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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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das bislang nur in seinem Laboratorium spukte, vor der Kraft, der Energie
und den Erfolgen des heutigen Ackerbaus verfliegen.
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Die Kloaken der Städte, welche Liebig die Verschlinger der Fruchtbarkeit
der Länder nennt, hassen wir Landwirthe ganz so lebhaft wie er. Die Ausein¬
andersetzungen über diesen Gegenstand - muß er daher nicht an uns richten,
sondern an ganz andere Leute, z. B. an die Staatsregierungen adressiren, und
es muß mit Hilfe tüchtiger Ingenieure dargethan werden, daß schon der heu¬
tige Kornpreis die Gewinnung der menschlichen Excremente in den Städten,
ihren Transport und ihre Verwendung rentirt. Wir wünschen Glück zu solcher
Ausgabe und schließen uns soweit Liebig an, als wir nicht zweifeln, daß der
gewonnene Dünger gekauft werden wird, so lange er nicht theurer ist, als die
anderen Düngemittel. Die Kloaken haben in London und Paris Fiasko ge¬
macht. In New-Uork benutzt man eiserne Kisten, deren jedes Haus zwei besitzt,
damit die eine stets im Gebrauch und die andere in den Händen des Wegfüh¬
renden sei. In Turin werden solche Kloakensässer mittelst Luftdruck in ein auf
dem fortbringenden Wagen liegendes Scunmelgefäß entleert. Noch hadert man,
was in dieser Sache mehr zu empfehlen sei.

Thaer führte die Landwirthschaft aus dem Taumel des Irrthums in die
Gänge seiner Erfahrungen und lehrte sie, abhängend von dem durch diese Be¬
währten in bekannten Geleisen vorwärts gehn. Liebig stellte sie auf eigene
Füße, und seitdem wagen wir Landwirthe das Leitseil der Autorität vorsichtig
abzuschütteln und fragen bei der Wissenschaft nach, ob wir uns noch unbekannte
und nicht erprobte Regionen betreten dürfen?

So nicht nur auf dem Ackerfeld, sondern auch in den Viehställen. Wir
machen die Thiere nicht mehr blos satt oder übersatt oder probirend fett, son¬
dern wir wissen, daß das Thier so und so viel Pfunde derjenigen Stoffe be¬
darf, woraus es Fleisch. Milch, Wolle. Fett bilden soll. Wir geben nicht zu
wenig weder an Kohlenhydraten, noch an Protcinstoffen, damit das Thier den
höchsten Ertrag liefere; wir geben nicht zu viel, damit kein Theil der Nahrung
ungenutzt verloren werde. Noch sind nicht alle unsere Fragen von den Ver¬
tretern der Wissenschaft gelöst worden. Wir wissen noch nicht, welcher Theil
des Futtermittels im Thierkörper Fleisch, welcher Fett producirt, bis zu welcher
Grenze wir aus die Knochenbildung, aus die individuellen Eigenschaften wirken
können. Woraus die Pflanze speciell die Holzfaser producirt, ist noch unbe¬
kannt; wir kennen nicht den Einfluß von Kali oder Ammoniak auf die Bildung
von Stärke oder Zucker und verstehn durchaus nicht, warum ein und das¬
selbe Düngemüttel auf scheinbar gleichartigen Bodenverhältnissen ganz verschie¬
den resultirt. Man steht, es bleibt noch viel zu thun, und wir Landwirthe
dürfen immer noch die ältere Lehre neben die der Neuzeit stellen, vergleichen,
und zurückblicken auf die Erfahrung dieses Jahrhunderts.


das bislang nur in seinem Laboratorium spukte, vor der Kraft, der Energie
und den Erfolgen des heutigen Ackerbaus verfliegen.
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Die Kloaken der Städte, welche Liebig die Verschlinger der Fruchtbarkeit
der Länder nennt, hassen wir Landwirthe ganz so lebhaft wie er. Die Ausein¬
andersetzungen über diesen Gegenstand - muß er daher nicht an uns richten,
sondern an ganz andere Leute, z. B. an die Staatsregierungen adressiren, und
es muß mit Hilfe tüchtiger Ingenieure dargethan werden, daß schon der heu¬
tige Kornpreis die Gewinnung der menschlichen Excremente in den Städten,
ihren Transport und ihre Verwendung rentirt. Wir wünschen Glück zu solcher
Ausgabe und schließen uns soweit Liebig an, als wir nicht zweifeln, daß der
gewonnene Dünger gekauft werden wird, so lange er nicht theurer ist, als die
anderen Düngemittel. Die Kloaken haben in London und Paris Fiasko ge¬
macht. In New-Uork benutzt man eiserne Kisten, deren jedes Haus zwei besitzt,
damit die eine stets im Gebrauch und die andere in den Händen des Wegfüh¬
renden sei. In Turin werden solche Kloakensässer mittelst Luftdruck in ein auf
dem fortbringenden Wagen liegendes Scunmelgefäß entleert. Noch hadert man,
was in dieser Sache mehr zu empfehlen sei.

Thaer führte die Landwirthschaft aus dem Taumel des Irrthums in die
Gänge seiner Erfahrungen und lehrte sie, abhängend von dem durch diese Be¬
währten in bekannten Geleisen vorwärts gehn. Liebig stellte sie auf eigene
Füße, und seitdem wagen wir Landwirthe das Leitseil der Autorität vorsichtig
abzuschütteln und fragen bei der Wissenschaft nach, ob wir uns noch unbekannte
und nicht erprobte Regionen betreten dürfen?

