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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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zuHeben lächerlich sein würde, und Dr. Lepsius. dessen Bekanntschaft mit ägyp¬
tischen Alterthümern heutzutage sicherlich nicht unterschätzt wird, waren ursprünglich
unter denen, welche am eifrigsten an die Handschrift des Uranios glaubten. Ist
es darum so gewiß, daß die, welche zugestehen, in der Sache des Uranios hin¬
ters Licht geführt worden zu sein, nichl gleichermaßen in Betreff des Codex
Sinaiticus getäuscht worden sein könnten? Und ist es nicht von Seiten eines
Mannes wie Tischendorf (wir mildern wieder den Ausdruck) sehr übel an¬
gebracht, ein vornehmes Gesicht zu machen, wen" englische Kritiker, bevor sie
das Ansehen des angezweifelten Textes anerkennen, den Wunsch hegen, alle Be¬
lehrung zu besitzen, welche über die Sache gesammelt werden kann?

7. Hinsichtlich der Tinte. Dieser scheinbar geringfügige Punkt möchte in
Wahrheit mehr Gewicht haben als irgend einer der übrigen Einwürfe. Es ist
klar, daß Simonides nicht Anspruch darauf macht, solche Tinte gebraucht zu
loben, welche seinem Manuscript den Charakter des Alterthümlichen verliehen
haben würde. Im Gegentheil, es sollte eine schöne und reiche Abschrift wer¬
den, geeignet zur Ueberreichung, als moderne Copie, an den Kaiser von
Rußland. Ueber diesen Punkt erlaube ich mir keine Meinung zu äußern, ob-
schon es mir nicht leicht fällt, mich zu überreden, daß solch einem Manuscript,
wie Simonides es beschreibt, von einem Manne, der Paläographie zu seinem
Studium gemacht, nicht nachträglich sowohl hinsichtlich der Tinte als des
Pergaments der Anschein sehr hohen Alterthums hätte gegeben werden können.

Ich biete diese Bemerkungen im Geiste vollkommenster Unparteilichkeit so¬
wohl in Bezug auf den symiotischen als auf den deutschen Doctor dar. Ich
selbst würde auf die Autorität des Simonides hin gar keine Handschrift annehmen,
und ich bin geneigt, auf die Autorität Tischendvrfs hin keine ohne die aller-
genauestc Untersuchung anzunehmen. Was die deutschen gelehrten Zöpfe (pun-
äits) anlangt, so sind sie einmal betrogen worden und könnten wieder betrogen
sein." --

So weit der Causidicus des "Parthenon" Nun kurz unsre Meinung.

1, Die Engländer sind in dieser Streitfrage in zwiefacher Hinsicht nicht
ganz unparteiisch. Einmal möchten sie nicht gern, daß ihrem Codex Alexandri-
nus, der frommer Sage zufolge von der heiligen Theela, aber sicher im vier¬
ten oder fünften Jahrhundert geschrieben ist. die Palme des Alters streitig
gemacht würde. Sodann könnte das Fehlen gewisser dogmatisch wichtiger
Stellen des Neuen Testaments, durch die sich der Tischendorssche Codex auszeich'
nen soll, hochkirchlichen Theologen sehr unbequem erscheinen.

2. Causidicus denkt ein wenig zu schnell. Er ist, wie es scheint, kein
Fachmann. Er setzt im Eifer vielleicht zu starke Möglichkeiten. Seine Beweis¬
führung mit den frühern gelehrten Besuchern des Katharinenklosters, welche die
Handschrift nicht gefunden , ist schwach. Punkt 1 des folgenden Plaidvyers da-


zuHeben lächerlich sein würde, und Dr. Lepsius. dessen Bekanntschaft mit ägyp¬
tischen Alterthümern heutzutage sicherlich nicht unterschätzt wird, waren ursprünglich
unter denen, welche am eifrigsten an die Handschrift des Uranios glaubten. Ist
es darum so gewiß, daß die, welche zugestehen, in der Sache des Uranios hin¬
ters Licht geführt worden zu sein, nichl gleichermaßen in Betreff des Codex
Sinaiticus getäuscht worden sein könnten? Und ist es nicht von Seiten eines
Mannes wie Tischendorf (wir mildern wieder den Ausdruck) sehr übel an¬
gebracht, ein vornehmes Gesicht zu machen, wen» englische Kritiker, bevor sie
das Ansehen des angezweifelten Textes anerkennen, den Wunsch hegen, alle Be¬
lehrung zu besitzen, welche über die Sache gesammelt werden kann?

7. Hinsichtlich der Tinte. Dieser scheinbar geringfügige Punkt möchte in
Wahrheit mehr Gewicht haben als irgend einer der übrigen Einwürfe. Es ist
klar, daß Simonides nicht Anspruch darauf macht, solche Tinte gebraucht zu
loben, welche seinem Manuscript den Charakter des Alterthümlichen verliehen
haben würde. Im Gegentheil, es sollte eine schöne und reiche Abschrift wer¬
den, geeignet zur Ueberreichung, als moderne Copie, an den Kaiser von
Rußland. Ueber diesen Punkt erlaube ich mir keine Meinung zu äußern, ob-
schon es mir nicht leicht fällt, mich zu überreden, daß solch einem Manuscript,
wie Simonides es beschreibt, von einem Manne, der Paläographie zu seinem
Studium gemacht, nicht nachträglich sowohl hinsichtlich der Tinte als des
Pergaments der Anschein sehr hohen Alterthums hätte gegeben werden können.

