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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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ihr aufs tiefste berührt wird. Dazu dann sein äußeres Leben, das wechselnde
Verhältniß zu seinen Auftraggebern, seine Theilnahme an den politischen Käm¬
pfen. Aus dein Freund des medicäischen Hauses wird ein glühender Anhänger
der Republik, das Schicksal seiner Vaterstadt wird sein persönliches Schicksal,
mit jedem Papst, der zur Regierung gelangt, beginnt gleichsam ein neuer Ab¬
schnitt seines Lebens, und die politischen Wechselfälle, denen die Herren von
Rom unterworfen sind, greifen zum Theil direct in seine künstlerische Wirksam¬
keit el". Sind wir dann am Ende dieses Lebens angelangt, und werfen einen
Blick rückwärts, so fällt uns mit einem Male die ungeheure Veränderung ins
Auge, die sich inzwischen auf allen Gebieten vollzogen hat. Nicht blos die
Kunst ist eine andere geworden, wesentlich durch die Einwirkung Michelangelos
selbst, sondern auch das Verhältniß der Kunst zum Leben, die persönliche Stel¬
lung der Künstler, die politischen, religiösen, socialen Bedingungen haben sich
geändert, das Papstthum hat sich erneuert, das Hofleben inzwischen seinen mo¬
dernen Charakter entwickelt, das ganze Jahrhundert hat eine völlig andere Ge-
stalt angenommen. Und es ist keineswegs eine willkürliche Abschweifung, wenn
der Biograph Michelangelos auch alle diese Veränderungen aufmerksam ver¬
folgt; denn auf Schritt und Tritt drängen sie sich im Lebendes Künstlers auf,
sein Charakter wie seine äußere Stellung werden durch sie wesentlich bestimmt.
Sein Leben ist recht eigentlich ein Stück Zeitgeschichte, wie hinwiederum die
Zeitgeschichte mit dem wechselnden Verlauf ihrer Erscheinungen ein wesentliches
Moment seines Lebens ist. Für den Biographen eröffnet sich somit eine Auf¬
gabe, so wcitumsassend und so vieler Detailstudien bedürftig, daß auch nur ein¬
zelne Punkte wesentlich gefördert zu haben, verdienstvoll ist, eine Aufgabe, wür¬
dig eines Historikers im größten Sinn.

Einen ersten Versuch, von diesem Gesichtspunkt aus das Leben Michel¬
angelos zu schreiben, machte der Engländer Harford (I^its o! Nieriölmrgölo
Kuonai-roti II vol. I^onäou 1857). Er streute zu diesem Zweck da und dort
längere Cxcurse ein, in denen er sich über die politischen Verhältnisse in Flo¬
renz, über die platonische Akademie, über Savonarola, Viktoria Colonna, die
Reformationsbewegung in Italien u. s. w. ausführlich verbreitet. Aber diese
Excursc könnten ebensogut als Anhang am Schlüsse stehen, sie sind zu wenig
innerlich verknüpft mit der eigentlichen Erzählung, man vermißt den schärferen
Nachweis, wie das Leben des Künstlers in jedem Moment in die allgemeinen
Ereignisse und Erscheinungen übergreift oder durch sie beeinflußt wird. Da¬
nger ist es nun gerade die Eigenthümlichkeit von Hermann Grimms Dar¬
stellung, daß er diesen Zusammenhang jeden Augenblick festhält. Ein schneller
und unaufhörlicher Wechsel führt uns aus des Künstlers Werkstatt in die seiner
Mitgebenden, führt uns bald in die Gemächer des Vatican, bald in die
Rathsversammlung von Florenz, läßt bald die Entwürfe des deutschen Kaisers,


ihr aufs tiefste berührt wird. Dazu dann sein äußeres Leben, das wechselnde
Verhältniß zu seinen Auftraggebern, seine Theilnahme an den politischen Käm¬
pfen. Aus dein Freund des medicäischen Hauses wird ein glühender Anhänger
der Republik, das Schicksal seiner Vaterstadt wird sein persönliches Schicksal,
mit jedem Papst, der zur Regierung gelangt, beginnt gleichsam ein neuer Ab¬
schnitt seines Lebens, und die politischen Wechselfälle, denen die Herren von
Rom unterworfen sind, greifen zum Theil direct in seine künstlerische Wirksam¬
keit el». Sind wir dann am Ende dieses Lebens angelangt, und werfen einen
Blick rückwärts, so fällt uns mit einem Male die ungeheure Veränderung ins
Auge, die sich inzwischen auf allen Gebieten vollzogen hat. Nicht blos die
Kunst ist eine andere geworden, wesentlich durch die Einwirkung Michelangelos
selbst, sondern auch das Verhältniß der Kunst zum Leben, die persönliche Stel¬
lung der Künstler, die politischen, religiösen, socialen Bedingungen haben sich
geändert, das Papstthum hat sich erneuert, das Hofleben inzwischen seinen mo¬
dernen Charakter entwickelt, das ganze Jahrhundert hat eine völlig andere Ge-
stalt angenommen. Und es ist keineswegs eine willkürliche Abschweifung, wenn
der Biograph Michelangelos auch alle diese Veränderungen aufmerksam ver¬
folgt; denn auf Schritt und Tritt drängen sie sich im Lebendes Künstlers auf,
sein Charakter wie seine äußere Stellung werden durch sie wesentlich bestimmt.
Sein Leben ist recht eigentlich ein Stück Zeitgeschichte, wie hinwiederum die
Zeitgeschichte mit dem wechselnden Verlauf ihrer Erscheinungen ein wesentliches
Moment seines Lebens ist. Für den Biographen eröffnet sich somit eine Auf¬
gabe, so wcitumsassend und so vieler Detailstudien bedürftig, daß auch nur ein¬
zelne Punkte wesentlich gefördert zu haben, verdienstvoll ist, eine Aufgabe, wür¬
dig eines Historikers im größten Sinn.

Einen ersten Versuch, von diesem Gesichtspunkt aus das Leben Michel¬
angelos zu schreiben, machte der Engländer Harford (I^its o! Nieriölmrgölo
Kuonai-roti II vol. I^onäou 1857). Er streute zu diesem Zweck da und dort
längere Cxcurse ein, in denen er sich über die politischen Verhältnisse in Flo¬
renz, über die platonische Akademie, über Savonarola, Viktoria Colonna, die
Reformationsbewegung in Italien u. s. w. ausführlich verbreitet. Aber diese
Excursc könnten ebensogut als Anhang am Schlüsse stehen, sie sind zu wenig
innerlich verknüpft mit der eigentlichen Erzählung, man vermißt den schärferen
Nachweis, wie das Leben des Künstlers in jedem Moment in die allgemeinen
Ereignisse und Erscheinungen übergreift oder durch sie beeinflußt wird. Da¬
nger ist es nun gerade die Eigenthümlichkeit von Hermann Grimms Dar¬
stellung, daß er diesen Zusammenhang jeden Augenblick festhält. Ein schneller
und unaufhörlicher Wechsel führt uns aus des Künstlers Werkstatt in die seiner
Mitgebenden, führt uns bald in die Gemächer des Vatican, bald in die
Rathsversammlung von Florenz, läßt bald die Entwürfe des deutschen Kaisers,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/303>, abgerufen am 25.11.2024.