So nicht nur auf dem Ackerfeld, sondern auch in den Viehställen. Wir
machen die Thiere nicht mehr blos satt oder übersatt oder probirend fett, son¬
dern wir wissen, daß das Thier so und so viel Pfunde derjenigen Stoffe be¬
darf, woraus es Fleisch. Milch, Wolle. Fett bilden soll. Wir geben nicht zu
wenig weder an Kohlenhydraten, noch an Protcinstoffen, damit das Thier den
höchsten Ertrag liefere; wir geben nicht zu viel, damit kein Theil der Nahrung
ungenutzt verloren werde. Noch sind nicht alle unsere Fragen von den Ver¬
tretern der Wissenschaft gelöst worden. Wir wissen noch nicht, welcher Theil
des Futtermittels im Thierkörper Fleisch, welcher Fett producirt, bis zu welcher
Grenze wir aus die Knochenbildung, aus die individuellen Eigenschaften wirken
können. Woraus die Pflanze speciell die Holzfaser producirt, ist noch unbe¬
kannt; wir kennen nicht den Einfluß von Kali oder Ammoniak auf die Bildung
von Stärke oder Zucker und verstehn durchaus nicht, warum ein und das¬
selbe Düngemüttel auf scheinbar gleichartigen Bodenverhältnissen ganz verschie¬
den resultirt. Man steht, es bleibt noch viel zu thun, und wir Landwirthe
dürfen immer noch die ältere Lehre neben die der Neuzeit stellen, vergleichen,
und zurückblicken auf die Erfahrung dieses Jahrhunderts.


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[0438] das bislang nur in seinem Laboratorium spukte, vor der Kraft, der Energie und den Erfolgen des heutigen Ackerbaus verfliegen. " Die Kloaken der Städte, welche Liebig die Verschlinger der Fruchtbarkeit der Länder nennt, hassen wir Landwirthe ganz so lebhaft wie er. Die Ausein¬ andersetzungen über diesen Gegenstand - muß er daher nicht an uns richten, sondern an ganz andere Leute, z. B. an die Staatsregierungen adressiren, und es muß mit Hilfe tüchtiger Ingenieure dargethan werden, daß schon der heu¬ tige Kornpreis die Gewinnung der menschlichen Excremente in den Städten, ihren Transport und ihre Verwendung rentirt. Wir wünschen Glück zu solcher Ausgabe und schließen uns soweit Liebig an, als wir nicht zweifeln, daß der gewonnene Dünger gekauft werden wird, so lange er nicht theurer ist, als die anderen Düngemittel. Die Kloaken haben in London und Paris Fiasko ge¬ macht. In New-Uork benutzt man eiserne Kisten, deren jedes Haus zwei besitzt, damit die eine stets im Gebrauch und die andere in den Händen des Wegfüh¬ renden sei. In Turin werden solche Kloakensässer mittelst Luftdruck in ein auf dem fortbringenden Wagen liegendes Scunmelgefäß entleert. Noch hadert man, was in dieser Sache mehr zu empfehlen sei. Thaer führte die Landwirthschaft aus dem Taumel des Irrthums in die Gänge seiner Erfahrungen und lehrte sie, abhängend von dem durch diese Be¬ währten in bekannten Geleisen vorwärts gehn. Liebig stellte sie auf eigene Füße, und seitdem wagen wir Landwirthe das Leitseil der Autorität vorsichtig abzuschütteln und fragen bei der Wissenschaft nach, ob wir uns noch unbekannte und nicht erprobte Regionen betreten dürfen? So nicht nur auf dem Ackerfeld, sondern auch in den Viehställen. Wir machen die Thiere nicht mehr blos satt oder übersatt oder probirend fett, son¬ dern wir wissen, daß das Thier so und so viel Pfunde derjenigen Stoffe be¬ darf, woraus es Fleisch. Milch, Wolle. Fett bilden soll. Wir geben nicht zu wenig weder an Kohlenhydraten, noch an Protcinstoffen, damit das Thier den höchsten Ertrag liefere; wir geben nicht zu viel, damit kein Theil der Nahrung ungenutzt verloren werde. Noch sind nicht alle unsere Fragen von den Ver¬ tretern der Wissenschaft gelöst worden. Wir wissen noch nicht, welcher Theil des Futtermittels im Thierkörper Fleisch, welcher Fett producirt, bis zu welcher Grenze wir aus die Knochenbildung, aus die individuellen Eigenschaften wirken können. Woraus die Pflanze speciell die Holzfaser producirt, ist noch unbe¬ kannt; wir kennen nicht den Einfluß von Kali oder Ammoniak auf die Bildung von Stärke oder Zucker und verstehn durchaus nicht, warum ein und das¬ selbe Düngemüttel auf scheinbar gleichartigen Bodenverhältnissen ganz verschie¬ den resultirt. Man steht, es bleibt noch viel zu thun, und wir Landwirthe dürfen immer noch die ältere Lehre neben die der Neuzeit stellen, vergleichen, und zurückblicken auf die Erfahrung dieses Jahrhunderts.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/438>, abgerufen am 15.01.2025.