welche in dieser Beziehung sehr bedeutsam in die Entwicklung
von Michelangelos Persönlichkeit eingreifen, mit ausfallender Kürze behandelt,
so die Einwirkung des Platonismus sür die jüngern Jahre, und für die spätere
Zeit die Einwirkung des reformitten Christenthums. Wie der junge Künstler,
auferzogen mit den Söhnen Lorenzos und durch Freundschaft mit den Män¬
nern der platonischen Akademie verbunden, zuerst in die classische Bildung
jener Zeit eingetaucht, und seine Seele mit den platonischen Idealen geschwellt
wird, wie dann die Predigt Savonarolas sein empfängliches Herz ergreift, wie
unter der Arbeit am Marmor die tiefsten philosophischen Probleme durch seinen
Kopf jagen, wie er sich abmüht in dem Kampfe, den die ästhetische und die
religiöse Weltbetrachtung in ihm entzünden, wie dann die Freundschaft Vikto¬
ria Cvlonnas für ihn entscheidend wird, indem er von nun an — zugleich
unier dem Druck der sich neigenden Jahre, doch nicht ohne herbe Kämpfe —
mehr und mehr in eine religiöse Denkart sich versenkt, die bald in reuevoller
Zerknirschung, bald in verlangendem Ausblick nach dem ewigen Ziel sich kund¬
gibt, — diese ganze Entwickelung ist so einzig, und das Aufsuchen ihrer einzelnen
Aeußerungen und Wendungen so unentbehrlich zum Verständniß dieses Geistes,
daß w>r ohne sie nur den halben Michelangelo haben, und die Biographie
es geradezu als eine Hauptaufgabe betrachten müßte, diesen Entwickelungs-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0306" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187800"/>
          <p xml:id="ID_1156" prev="#ID_1155"> Einzelstudien, die ihm für seinen Zweck allerdings unentbehrlich waren, als<lb/>
Theil der Darstellung selbst einzureihen bemüht gewesen sei. Was hat z, B.<lb/>
eine seitenlange Beschreibung der Malereien Rafaels in der Farnesina, was ein<lb/>
Excurs über die venetianische Schule, eine Charakteristik Correggios oder die<lb/>
Herleitung der Motive der deutschen Reformation und manche politische oder<lb/>
geschichtsphilosophische Auseinandersetzungen mit dem Leben Michelangelos zu<lb/>
thun? Die Gestalt Michelangelos wird nicht gehoben, sondern beeinträchtigt<lb/>
durch das eingehende sich Verbreiter über Dinge, an denen er gar keinen oder<lb/>
nur einen sehr bescheidenen Antheil hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1157" next="#ID_1158"> Es war immerhin die Aufgabe, ein Bild von der ganzen Zeit zu geben,<lb/>
in weicher ein so außerordentlicher Mann wirkte, die Atmosphäre zu schildern,<lb/>
in welcher er lebte und groß wurde. Allein bei der überwältigenden Fülle des<lb/>
hier in Frage kommenden Stoffs war es um so mehr geboten, dabei die dop¬<lb/>
pelte Rücksichtnahme festzuhalten, einmal wie das äußere Leben in diesem Zu¬<lb/>
sammenhang verlief, sodann aber, wie der innere Mensch unter den mannig¬<lb/>
fachen Strömungen, die ihn erfaßten, lernte, wuchs, sich kräftigte, schließlich<lb/>
vielleicht abnahm. Gerade diese letztere Aufgabe aber, an Bedeutung und Inter¬<lb/>
esse der Schilderung des äußeren Lebens nicht nachstehend, kommt nach mei¬<lb/>
ner Ueberzeugung nicht zu ihrem vollen Recht, und es ist nicht blos die Ueber-<lb/>
fülle des Thatsächlichen und die Neigung des Verfassers zu Abschweifungen auf<lb/>
seitwärts liegende Gebiete, was im Wege steht, sondern es sind gerade solche<lb/>
Erscheinungen, welche in dieser Beziehung sehr bedeutsam in die Entwicklung<lb/>
von Michelangelos Persönlichkeit eingreifen, mit ausfallender Kürze behandelt,<lb/>
so die Einwirkung des Platonismus sür die jüngern Jahre, und für die spätere<lb/>
Zeit die Einwirkung des reformitten Christenthums. Wie der junge Künstler,<lb/>
auferzogen mit den Söhnen Lorenzos und durch Freundschaft mit den Män¬<lb/>
nern der platonischen Akademie verbunden, zuerst in die classische Bildung<lb/>
jener Zeit eingetaucht, und seine Seele mit den platonischen Idealen geschwellt<lb/>
wird, wie dann die Predigt Savonarolas sein empfängliches Herz ergreift, wie<lb/>
unter der Arbeit am Marmor die tiefsten philosophischen Probleme durch seinen<lb/>
