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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Die Resultate des gewonnenen Fortschritts vorzuführen, die Männer glei¬
chen Strebens persönlich miteinander bekannt zu machen, ihnen den Austausch
ihrer Erfahrungen zu erleichtern, hat kein Mittel so trefflich gewirkt, als die
Periodischen Versammlungen deutscher Landwirthe und die landwirtschaftlichen
Ausstellungen. Eine große Zahl landwirtschaftlicher Provinzial- und Local-
Vereine bestehn in Deutschland; ihre Debatten passen sich dem Verständniß der
Theilnehmer an. ihre Vieh- und Geräthe-Ausstellungen haben localen Charakter.
Als ihr Centralpunkt war bis vor Kurzem die Wanderversammlung deutscher
Land- und Forstwirthe anzusehn, welche jährlich tagte und alle Gegenstände
landwirtschaftlichen Wissens vor ihr Forum berief. Sie wird im nächsten
Jahre ihr sünfundzwanzigjährigcs Bestehn in Dresden feiern, wo sie 1839 zum
ersten Mal zusammenkam.

Damals war die Befreiung des Grundbesitzes von dinglichen Lasten noch
wenig vorgeschritten, die merkantilen Verhältnisse waren noch nicht entwickelt,
der Personenverkehr noch beschränkt, der Austausch der Ansichten durch die nicht
übergroße Redegewandtheit und Gelehrsamkeit der Landwirthe gehemmt, die
Achtung vor den Naturwissenschaften schlief noch, und Vieles, was heute in
dem landwirthschaftlichen Betrieb eine sehr bedeutende Rolle spielt -- z. V. der
Gebrauch des künstlichen Düngers -- war selten und höchst vereinzelt vorhan¬
den. Wie verändert wird die Sonne der Jubiläumstage die Gegenstände der
Verhandlungen finden! Aus allen Theilen Deutschlands werden der Versamm¬
lung Theilnehmer zuströmen, die ganz andere Fragen und Ansprüche mitbrin^
gen werden als die damaligen. Was vor fünfundzwanzig Jahren als ein
Curiosum schüchtern erwähnt wurde, wird jetzt als ein überwundener Stand¬
punkt kaum mehr berührt, und das, wozu damals weder Anregung noch Ver¬
ständniß vorhanden, wird nun mit den Gründen der Wissenschaft und der
Praxis erörtert worden.

Aber einestheils schien es auf den letzten Versammlungen, als ob die Zeit,
welche tief greifende wissenschaftliche Untersuchungen zu Resultaten führen sollte,
zu kurz gemessen wäre, und daß zur Zergliederung solcher Aufgaben die Stu-
dirstube sich besser eignete, anderntheils erwachte das Verlangen, die landwirth¬
schaftlichen Errungenschaften der neuesten Jahre in einem Gesammtbild vorge¬
führt zu sehen.

Bor zehn Jahren noch hatten Ausstellungen einen nur localen Charakter.
Aus den ungarischen Pusten den Ochsen, aus den Alpen die Milchkuh, aus
den Heerden Schlesiens das Wollschaf, aus den Kreidcgcgenden Englands das
Fleischschaf, aus den Ställen Uorkshires das Schwein, aus Ostpreußens Stu¬
tereien das edle Pferd -- alles das in außergewöhnlichen Exemplaren -- an
einem Centralpunkt zu versammeln, hätte damals dreimal so viel Zeit und ganz
andere Geldmittel als jetzt erfordert und vielleicht nicht die Theilnahme und


Die Resultate des gewonnenen Fortschritts vorzuführen, die Männer glei¬
chen Strebens persönlich miteinander bekannt zu machen, ihnen den Austausch
ihrer Erfahrungen zu erleichtern, hat kein Mittel so trefflich gewirkt, als die
Periodischen Versammlungen deutscher Landwirthe und die landwirtschaftlichen
Ausstellungen. Eine große Zahl landwirtschaftlicher Provinzial- und Local-
Vereine bestehn in Deutschland; ihre Debatten passen sich dem Verständniß der
Theilnehmer an. ihre Vieh- und Geräthe-Ausstellungen haben localen Charakter.
Als ihr Centralpunkt war bis vor Kurzem die Wanderversammlung deutscher
Land- und Forstwirthe anzusehn, welche jährlich tagte und alle Gegenstände
landwirtschaftlichen Wissens vor ihr Forum berief. Sie wird im nächsten
Jahre ihr sünfundzwanzigjährigcs Bestehn in Dresden feiern, wo sie 1839 zum
ersten Mal zusammenkam.

Damals war die Befreiung des Grundbesitzes von dinglichen Lasten noch
wenig vorgeschritten, die merkantilen Verhältnisse waren noch nicht entwickelt,
der Personenverkehr noch beschränkt, der Austausch der Ansichten durch die nicht
übergroße Redegewandtheit und Gelehrsamkeit der Landwirthe gehemmt, die
Achtung vor den Naturwissenschaften schlief noch, und Vieles, was heute in
dem landwirthschaftlichen Betrieb eine sehr bedeutende Rolle spielt — z. V. der
Gebrauch des künstlichen Düngers — war selten und höchst vereinzelt vorhan¬
den. Wie verändert wird die Sonne der Jubiläumstage die Gegenstände der
Verhandlungen finden! Aus allen Theilen Deutschlands werden der Versamm¬
lung Theilnehmer zuströmen, die ganz andere Fragen und Ansprüche mitbrin^
gen werden als die damaligen. Was vor fünfundzwanzig Jahren als ein
Curiosum schüchtern erwähnt wurde, wird jetzt als ein überwundener Stand¬
punkt kaum mehr berührt, und das, wozu damals weder Anregung noch Ver¬
ständniß vorhanden, wird nun mit den Gründen der Wissenschaft und der
Praxis erörtert worden.

