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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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druck zu Ende geführt sei, und wendet sich mit Entschiedenheit gegen die An¬
sicht derjenigen, die Preußens Vortheil dadurch am besten gewahrt sähen, daß
es, während Oestreich sich im fortgesetzten Kriege erschöpfe, in neutraler Stel¬
lung seine Kräfte sammle und den Ereignissen abwartend zuschaue. Hardenberg
erscheint vielmehr den fortdauernden Steigerungen der französischen Macht gegen¬
über die neutrale und unthätige Stellung fortan unhaltbar, die Rücksicht auf
die Dauer des Friedens gebieten ebensosehr wie Preußens Ehre und Ansehen,
daß es an der Entscheidung thätig Antheil nehme. Vor Allem solle man den
weiteren Uebergriffen der Franzosen kräftig begegnen, die norddeutsche Neutra¬
lität bestimmt zur Anerkennung bringen, die niederrheinischen Provinzen weiter
besetzen, Holland nicht in Abhängigkeit gerathen lassen, sich bei dem Friedens-
gcschäft einen bestimmten Einfluß sichern. Dies Alles sei den Franzosen zwar
in freundschaftlichem, aber zugleich festem und ernsthaftem Ton zu erklären, ein
Obscrvationscorps aufzustellen und auch der Krieg nicht zu scheuen.

Gewiß legt dies interessante Document für Hardenbergs staatsmännische
Einsicht ein rühmliches Zeugniß ab. Leider sollte aber die Trefflichkeit seiner
Rathschläge nur durch das Unheil bewährt werden, welches ihre Nichtbefolgung
"ach sich zog. Denn, weder waren die Anstrengungen Preußens, sich einen be¬
stimmten Einfluß bei dem Friedensgeschäft zu sichern, ausreichend, noch gelang
es ihm. die norddeutsche Neutralität, die doch recht eigentlich die Basis der preu¬
ßischen Stellung war, sicher zu stellen. Zur Erfüllung dieser dringlichsten Auf¬
gaben war aber Preußen deshalb unfähig, weil es, je drohender die Wolken
um seinen Horizont sich zusammenzogen, um so Stricker auf dem Princip der
Neutralität beharren zu müssen glaubte. Nun ist es aber augenscheinlich, daß
die Neutralität, sobald sie als principieller Standpunkt ausgesprochen wird,
nothwendiger Weise auch einen Verzicht auf jede diplomatische Wirksamkeit in
sich schließt. Was konnte alle diplomatische Feinheit (und an der hat es den
Leitern der preußischen Politik nicht gefehlt) in der damaligen Periode gewalt-
thätiger Rücksichtslosigkeit für eine Wirkung hervorbringen, wenn der Gegner
mit voller Sicherheit wußte, daß er dem diplomatischen Einschreiten Preußens
am sichersten dadurch begegnen könne, daß er dasselbe vollkommen unbeachtet lasse!

Indessen über die Fehler der preußischen Politik herrscht wohl nur eine
Stimme. ,Das Urtheil darüber steht so fest, daß man in Preußen selbst lange Zeit
mit Resignation in die dahin gerichteten Vorwürfe eingestimmt hat, ja daß man
sich geduldig die Fehler der Anderen noch dazu hat aufbürden lassen. Diese Fehler
der Andern nachgewiesen und dargelegt zu haben, wie sie besonders dazu bei¬
getragen haben, Preußen in falsche Wege lnncinzudrängen, und in denselben
festzuhalten, der Hypokriste, die scheinheilig auf Preußens Verirrungen und Fall
herabblickte, die Maske abgerissen zu haben, das ist eben das große Verdienst
der neueren Geschichtschreibung.


druck zu Ende geführt sei, und wendet sich mit Entschiedenheit gegen die An¬
sicht derjenigen, die Preußens Vortheil dadurch am besten gewahrt sähen, daß
es, während Oestreich sich im fortgesetzten Kriege erschöpfe, in neutraler Stel¬
lung seine Kräfte sammle und den Ereignissen abwartend zuschaue. Hardenberg
erscheint vielmehr den fortdauernden Steigerungen der französischen Macht gegen¬
über die neutrale und unthätige Stellung fortan unhaltbar, die Rücksicht auf
die Dauer des Friedens gebieten ebensosehr wie Preußens Ehre und Ansehen,
daß es an der Entscheidung thätig Antheil nehme. Vor Allem solle man den
weiteren Uebergriffen der Franzosen kräftig begegnen, die norddeutsche Neutra¬
lität bestimmt zur Anerkennung bringen, die niederrheinischen Provinzen weiter
besetzen, Holland nicht in Abhängigkeit gerathen lassen, sich bei dem Friedens-
gcschäft einen bestimmten Einfluß sichern. Dies Alles sei den Franzosen zwar
in freundschaftlichem, aber zugleich festem und ernsthaftem Ton zu erklären, ein
Obscrvationscorps aufzustellen und auch der Krieg nicht zu scheuen.

Gewiß legt dies interessante Document für Hardenbergs staatsmännische
Einsicht ein rühmliches Zeugniß ab. Leider sollte aber die Trefflichkeit seiner
Rathschläge nur durch das Unheil bewährt werden, welches ihre Nichtbefolgung
»ach sich zog. Denn, weder waren die Anstrengungen Preußens, sich einen be¬
stimmten Einfluß bei dem Friedensgeschäft zu sichern, ausreichend, noch gelang
es ihm. die norddeutsche Neutralität, die doch recht eigentlich die Basis der preu¬
ßischen Stellung war, sicher zu stellen. Zur Erfüllung dieser dringlichsten Auf¬
gaben war aber Preußen deshalb unfähig, weil es, je drohender die Wolken
um seinen Horizont sich zusammenzogen, um so Stricker auf dem Princip der
Neutralität beharren zu müssen glaubte. Nun ist es aber augenscheinlich, daß
die Neutralität, sobald sie als principieller Standpunkt ausgesprochen wird,
nothwendiger Weise auch einen Verzicht auf jede diplomatische Wirksamkeit in
sich schließt. Was konnte alle diplomatische Feinheit (und an der hat es den
Leitern der preußischen Politik nicht gefehlt) in der damaligen Periode gewalt-
thätiger Rücksichtslosigkeit für eine Wirkung hervorbringen, wenn der Gegner
mit voller Sicherheit wußte, daß er dem diplomatischen Einschreiten Preußens
am sichersten dadurch begegnen könne, daß er dasselbe vollkommen unbeachtet lasse!

Indessen über die Fehler der preußischen Politik herrscht wohl nur eine
Stimme. ,Das Urtheil darüber steht so fest, daß man in Preußen selbst lange Zeit
mit Resignation in die dahin gerichteten Vorwürfe eingestimmt hat, ja daß man
sich geduldig die Fehler der Anderen noch dazu hat aufbürden lassen. Diese Fehler
der Andern nachgewiesen und dargelegt zu haben, wie sie besonders dazu bei¬
getragen haben, Preußen in falsche Wege lnncinzudrängen, und in denselben
festzuhalten, der Hypokriste, die scheinheilig auf Preußens Verirrungen und Fall
herabblickte, die Maske abgerissen zu haben, das ist eben das große Verdienst
der neueren Geschichtschreibung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/413>, abgerufen am 15.01.2025.