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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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dann auch über den Westen kurz sein -- paßt doch auf ihn Mieroslawskis
Wort-, voiis g>v"2 Ä6s6a6r6s aos ?vie>riais -- hier im Stockpolnischen müssen
wir heimisch werden.

Nordwärts von Neustadt ist es nicht schön, wenigstens nicht lockend; es
sind die Schlachtfelder von 1848. Wir Passiren Mtostaw und kommen nach
Wreschen. 's ist gerade Jahrmarkt. Am Eingange in die Stadt sitzt die Jü¬
din mit dem leinenen Beutel, um von jedem Stück Vieh, wie von jedem Ge¬
spann, was einpassirt, eine Steuer zu erheben. Sie hat dies Gefälle vom
Magistrat gepachtet. Interessant ist ihr Streit mit den Leuten, die ihr Fuhr¬
werk dicht vor der Steuerempfängerin halten lassen und auf Schusters Rappen
zollfrei vvrübcrstreben. Sie würde solche Rechtsverletzungen noch viel'energischer
bekämpfen, wenn nicht einige Schlauköpfe, den blinden Eifer benutzend, un¬
versteuertes Vieh bei der Eiferndeil vorübergetriebcn hätten. Nun, wir sind
gewiß frei. Drei Wege stehen uns offen. Zu den Töpfen, bei denen auch
die Tischler ihre rothen Kunstwerte mit den blauen und gelben Blumen auf¬
gebaut haben, zu dem Vieh und zu dem Kram. Die Menge hat uns nach
dem Markte hingeführt. Bettler, Krüppel und Lahme aller Arten mit Bettel-
sack und Bettelstab gerüstet und überhaupt noch ganz so, wie ich mir als Kind
den Bettelmann dachte, ohne ihn je vor Augen zu bekommen, haben sich an
den Marktecken niedergesetzt und singen mit Stentorstimme ihre Lieder. Wir
gönnen ihnen ein paar Groschen und hören ihr böZ wiellci ^axlaeö (der
große Gott bezahle dirs). Jetzt stehen wir mitten im Gedränge, und die
Menschenmasse, die hier Kopf an Kopf wogt, ist im Verhältniß zu der Klein¬
heit des Ortes ungeheuer. Denn ein Markt hat für unsere Städte eine ganz
andre Bedeutung als für deutsche Gegenden. Die Hausfrau hat ein langes
Verzeichnis; von Dingen, die sie nur auf dem Jahrmarkt bekommt, darunter
selbst ihr und der kleinen Kinder Schuhwerk. Der Bauer, der Dienstmann
kaufen nur hier. Sehn Sie nur, wie dort in der Kleiderbude der Junge den
ganzen Einsegnungsstaat und daneben auch die Stiefeln bekommen hat. Jetzt
ziehen sie mit diesen zu dem Nagelschmied, der seit früh ununterbrochen be¬
schäftigt ist, die Bauern, resp, ihr Schuhwerk zu vernageln.

Aber was für ein Gezänk? Was haben Sie mit der Frau?

Kaum war mir das unglückliche Wort entflohen, so standen auch schon
"lie zwölf Stämme Israels um mich her und verklagten mit einer Vertrau¬
theit, als ob ich ihr Rabbiner oder Richter wäre, die Händlerin, welche
durch niedrige Preise, die nur bei schlechter Waare oder falschem Maße mög-
t>es seien, die Käufer um sich sammle. Allmälig wird es leerer und stiller; der
Rausch wird, wie fast Alles, was die Juden feil bieten, verschleudert. Ihr
ganzer Handel ist ein Glücksspiel mit maßlos hohem Erstgebot, von dem sie
Vor klugen Kunden tief herabgehen, das aber oft glückt und so den Schaden deckt.


dann auch über den Westen kurz sein — paßt doch auf ihn Mieroslawskis
Wort-, voiis g>v«2 Ä6s6a6r6s aos ?vie>riais — hier im Stockpolnischen müssen
wir heimisch werden.

Nordwärts von Neustadt ist es nicht schön, wenigstens nicht lockend; es
sind die Schlachtfelder von 1848. Wir Passiren Mtostaw und kommen nach
Wreschen. 's ist gerade Jahrmarkt. Am Eingange in die Stadt sitzt die Jü¬
din mit dem leinenen Beutel, um von jedem Stück Vieh, wie von jedem Ge¬
spann, was einpassirt, eine Steuer zu erheben. Sie hat dies Gefälle vom
Magistrat gepachtet. Interessant ist ihr Streit mit den Leuten, die ihr Fuhr¬
werk dicht vor der Steuerempfängerin halten lassen und auf Schusters Rappen
zollfrei vvrübcrstreben. Sie würde solche Rechtsverletzungen noch viel'energischer
bekämpfen, wenn nicht einige Schlauköpfe, den blinden Eifer benutzend, un¬
versteuertes Vieh bei der Eiferndeil vorübergetriebcn hätten. Nun, wir sind
gewiß frei. Drei Wege stehen uns offen. Zu den Töpfen, bei denen auch
die Tischler ihre rothen Kunstwerte mit den blauen und gelben Blumen auf¬
gebaut haben, zu dem Vieh und zu dem Kram. Die Menge hat uns nach
dem Markte hingeführt. Bettler, Krüppel und Lahme aller Arten mit Bettel-
sack und Bettelstab gerüstet und überhaupt noch ganz so, wie ich mir als Kind
den Bettelmann dachte, ohne ihn je vor Augen zu bekommen, haben sich an
den Marktecken niedergesetzt und singen mit Stentorstimme ihre Lieder. Wir
gönnen ihnen ein paar Groschen und hören ihr böZ wiellci ^axlaeö (der
große Gott bezahle dirs). Jetzt stehen wir mitten im Gedränge, und die
Menschenmasse, die hier Kopf an Kopf wogt, ist im Verhältniß zu der Klein¬
heit des Ortes ungeheuer. Denn ein Markt hat für unsere Städte eine ganz
andre Bedeutung als für deutsche Gegenden. Die Hausfrau hat ein langes
Verzeichnis; von Dingen, die sie nur auf dem Jahrmarkt bekommt, darunter
selbst ihr und der kleinen Kinder Schuhwerk. Der Bauer, der Dienstmann
kaufen nur hier. Sehn Sie nur, wie dort in der Kleiderbude der Junge den
ganzen Einsegnungsstaat und daneben auch die Stiefeln bekommen hat. Jetzt
ziehen sie mit diesen zu dem Nagelschmied, der seit früh ununterbrochen be¬
schäftigt ist, die Bauern, resp, ihr Schuhwerk zu vernageln.

Aber was für ein Gezänk? Was haben Sie mit der Frau?

Kaum war mir das unglückliche Wort entflohen, so standen auch schon
"lie zwölf Stämme Israels um mich her und verklagten mit einer Vertrau¬
theit, als ob ich ihr Rabbiner oder Richter wäre, die Händlerin, welche
durch niedrige Preise, die nur bei schlechter Waare oder falschem Maße mög-
t>es seien, die Käufer um sich sammle. Allmälig wird es leerer und stiller; der
Rausch wird, wie fast Alles, was die Juden feil bieten, verschleudert. Ihr
ganzer Handel ist ein Glücksspiel mit maßlos hohem Erstgebot, von dem sie
Vor klugen Kunden tief herabgehen, das aber oft glückt und so den Schaden deckt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/183>, abgerufen am 25.11.2024.