Ich biete diese Bemerkungen im Geiste vollkommenster Unparteilichkeit so¬
wohl in Bezug auf den symiotischen als auf den deutschen Doctor dar. Ich
selbst würde auf die Autorität des Simonides hin gar keine Handschrift annehmen,
und ich bin geneigt, auf die Autorität Tischendvrfs hin keine ohne die aller-
genauestc Untersuchung anzunehmen. Was die deutschen gelehrten Zöpfe (pun-
äits) anlangt, so sind sie einmal betrogen worden und könnten wieder betrogen
sein." —

So weit der Causidicus des „Parthenon" Nun kurz unsre Meinung.

1, Die Engländer sind in dieser Streitfrage in zwiefacher Hinsicht nicht
ganz unparteiisch. Einmal möchten sie nicht gern, daß ihrem Codex Alexandri-
nus, der frommer Sage zufolge von der heiligen Theela, aber sicher im vier¬
ten oder fünften Jahrhundert geschrieben ist. die Palme des Alters streitig
gemacht würde. Sodann könnte das Fehlen gewisser dogmatisch wichtiger
Stellen des Neuen Testaments, durch die sich der Tischendorssche Codex auszeich'
nen soll, hochkirchlichen Theologen sehr unbequem erscheinen.

2. Causidicus denkt ein wenig zu schnell. Er ist, wie es scheint, kein
Fachmann. Er setzt im Eifer vielleicht zu starke Möglichkeiten. Seine Beweis¬
führung mit den frühern gelehrten Besuchern des Katharinenklosters, welche die
Handschrift nicht gefunden , ist schwach. Punkt 1 des folgenden Plaidvyers da-


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[0222] zuHeben lächerlich sein würde, und Dr. Lepsius. dessen Bekanntschaft mit ägyp¬ tischen Alterthümern heutzutage sicherlich nicht unterschätzt wird, waren ursprünglich unter denen, welche am eifrigsten an die Handschrift des Uranios glaubten. Ist es darum so gewiß, daß die, welche zugestehen, in der Sache des Uranios hin¬ ters Licht geführt worden zu sein, nichl gleichermaßen in Betreff des Codex Sinaiticus getäuscht worden sein könnten? Und ist es nicht von Seiten eines Mannes wie Tischendorf (wir mildern wieder den Ausdruck) sehr übel an¬ gebracht, ein vornehmes Gesicht zu machen, wen» englische Kritiker, bevor sie das Ansehen des angezweifelten Textes anerkennen, den Wunsch hegen, alle Be¬ lehrung zu besitzen, welche über die Sache gesammelt werden kann? 7. Hinsichtlich der Tinte. Dieser scheinbar geringfügige Punkt möchte in Wahrheit mehr Gewicht haben als irgend einer der übrigen Einwürfe. Es ist klar, daß Simonides nicht Anspruch darauf macht, solche Tinte gebraucht zu loben, welche seinem Manuscript den Charakter des Alterthümlichen verliehen haben würde. Im Gegentheil, es sollte eine schöne und reiche Abschrift wer¬ den, geeignet zur Ueberreichung, als moderne Copie, an den Kaiser von Rußland. Ueber diesen Punkt erlaube ich mir keine Meinung zu äußern, ob- schon es mir nicht leicht fällt, mich zu überreden, daß solch einem Manuscript, wie Simonides es beschreibt, von einem Manne, der Paläographie zu seinem Studium gemacht, nicht nachträglich sowohl hinsichtlich der Tinte als des Pergaments der Anschein sehr hohen Alterthums hätte gegeben werden können. Ich biete diese Bemerkungen im Geiste vollkommenster Unparteilichkeit so¬ wohl in Bezug auf den symiotischen als auf den deutschen Doctor dar. Ich selbst würde auf die Autorität des Simonides hin gar keine Handschrift annehmen, und ich bin geneigt, auf die Autorität Tischendvrfs hin keine ohne die aller- genauestc Untersuchung anzunehmen. Was die deutschen gelehrten Zöpfe (pun- äits) anlangt, so sind sie einmal betrogen worden und könnten wieder betrogen sein." — So weit der Causidicus des „Parthenon" Nun kurz unsre Meinung. 1, Die Engländer sind in dieser Streitfrage in zwiefacher Hinsicht nicht ganz unparteiisch. Einmal möchten sie nicht gern, daß ihrem Codex Alexandri- nus, der frommer Sage zufolge von der heiligen Theela, aber sicher im vier¬ ten oder fünften Jahrhundert geschrieben ist. die Palme des Alters streitig gemacht würde. Sodann könnte das Fehlen gewisser dogmatisch wichtiger Stellen des Neuen Testaments, durch die sich der Tischendorssche Codex auszeich' nen soll, hochkirchlichen Theologen sehr unbequem erscheinen. 2. Causidicus denkt ein wenig zu schnell. Er ist, wie es scheint, kein Fachmann. Er setzt im Eifer vielleicht zu starke Möglichkeiten. Seine Beweis¬ führung mit den frühern gelehrten Besuchern des Katharinenklosters, welche die Handschrift nicht gefunden , ist schwach. Punkt 1 des folgenden Plaidvyers da-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/222>, abgerufen am 28.07.2024.