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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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König". Kammerherr aus Jarocrn, Radkin und Czylcz wäre, wiirdl? ich meine
Wohnung nicht fünfzig Meilen von meinem Weibe, meinem Volke und meinen
Gütern nehmen.

Wir fahren weiter. "Das ist ein eigenthümliches Dorf" sagt mein Nach¬
bar. Ich entgegnen Hüten Sie sich vor einer Injurienklage des löblichen
Rathes. Sie sind in der Stadt Mießkow.

"Sie scherzen!"

Gewiß nicht. Dort das große Eckhaus mit den Stufen vor der Thür ist
der Vereinigungsort sämmtlicher Behörden. Da wohnen der Postmeister, der

ermeister, der Stadtverordnetenvvrsteher, der Commissarius des landräth-
lichen Poiizeidistrictes, der Steuercmpsängcr friedlich zusammen. "Solch ein
Beamtenhcer für^den kleinen Ort!" Beruhigen Si<. sich, es liegen alle jene
Aemter in der Hand eines einzigen Mannes, dem nebenbei noch Zeit für seine
Landwirthschaft bleibt.

"Die fünf leeren Buden da fallen ja zusammen."

Bewahre. Der Bazar steht sicher. So etwas wird mit der Zeit schief,
und so waren die Buden schon, als ich vor acht Jahren vorüberfuhr. An den
Markttagen sind auch einige Händler in denselben. Und für die Verkäufer ist
hinreichender Raum auf dem großen viereckigen Rasenplatz, um welchen die
Lehmhäuscr hcrstehen und auf dem dort das Viel) weidet. Für dieses ist durch
den Hauptbrunncn dort und die vielen Cisternen reichlich gesorgt.

"Sie meinen die tiefen Löcher."

Nicht so prosaisch, lieber Herr; ohne einige Phantasie werden Sie hier
nicht viel Schönes sehen. Uebrigens hat Mießkow, wie Sie hernach bemerken
werden, neben den zwanzig Markthäusern noch eine Art Anbau. Es zählt 873
Einwohner. "Ist also die kleinste Stadt Ihrer Provinz?" Mit Nichten. Die
Krone gebührt dem Gncscner Kreise; unter seinen acht Städten finden Sie
Kißkvwo mit 639, Mielzin mit 431, Aydowo (Judenstadt) mit 376 Einwohnern,
^ydvwo ist das Setidawa der alten Lygier; es muß vordem reicher gewesen
sein; auch Mießkow war nicht immer so winzig. Einige Brände und Epide¬
mien reichten zu einer Zeit, wo das Land ohne Obrigkeit war, hin, um
solche Oertchen zu vernichten.

Mein Begleiter -- ich bin unwillkürlich aus die Beschreibung einer kleinen
Reise gekommen, die ich einmal wirklich gemacht habe -- hatte mich gebeten,
ihm K. zu zeigen, von dem er so viel gehört. Plötzlich unterbrach er den
Tenor meiner gelehrten Rede. "Hier!"

Nun was denn?

"Freuen Sie sich denn nicht selbst? Ich bitte Sie, haben wir aus unserer
ganzen Tour ein solches Feld gesehen? Hier ist Cultur. Sie können, wenn
Sie ein Auge dafür haben, nach dem Stande der Früchte selbst die Grenzen


König». Kammerherr aus Jarocrn, Radkin und Czylcz wäre, wiirdl? ich meine
Wohnung nicht fünfzig Meilen von meinem Weibe, meinem Volke und meinen
Gütern nehmen.

Wir fahren weiter. „Das ist ein eigenthümliches Dorf" sagt mein Nach¬
bar. Ich entgegnen Hüten Sie sich vor einer Injurienklage des löblichen
Rathes. Sie sind in der Stadt Mießkow.

„Sie scherzen!"

Gewiß nicht. Dort das große Eckhaus mit den Stufen vor der Thür ist
der Vereinigungsort sämmtlicher Behörden. Da wohnen der Postmeister, der

ermeister, der Stadtverordnetenvvrsteher, der Commissarius des landräth-
lichen Poiizeidistrictes, der Steuercmpsängcr friedlich zusammen. „Solch ein
Beamtenhcer für^den kleinen Ort!" Beruhigen Si<. sich, es liegen alle jene
Aemter in der Hand eines einzigen Mannes, dem nebenbei noch Zeit für seine
Landwirthschaft bleibt.

„Die fünf leeren Buden da fallen ja zusammen."

Bewahre. Der Bazar steht sicher. So etwas wird mit der Zeit schief,
und so waren die Buden schon, als ich vor acht Jahren vorüberfuhr. An den
Markttagen sind auch einige Händler in denselben. Und für die Verkäufer ist
hinreichender Raum auf dem großen viereckigen Rasenplatz, um welchen die
Lehmhäuscr hcrstehen und auf dem dort das Viel) weidet. Für dieses ist durch
den Hauptbrunncn dort und die vielen Cisternen reichlich gesorgt.

