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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Mit dem Anfange des neuen Jahres beginnen die Grenz¬
boten den ^XINR. Jahrgang. Die unterzeichnete Verlagshand-
lung erlaubt sich zur Pränumeration aus denselben einzuladen und be¬
merkt, daß alle Buchhandlungen und Postämter Bestellungen annehmen.
Leipzig, im December 1863.Fr. Ludw. Herbig.

Material zu einer Nenjahrsbetrachtmig.

Statt in unsrer unmittelbaren Umgebung suchen wir den Gegenstand un¬
serer heutigen Betrachtung einmal jenseits des Weltmeers am fernen Horizont,
und statt, wie sonst üblich, mit der nächsten Vergangenheit oder der nächsten
Zukunft uns zu beschäftigen, bitten wir. die Aufmerksamkeit der Leser für dies¬
mal ausnahmsweise auf eine Zeit lenken zu dürfen, die keiner von uns er¬
leben wird.

Unser Thema lautet: Die Vereinigten Staaten von Amerika im
Jahre 1964.

In der That, ein weiter Flug in den Nebel der Zukunft, aber verhüllt
uns nicht derselbe Nebel fast ebenso dicht schon die Ereignisse des nächsten
Frühjahrs? Und man fürchte keine Phantasieflügel, kein prophetisches Gesicht.
Wir bedürfen weder der Ekstase noch eines ungewöhnlich gebauten, künstlich zu¬
sammengesetzten Apparats, wir bleiben auf dem Gebiete verständiger, gelassener
Prosa, bei Einmaleins und Logik. Ein paar einfache statistische Wahrheiten
werden uns als Führerinnen dienen. Ein Blick auf die große Umgestaltung,
welche das deutsche Element der Unionsbevölkerung im Laufe der letzten andert¬
halb Jahrzehnte erfahren hat, wird zu Weiterem verhelfen. Die einzige unter
unsern Voraussetzungen, welche sich anfechten läßt, freilich die wichtigste, ist
die, daß es in hundert Jahren noch eine amerikanische Union im heutigen oder
in größerem Umfang geben werde. Die übrigen sind ungefähr so sicher wie die
Fundamentalprämisse, daß dann die Welt noch nicht eingefallen sein wird,
und selbst jene ist, wofern die jetzt der Gewißheit nahe gerückte Wahrscheinlich¬
keit der Unterwerfung des Südens durch den Norden unter Ausschluß der Skla¬
verei zur Wirklichkeit wird und so die einzige Frage, welche die Existenz des
Bundes ernstlich bedrohen kann, wegfällt, etwas mehr als bloße Mög¬
lichkeit.

Wir haben uns den Bedenken, welche der gewaltige Bürgerkrieg in Betreff
des Bestandes der Union erweckte, durchaus nicht verschlossen, ja es war eine
Zeit, wo wir die letztere aufgeben zu müssen meinten. Diese Zeit aber scheint
jetzt vorüber. Auf alle Fälle hat sich die Lebenskraft Amerikas weit stärker er-


Grenzboten IV. 1863. 61

Mit dem Anfange des neuen Jahres beginnen die Grenz¬
boten den ^XINR. Jahrgang. Die unterzeichnete Verlagshand-
lung erlaubt sich zur Pränumeration aus denselben einzuladen und be¬
merkt, daß alle Buchhandlungen und Postämter Bestellungen annehmen.
Leipzig, im December 1863.Fr. Ludw. Herbig.

Material zu einer Nenjahrsbetrachtmig.

Statt in unsrer unmittelbaren Umgebung suchen wir den Gegenstand un¬
serer heutigen Betrachtung einmal jenseits des Weltmeers am fernen Horizont,
und statt, wie sonst üblich, mit der nächsten Vergangenheit oder der nächsten
Zukunft uns zu beschäftigen, bitten wir. die Aufmerksamkeit der Leser für dies¬
mal ausnahmsweise auf eine Zeit lenken zu dürfen, die keiner von uns er¬
leben wird.

Unser Thema lautet: Die Vereinigten Staaten von Amerika im
Jahre 1964.

