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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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klingt verdächtig genug. Denn es enthält die Anerkennung einer schiedsrichter¬
lichen Autorität des Bundes, die für die einzelnen Staaten verbindlich ist.
Auf welcher Seite aber bei künftigen Abstimmungen am Bunde Würtemberg
stehen werde, erfuhr man nicht. Die Regierung werde Alles aufbieten, jagte
Herr von Hügel, daß der rechtmäßige Erbe baldmöglichst in den Besitz seines
Landes gesetzt werde. Welches aber der rechtmäßige Erbe sei, hütete er sich
auszusprechen. So redete er auch stets von der Nothwendigkeit der schleunigen
Besetzung der "Herzogthümer", ob er aber auch Schleswig zu den Herzog¬
tümern rechne, verschwieg er. Es ist dem Ministertisch in dieser Sitzung vom
10. December keineswegs mit der Schärfe entgegnet und zugesetzt worden, wie
man es erwarten durfte: die Kammer faßte ihre Beschlüsse, die Minister
gaben zu verstehen, daß sie sich nicht daran kehren werden, und seitdem sind
nun wieder volle zehn Tage verstrichen, ohne daß die Kammer sich auch nur
wieder eine Anfrage erlaubt hätte.

Auffallend ist auch, daß die Regierung bis jetzt nicht ein einziges Mal ge¬
wagt hat, ihren Standpunkt in einer officiösen Kundgebung in ihrem Organ
näher zu Präcisiren. Wohl aber erscheinen in einem Winkelblatt, das im Ge¬
rüche höherer Eingebungen steht, täglich heuchlerische Artikel, die unter patrio¬
tischer Maske das Volk in dem Sinne zu bearbeiten suchen, daß der Friede ein
köstliches Gut. der Krieg ein kostspieliges Laster sei, daß die Einigkeit von Preu¬
ßen und Oestreich ein erhabener Anblick für den Vaterlandsfreund sei, und daß
es nur revolutionärer Wühlerei in den Sinn kommen könne, an dem guten
Willen der Regierungen zu zweifeln.

Diese Bemühungen sind nutzlos. Die Stimmung des Volks ist fest und
entschieden, auf dem Lande noch mehr als in der Hauptstadt, wo für einen
blasirten Pessimismus immerhin ein besserer Boden ist. Die Versammlung,
welche am 13. d. die Abgesandten der Comites des Landes in Stuttgart hiel¬
ten, lieferte einen erfreulichen Beweis, wie weit verbreitet das Interesse an der
Sache ist. Es mögen an 100 Comites in Würtemberg bestehen, die zunächst
mit Geldsammlungen, in den Städten aber überall auch mit der Organisirung
von freiwilligen Wehrvereincn beschäftigt sind. Aber auch den Beweis lieferte
diese Versammlung, daß die Bewegung bis jetzt einen sehr gemäßigten Charakter
trägt. Selbst die Organisation eines Landesausschusscs wurde vermieden. Auch
die Bethätigung der vielbetheuerten Opferwilligkeit ist noch keine glänzende.
Sähe sich das deutsche Volk zur Wahrung seiner Ehre und seines Rechts zu
Acten der Selbsthilfe genöthigt, so würde der Anstoß, wie ich glaube, nicht von
^ unsern süddeutschen Gegenden zu erwarten sein.




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klingt verdächtig genug. Denn es enthält die Anerkennung einer schiedsrichter¬
lichen Autorität des Bundes, die für die einzelnen Staaten verbindlich ist.
Auf welcher Seite aber bei künftigen Abstimmungen am Bunde Würtemberg
stehen werde, erfuhr man nicht. Die Regierung werde Alles aufbieten, jagte
Herr von Hügel, daß der rechtmäßige Erbe baldmöglichst in den Besitz seines
Landes gesetzt werde. Welches aber der rechtmäßige Erbe sei, hütete er sich
auszusprechen. So redete er auch stets von der Nothwendigkeit der schleunigen
Besetzung der „Herzogthümer", ob er aber auch Schleswig zu den Herzog¬
tümern rechne, verschwieg er. Es ist dem Ministertisch in dieser Sitzung vom
10. December keineswegs mit der Schärfe entgegnet und zugesetzt worden, wie
man es erwarten durfte: die Kammer faßte ihre Beschlüsse, die Minister
gaben zu verstehen, daß sie sich nicht daran kehren werden, und seitdem sind
nun wieder volle zehn Tage verstrichen, ohne daß die Kammer sich auch nur
wieder eine Anfrage erlaubt hätte.

Auffallend ist auch, daß die Regierung bis jetzt nicht ein einziges Mal ge¬
wagt hat, ihren Standpunkt in einer officiösen Kundgebung in ihrem Organ
näher zu Präcisiren. Wohl aber erscheinen in einem Winkelblatt, das im Ge¬
rüche höherer Eingebungen steht, täglich heuchlerische Artikel, die unter patrio¬
tischer Maske das Volk in dem Sinne zu bearbeiten suchen, daß der Friede ein
köstliches Gut. der Krieg ein kostspieliges Laster sei, daß die Einigkeit von Preu¬
ßen und Oestreich ein erhabener Anblick für den Vaterlandsfreund sei, und daß
es nur revolutionärer Wühlerei in den Sinn kommen könne, an dem guten
Willen der Regierungen zu zweifeln.

Diese Bemühungen sind nutzlos. Die Stimmung des Volks ist fest und
entschieden, auf dem Lande noch mehr als in der Hauptstadt, wo für einen
blasirten Pessimismus immerhin ein besserer Boden ist. Die Versammlung,
welche am 13. d. die Abgesandten der Comites des Landes in Stuttgart hiel¬
ten, lieferte einen erfreulichen Beweis, wie weit verbreitet das Interesse an der
Sache ist. Es mögen an 100 Comites in Würtemberg bestehen, die zunächst
mit Geldsammlungen, in den Städten aber überall auch mit der Organisirung
von freiwilligen Wehrvereincn beschäftigt sind. Aber auch den Beweis lieferte
diese Versammlung, daß die Bewegung bis jetzt einen sehr gemäßigten Charakter
trägt. Selbst die Organisation eines Landesausschusscs wurde vermieden. Auch
die Bethätigung der vielbetheuerten Opferwilligkeit ist noch keine glänzende.
Sähe sich das deutsche Volk zur Wahrung seiner Ehre und seines Rechts zu
Acten der Selbsthilfe genöthigt, so würde der Anstoß, wie ich glaube, nicht von
^ unsern süddeutschen Gegenden zu erwarten sein.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/515>, abgerufen am 15.01.2025.