„Sie meinen die tiefen Löcher."

Nicht so prosaisch, lieber Herr; ohne einige Phantasie werden Sie hier
nicht viel Schönes sehen. Uebrigens hat Mießkow, wie Sie hernach bemerken
werden, neben den zwanzig Markthäusern noch eine Art Anbau. Es zählt 873
Einwohner. „Ist also die kleinste Stadt Ihrer Provinz?" Mit Nichten. Die
Krone gebührt dem Gncscner Kreise; unter seinen acht Städten finden Sie
Kißkvwo mit 639, Mielzin mit 431, Aydowo (Judenstadt) mit 376 Einwohnern,
^ydvwo ist das Setidawa der alten Lygier; es muß vordem reicher gewesen
sein; auch Mießkow war nicht immer so winzig. Einige Brände und Epide¬
mien reichten zu einer Zeit, wo das Land ohne Obrigkeit war, hin, um
solche Oertchen zu vernichten.

Mein Begleiter — ich bin unwillkürlich aus die Beschreibung einer kleinen
Reise gekommen, die ich einmal wirklich gemacht habe — hatte mich gebeten,
ihm K. zu zeigen, von dem er so viel gehört. Plötzlich unterbrach er den
Tenor meiner gelehrten Rede. „Hier!"

Nun was denn?

„Freuen Sie sich denn nicht selbst? Ich bitte Sie, haben wir aus unserer
ganzen Tour ein solches Feld gesehen? Hier ist Cultur. Sie können, wenn
Sie ein Auge dafür haben, nach dem Stande der Früchte selbst die Grenzen


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[0174] König». Kammerherr aus Jarocrn, Radkin und Czylcz wäre, wiirdl? ich meine Wohnung nicht fünfzig Meilen von meinem Weibe, meinem Volke und meinen Gütern nehmen. Wir fahren weiter. „Das ist ein eigenthümliches Dorf" sagt mein Nach¬ bar. Ich entgegnen Hüten Sie sich vor einer Injurienklage des löblichen Rathes. Sie sind in der Stadt Mießkow. „Sie scherzen!" Gewiß nicht. Dort das große Eckhaus mit den Stufen vor der Thür ist der Vereinigungsort sämmtlicher Behörden. Da wohnen der Postmeister, der ermeister, der Stadtverordnetenvvrsteher, der Commissarius des landräth- lichen Poiizeidistrictes, der Steuercmpsängcr friedlich zusammen. „Solch ein Beamtenhcer für^den kleinen Ort!" Beruhigen Si<. sich, es liegen alle jene Aemter in der Hand eines einzigen Mannes, dem nebenbei noch Zeit für seine Landwirthschaft bleibt. „Die fünf leeren Buden da fallen ja zusammen." Bewahre. Der Bazar steht sicher. So etwas wird mit der Zeit schief, und so waren die Buden schon, als ich vor acht Jahren vorüberfuhr. An den Markttagen sind auch einige Händler in denselben. Und für die Verkäufer ist hinreichender Raum auf dem großen viereckigen Rasenplatz, um welchen die Lehmhäuscr hcrstehen und auf dem dort das Viel) weidet. Für dieses ist durch den Hauptbrunncn dort und die vielen Cisternen reichlich gesorgt. „Sie meinen die tiefen Löcher." Nicht so prosaisch, lieber Herr; ohne einige Phantasie werden Sie hier nicht viel Schönes sehen. Uebrigens hat Mießkow, wie Sie hernach bemerken werden, neben den zwanzig Markthäusern noch eine Art Anbau. Es zählt 873 Einwohner. „Ist also die kleinste Stadt Ihrer Provinz?" Mit Nichten. Die Krone gebührt dem Gncscner Kreise; unter seinen acht Städten finden Sie Kißkvwo mit 639, Mielzin mit 431, Aydowo (Judenstadt) mit 376 Einwohnern, ^ydvwo ist das Setidawa der alten Lygier; es muß vordem reicher gewesen sein; auch Mießkow war nicht immer so winzig. Einige Brände und Epide¬ mien reichten zu einer Zeit, wo das Land ohne Obrigkeit war, hin, um solche Oertchen zu vernichten. Mein Begleiter — ich bin unwillkürlich aus die Beschreibung einer kleinen Reise gekommen, die ich einmal wirklich gemacht habe — hatte mich gebeten, ihm K. zu zeigen, von dem er so viel gehört. Plötzlich unterbrach er den Tenor meiner gelehrten Rede. „Hier!" Nun was denn? „Freuen Sie sich denn nicht selbst? Ich bitte Sie, haben wir aus unserer ganzen Tour ein solches Feld gesehen? Hier ist Cultur. Sie können, wenn Sie ein Auge dafür haben, nach dem Stande der Früchte selbst die Grenzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/174>, abgerufen am 28.07.2024.