In der That, ein weiter Flug in den Nebel der Zukunft, aber verhüllt
uns nicht derselbe Nebel fast ebenso dicht schon die Ereignisse des nächsten
Frühjahrs? Und man fürchte keine Phantasieflügel, kein prophetisches Gesicht.
Wir bedürfen weder der Ekstase noch eines ungewöhnlich gebauten, künstlich zu¬
sammengesetzten Apparats, wir bleiben auf dem Gebiete verständiger, gelassener
Prosa, bei Einmaleins und Logik. Ein paar einfache statistische Wahrheiten
werden uns als Führerinnen dienen. Ein Blick auf die große Umgestaltung,
welche das deutsche Element der Unionsbevölkerung im Laufe der letzten andert¬
halb Jahrzehnte erfahren hat, wird zu Weiterem verhelfen. Die einzige unter
unsern Voraussetzungen, welche sich anfechten läßt, freilich die wichtigste, ist
die, daß es in hundert Jahren noch eine amerikanische Union im heutigen oder
in größerem Umfang geben werde. Die übrigen sind ungefähr so sicher wie die
Fundamentalprämisse, daß dann die Welt noch nicht eingefallen sein wird,
und selbst jene ist, wofern die jetzt der Gewißheit nahe gerückte Wahrscheinlich¬
keit der Unterwerfung des Südens durch den Norden unter Ausschluß der Skla¬
verei zur Wirklichkeit wird und so die einzige Frage, welche die Existenz des
Bundes ernstlich bedrohen kann, wegfällt, etwas mehr als bloße Mög¬
lichkeit.

Wir haben uns den Bedenken, welche der gewaltige Bürgerkrieg in Betreff
des Bestandes der Union erweckte, durchaus nicht verschlossen, ja es war eine
Zeit, wo wir die letztere aufgeben zu müssen meinten. Diese Zeit aber scheint
jetzt vorüber. Auf alle Fälle hat sich die Lebenskraft Amerikas weit stärker er-


Grenzboten IV. 1863. 61
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[0489] Mit dem Anfange des neuen Jahres beginnen die Grenz¬ boten den ^XINR. Jahrgang. Die unterzeichnete Verlagshand- lung erlaubt sich zur Pränumeration aus denselben einzuladen und be¬ merkt, daß alle Buchhandlungen und Postämter Bestellungen annehmen. Leipzig, im December 1863.Fr. Ludw. Herbig. Material zu einer Nenjahrsbetrachtmig. Statt in unsrer unmittelbaren Umgebung suchen wir den Gegenstand un¬ serer heutigen Betrachtung einmal jenseits des Weltmeers am fernen Horizont, und statt, wie sonst üblich, mit der nächsten Vergangenheit oder der nächsten Zukunft uns zu beschäftigen, bitten wir. die Aufmerksamkeit der Leser für dies¬ mal ausnahmsweise auf eine Zeit lenken zu dürfen, die keiner von uns er¬ leben wird. Unser Thema lautet: Die Vereinigten Staaten von Amerika im Jahre 1964. In der That, ein weiter Flug in den Nebel der Zukunft, aber verhüllt uns nicht derselbe Nebel fast ebenso dicht schon die Ereignisse des nächsten Frühjahrs? Und man fürchte keine Phantasieflügel, kein prophetisches Gesicht. Wir bedürfen weder der Ekstase noch eines ungewöhnlich gebauten, künstlich zu¬ sammengesetzten Apparats, wir bleiben auf dem Gebiete verständiger, gelassener Prosa, bei Einmaleins und Logik. Ein paar einfache statistische Wahrheiten werden uns als Führerinnen dienen. Ein Blick auf die große Umgestaltung, welche das deutsche Element der Unionsbevölkerung im Laufe der letzten andert¬ halb Jahrzehnte erfahren hat, wird zu Weiterem verhelfen. Die einzige unter unsern Voraussetzungen, welche sich anfechten läßt, freilich die wichtigste, ist die, daß es in hundert Jahren noch eine amerikanische Union im heutigen oder in größerem Umfang geben werde. Die übrigen sind ungefähr so sicher wie die Fundamentalprämisse, daß dann die Welt noch nicht eingefallen sein wird, und selbst jene ist, wofern die jetzt der Gewißheit nahe gerückte Wahrscheinlich¬ keit der Unterwerfung des Südens durch den Norden unter Ausschluß der Skla¬ verei zur Wirklichkeit wird und so die einzige Frage, welche die Existenz des Bundes ernstlich bedrohen kann, wegfällt, etwas mehr als bloße Mög¬ lichkeit. Wir haben uns den Bedenken, welche der gewaltige Bürgerkrieg in Betreff des Bestandes der Union erweckte, durchaus nicht verschlossen, ja es war eine Zeit, wo wir die letztere aufgeben zu müssen meinten. Diese Zeit aber scheint jetzt vorüber. Auf alle Fälle hat sich die Lebenskraft Amerikas weit stärker er- Grenzboten IV. 1863. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/489>, abgerufen am 15.01.2025.