Aber einestheils schien es auf den letzten Versammlungen, als ob die Zeit,
welche tief greifende wissenschaftliche Untersuchungen zu Resultaten führen sollte,
zu kurz gemessen wäre, und daß zur Zergliederung solcher Aufgaben die Stu-
dirstube sich besser eignete, anderntheils erwachte das Verlangen, die landwirth¬
schaftlichen Errungenschaften der neuesten Jahre in einem Gesammtbild vorge¬
führt zu sehen.

Bor zehn Jahren noch hatten Ausstellungen einen nur localen Charakter.
Aus den ungarischen Pusten den Ochsen, aus den Alpen die Milchkuh, aus
den Heerden Schlesiens das Wollschaf, aus den Kreidcgcgenden Englands das
Fleischschaf, aus den Ställen Uorkshires das Schwein, aus Ostpreußens Stu¬
tereien das edle Pferd — alles das in außergewöhnlichen Exemplaren — an
einem Centralpunkt zu versammeln, hätte damals dreimal so viel Zeit und ganz
andere Geldmittel als jetzt erfordert und vielleicht nicht die Theilnahme und


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[0439] Die Resultate des gewonnenen Fortschritts vorzuführen, die Männer glei¬ chen Strebens persönlich miteinander bekannt zu machen, ihnen den Austausch ihrer Erfahrungen zu erleichtern, hat kein Mittel so trefflich gewirkt, als die Periodischen Versammlungen deutscher Landwirthe und die landwirtschaftlichen Ausstellungen. Eine große Zahl landwirtschaftlicher Provinzial- und Local- Vereine bestehn in Deutschland; ihre Debatten passen sich dem Verständniß der Theilnehmer an. ihre Vieh- und Geräthe-Ausstellungen haben localen Charakter. Als ihr Centralpunkt war bis vor Kurzem die Wanderversammlung deutscher Land- und Forstwirthe anzusehn, welche jährlich tagte und alle Gegenstände landwirtschaftlichen Wissens vor ihr Forum berief. Sie wird im nächsten Jahre ihr sünfundzwanzigjährigcs Bestehn in Dresden feiern, wo sie 1839 zum ersten Mal zusammenkam. Damals war die Befreiung des Grundbesitzes von dinglichen Lasten noch wenig vorgeschritten, die merkantilen Verhältnisse waren noch nicht entwickelt, der Personenverkehr noch beschränkt, der Austausch der Ansichten durch die nicht übergroße Redegewandtheit und Gelehrsamkeit der Landwirthe gehemmt, die Achtung vor den Naturwissenschaften schlief noch, und Vieles, was heute in dem landwirthschaftlichen Betrieb eine sehr bedeutende Rolle spielt — z. V. der Gebrauch des künstlichen Düngers — war selten und höchst vereinzelt vorhan¬ den. Wie verändert wird die Sonne der Jubiläumstage die Gegenstände der Verhandlungen finden! Aus allen Theilen Deutschlands werden der Versamm¬ lung Theilnehmer zuströmen, die ganz andere Fragen und Ansprüche mitbrin^ gen werden als die damaligen. Was vor fünfundzwanzig Jahren als ein Curiosum schüchtern erwähnt wurde, wird jetzt als ein überwundener Stand¬ punkt kaum mehr berührt, und das, wozu damals weder Anregung noch Ver¬ ständniß vorhanden, wird nun mit den Gründen der Wissenschaft und der Praxis erörtert worden. Aber einestheils schien es auf den letzten Versammlungen, als ob die Zeit, welche tief greifende wissenschaftliche Untersuchungen zu Resultaten führen sollte, zu kurz gemessen wäre, und daß zur Zergliederung solcher Aufgaben die Stu- dirstube sich besser eignete, anderntheils erwachte das Verlangen, die landwirth¬ schaftlichen Errungenschaften der neuesten Jahre in einem Gesammtbild vorge¬ führt zu sehen. Bor zehn Jahren noch hatten Ausstellungen einen nur localen Charakter. Aus den ungarischen Pusten den Ochsen, aus den Alpen die Milchkuh, aus den Heerden Schlesiens das Wollschaf, aus den Kreidcgcgenden Englands das Fleischschaf, aus den Ställen Uorkshires das Schwein, aus Ostpreußens Stu¬ tereien das edle Pferd — alles das in außergewöhnlichen Exemplaren — an einem Centralpunkt zu versammeln, hätte damals dreimal so viel Zeit und ganz andere Geldmittel als jetzt erfordert und vielleicht nicht die Theilnahme und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/439>, abgerufen am 15.01.2025.