Kopf jagen, wie er sich abmüht in dem Kampfe, den die ästhetische und die<lb/>
religiöse Weltbetrachtung in ihm entzünden, wie dann die Freundschaft Vikto¬<lb/>
ria Cvlonnas für ihn entscheidend wird, indem er von nun an &#x2014; zugleich<lb/>
unier dem Druck der sich neigenden Jahre, doch nicht ohne herbe Kämpfe &#x2014;<lb/>
mehr und mehr in eine religiöse Denkart sich versenkt, die bald in reuevoller<lb/>
Zerknirschung, bald in verlangendem Ausblick nach dem ewigen Ziel sich kund¬<lb/>
gibt, &#x2014; diese ganze Entwickelung ist so einzig, und das Aufsuchen ihrer einzelnen<lb/>
Aeußerungen und Wendungen so unentbehrlich zum Verständniß dieses Geistes,<lb/>
daß w&gt;r ohne sie nur den halben Michelangelo haben, und die Biographie<lb/>
es geradezu als eine Hauptaufgabe betrachten müßte, diesen Entwickelungs-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0306] Einzelstudien, die ihm für seinen Zweck allerdings unentbehrlich waren, als Theil der Darstellung selbst einzureihen bemüht gewesen sei. Was hat z, B. eine seitenlange Beschreibung der Malereien Rafaels in der Farnesina, was ein Excurs über die venetianische Schule, eine Charakteristik Correggios oder die Herleitung der Motive der deutschen Reformation und manche politische oder geschichtsphilosophische Auseinandersetzungen mit dem Leben Michelangelos zu thun? Die Gestalt Michelangelos wird nicht gehoben, sondern beeinträchtigt durch das eingehende sich Verbreiter über Dinge, an denen er gar keinen oder nur einen sehr bescheidenen Antheil hat. Es war immerhin die Aufgabe, ein Bild von der ganzen Zeit zu geben, in weicher ein so außerordentlicher Mann wirkte, die Atmosphäre zu schildern, in welcher er lebte und groß wurde. Allein bei der überwältigenden Fülle des hier in Frage kommenden Stoffs war es um so mehr geboten, dabei die dop¬ pelte Rücksichtnahme festzuhalten, einmal wie das äußere Leben in diesem Zu¬ sammenhang verlief, sodann aber, wie der innere Mensch unter den mannig¬ fachen Strömungen, die ihn erfaßten, lernte, wuchs, sich kräftigte, schließlich vielleicht abnahm. Gerade diese letztere Aufgabe aber, an Bedeutung und Inter¬ esse der Schilderung des äußeren Lebens nicht nachstehend, kommt nach mei¬ ner Ueberzeugung nicht zu ihrem vollen Recht, und es ist nicht blos die Ueber- fülle des Thatsächlichen und die Neigung des Verfassers zu Abschweifungen auf seitwärts liegende Gebiete, was im Wege steht, sondern es sind gerade solche Erscheinungen, welche in dieser Beziehung sehr bedeutsam in die Entwicklung von Michelangelos Persönlichkeit eingreifen, mit ausfallender Kürze behandelt, so die Einwirkung des Platonismus sür die jüngern Jahre, und für die spätere Zeit die Einwirkung des reformitten Christenthums. Wie der junge Künstler, auferzogen mit den Söhnen Lorenzos und durch Freundschaft mit den Män¬ nern der platonischen Akademie verbunden, zuerst in die classische Bildung jener Zeit eingetaucht, und seine Seele mit den platonischen Idealen geschwellt wird, wie dann die Predigt Savonarolas sein empfängliches Herz ergreift, wie unter der Arbeit am Marmor die tiefsten philosophischen Probleme durch seinen Kopf jagen, wie er sich abmüht in dem Kampfe, den die ästhetische und die religiöse Weltbetrachtung in ihm entzünden, wie dann die Freundschaft Vikto¬ ria Cvlonnas für ihn entscheidend wird, indem er von nun an — zugleich unier dem Druck der sich neigenden Jahre, doch nicht ohne herbe Kämpfe — mehr und mehr in eine religiöse Denkart sich versenkt, die bald in reuevoller Zerknirschung, bald in verlangendem Ausblick nach dem ewigen Ziel sich kund¬ gibt, — diese ganze Entwickelung ist so einzig, und das Aufsuchen ihrer einzelnen Aeußerungen und Wendungen so unentbehrlich zum Verständniß dieses Geistes, daß w>r ohne sie nur den halben Michelangelo haben, und die Biographie es geradezu als eine Hauptaufgabe betrachten müßte, diesen Entwickelungs-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/306
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/306>, abgerufen am 24.11.2024.