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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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unebenen, würde es zugleich sich bereit erklären, zu einer Reform der Zoll¬
vereinsverfassung die Hand zu bieten, so werde dies Angebot ohne Zweifel
Preußen dazu bestimmen, seinerseits den Wünschen auf Abänderungen im Ein¬
zelnen entgegenzukommen.

Wie gesagt, heute kann dieser Ausweg keine praktische Bedeutung mehr
haben. Gerade Würtemberg hat jede Möglichkeit der gegenseitigen Annäherung-
wie mit Absicht, abgeschnitten. Sind überhaupt noch Abänderungen zu er¬
langen, so kann jedenfalls Würtemberg keine Initiative dazu ergreifen. Das
Erste, was es thun müßte, wäre doch nur die Annahme der Grundlagen des
Vertrags, ein Zurückgehen auf den Standpunkt, auf welchem man seiner Zeit
Preußen die Vollmacht zum Abschluß eines Vertrags ertheilt, ein Aufgeben der
chimärischen östreichischen Vorschläge: mit einem Wort, es wäre ein guter Wille
nöthig, und dies ist eben dasjenige, was man in gewissen Kreisen am wenig¬
sten suchen darf. Selbst daß man dort ein Interesse an der Erhaltung des
Zollvereins habe, wird trotz der Betheuerungen des Herrn v. Hügel neuer¬
dings bestimmt in Zweifel gezogen.

So bleibt denn auch von jener vermittelnden Auffassung nur der praktische
Kern zurück: daß der Handelsvertrag anzunehmen ist, weil seine Ablehnung
gleichbedeutend wäre mit der Auflösung des Zollvereins. Denn darüber herrschte
in der Versammlung keine Meinungsverschiedenheit, daß es Preußen Ernst sei
und Ernst sein müsse mit der Durchführung des Vertrags, unindaß. nachdem
Preußen bereits die entschiedene Mehrheit der Zollvereinsbevölkerung für sich
habe, der Minderheit nichts übrig bliebe, als der Mehrheit sich zu fügen. Von
einer Jsolirung Würtembergs -- analog der Schweiz -- wagte nur ein Red¬
ner, von einem Zollbündniß mit Oestreich gar keiner zu reden. In der That
sind die Interessen des Landes nach allen Beziehungen so eng und unauflös¬
lich mit dem Zollverein verknüpft, daß eine Zerreißung dieses Bandes von
Freunden und Gegnern des Vertrags für gleich undenkbar gehalten wird-
Die Gegner erkennen nur die richtige Fragstellung noch nicht an, sie läugnen
die Gefahr, sie läugnen, daß Preußen es aufs Aeußerste ankommen lassen
werde. Allein je näher die Kündigungsfrist rückt, um so hinfälliger werden die
Stützen für die Gegner des Vertrags, um so mehr wird die Losung: Erhal¬
tung des Zollvereins, auch um den Preis des Handelsvertrags -- die all¬
gemeine werden. Jetzt hat die Agitation erst begonnen, aber jeder Tag, der
die Krisis verlängert, verstärkt das Gewicht ihrer Gründe, und es kann kein
Zweifel sein, daß das Interesse des Landes schließlich über den Eigenwillen
der Regierung den Sieg davon tragen werde, in welcher selbst bekanntlich nur
eine Partei die rücksichtslosen Schritte gegen Preußen durchgesetzt hat.


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unebenen, würde es zugleich sich bereit erklären, zu einer Reform der Zoll¬
vereinsverfassung die Hand zu bieten, so werde dies Angebot ohne Zweifel
Preußen dazu bestimmen, seinerseits den Wünschen auf Abänderungen im Ein¬
zelnen entgegenzukommen.

Wie gesagt, heute kann dieser Ausweg keine praktische Bedeutung mehr
haben. Gerade Würtemberg hat jede Möglichkeit der gegenseitigen Annäherung-
wie mit Absicht, abgeschnitten. Sind überhaupt noch Abänderungen zu er¬
langen, so kann jedenfalls Würtemberg keine Initiative dazu ergreifen. Das
Erste, was es thun müßte, wäre doch nur die Annahme der Grundlagen des
Vertrags, ein Zurückgehen auf den Standpunkt, auf welchem man seiner Zeit
Preußen die Vollmacht zum Abschluß eines Vertrags ertheilt, ein Aufgeben der
chimärischen östreichischen Vorschläge: mit einem Wort, es wäre ein guter Wille
nöthig, und dies ist eben dasjenige, was man in gewissen Kreisen am wenig¬
sten suchen darf. Selbst daß man dort ein Interesse an der Erhaltung des
Zollvereins habe, wird trotz der Betheuerungen des Herrn v. Hügel neuer¬
dings bestimmt in Zweifel gezogen.

So bleibt denn auch von jener vermittelnden Auffassung nur der praktische
Kern zurück: daß der Handelsvertrag anzunehmen ist, weil seine Ablehnung
gleichbedeutend wäre mit der Auflösung des Zollvereins. Denn darüber herrschte
in der Versammlung keine Meinungsverschiedenheit, daß es Preußen Ernst sei
und Ernst sein müsse mit der Durchführung des Vertrags, unindaß. nachdem
Preußen bereits die entschiedene Mehrheit der Zollvereinsbevölkerung für sich
habe, der Minderheit nichts übrig bliebe, als der Mehrheit sich zu fügen. Von
einer Jsolirung Würtembergs — analog der Schweiz — wagte nur ein Red¬
ner, von einem Zollbündniß mit Oestreich gar keiner zu reden. In der That
sind die Interessen des Landes nach allen Beziehungen so eng und unauflös¬
lich mit dem Zollverein verknüpft, daß eine Zerreißung dieses Bandes von
Freunden und Gegnern des Vertrags für gleich undenkbar gehalten wird-
Die Gegner erkennen nur die richtige Fragstellung noch nicht an, sie läugnen
die Gefahr, sie läugnen, daß Preußen es aufs Aeußerste ankommen lassen
werde. Allein je näher die Kündigungsfrist rückt, um so hinfälliger werden die
Stützen für die Gegner des Vertrags, um so mehr wird die Losung: Erhal¬
tung des Zollvereins, auch um den Preis des Handelsvertrags — die all¬
gemeine werden. Jetzt hat die Agitation erst begonnen, aber jeder Tag, der
die Krisis verlängert, verstärkt das Gewicht ihrer Gründe, und es kann kein
Zweifel sein, daß das Interesse des Landes schließlich über den Eigenwillen
der Regierung den Sieg davon tragen werde, in welcher selbst bekanntlich nur
eine Partei die rücksichtslosen Schritte gegen Preußen durchgesetzt hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/107>, abgerufen am 26.11.2024.