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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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differiren, ist begreiflich. So stellt z. V. Sybel bekanntlich jeden Einfluß
der östreichisch-preußischen Politik, insbesondere der pillnitzer Verabredungen, auf
die Steigerung der kriegerischen Leidenschaften in Frankreich, die er ausschlie߬
lich aus den inneren Parteikämpfen erklärt, so wie auf die endlich erfolgte
Kriegserklärung Frankreichs an Oestreich in Abrede. Auch Hauffer erklärt die
Ansicht, die in der Besprechung von Pillnitz ein contrerevolutionäres Bündniß
gegen Frankreich erblickt, für irrig. Auch nach ihm weisen die Gedanken und
Absichten der beiden Monarchen auf alles Andere eher, als auf eine rasche Ac¬
tion hin. Aber für so ganz harmlos und unbedenklich hält er, und wie wir
glauben mit Recht, die pillnitzer Erklärung in ihren Wirkungen doch nicht. Es
komme in solchen Lagen oft weniger darauf an, was die Urheber eines Schrit¬
tes wollen, als darauf, wie die Andern ihn deuten. Die Hinweisung auf
kriegerische Vorbereitungen konnten in Paris vielleicht ernster genommen wer¬
den, als sie in Pillnitz gemeint waren. "Es ist ein eigenes Ding mit der
Reizbarkeit des Nationalgefühls, zumal in stürmischen Zeiten, wo dessen Er¬
regung eine furchtbare Waffe werden kann in den Händen revolutionärer Par¬
teien." "Der Tag von Pillnitz hat den Keim gelegt zu der Besorgniß vor der
bewaffneten Contrerevolution des Auslandes, und dieser Keim hat in der ent¬
scheidenden Stunde mit einer Raschheit und Macht sich entfaltet, die alle Be¬
rechnungen der Urheber weit überstieg." Wir glauben, daß in diesen Worten
die Bedeutung der Verabredung nach beiden Seiten hin auf ihr richtiges Maß
zurückgeführt ist.

Eine andere Differenz, auf die Hauffer ausdrücklich hinweist, stellt sich in
der Beurtheilung von Haugwitz' Verhalten bei Gelegenheit des haager Vertrags
zwischen England und Preußen heraus. Sybel beschuldigt Haugwitz, sich bei
dieser Gelegenheit unentschieden benommen und allerdings aus Bequemlichkeit
gefehlt zu haben, spricht ihn aber von dem Vorwurf der Zweideutigkeit frei,
während Hauffer sein Verhalten durchaus zweideutig findet. Die Sache ver¬
hält sich nach Häussers ausführlicher actenmäßiger Darstellung folgendermaßen.
Im haager Vertrag (19. April 1794), durch den England das finanziell sehr
erschöpfte Preußen bei der Koalition festzuhalten suchte, hatten sich die See¬
mächte zu Subsidienzahlungen an Preußen verpflichtet. Dafür sollte die Armee,
von einem preußischen Feldherrn geführt, nach einer militärischen Uebereinkunft
zwischen Großbritannien, Preußen und Holland da verwendet werden, wo es
den Interessen der Seemächte am zuträglichsten schien. In Folge dieser Stipu-
lation forderten England und Holland den sofortigen Marsch der preußischen
Armee in die Niederlande, welchem Schritt sich der Feldmarschall v. Möllen-
dorf aus militärischen Gründen mit vollem Rechte widersetzte. Auch glaubte er
dem Vertrage gemäß zu seiner Weigerung durchaus berechtigt zu sein, indem
er den Hauptnachdruck auf die Worte, "nach einer militärischen Uebereinkunft"


differiren, ist begreiflich. So stellt z. V. Sybel bekanntlich jeden Einfluß
der östreichisch-preußischen Politik, insbesondere der pillnitzer Verabredungen, auf
die Steigerung der kriegerischen Leidenschaften in Frankreich, die er ausschlie߬
lich aus den inneren Parteikämpfen erklärt, so wie auf die endlich erfolgte
Kriegserklärung Frankreichs an Oestreich in Abrede. Auch Hauffer erklärt die
Ansicht, die in der Besprechung von Pillnitz ein contrerevolutionäres Bündniß
gegen Frankreich erblickt, für irrig. Auch nach ihm weisen die Gedanken und
Absichten der beiden Monarchen auf alles Andere eher, als auf eine rasche Ac¬
tion hin. Aber für so ganz harmlos und unbedenklich hält er, und wie wir
glauben mit Recht, die pillnitzer Erklärung in ihren Wirkungen doch nicht. Es
komme in solchen Lagen oft weniger darauf an, was die Urheber eines Schrit¬
tes wollen, als darauf, wie die Andern ihn deuten. Die Hinweisung auf
kriegerische Vorbereitungen konnten in Paris vielleicht ernster genommen wer¬
den, als sie in Pillnitz gemeint waren. „Es ist ein eigenes Ding mit der
Reizbarkeit des Nationalgefühls, zumal in stürmischen Zeiten, wo dessen Er¬
regung eine furchtbare Waffe werden kann in den Händen revolutionärer Par¬
teien." „Der Tag von Pillnitz hat den Keim gelegt zu der Besorgniß vor der
bewaffneten Contrerevolution des Auslandes, und dieser Keim hat in der ent¬
scheidenden Stunde mit einer Raschheit und Macht sich entfaltet, die alle Be¬
rechnungen der Urheber weit überstieg." Wir glauben, daß in diesen Worten
die Bedeutung der Verabredung nach beiden Seiten hin auf ihr richtiges Maß
zurückgeführt ist.

Eine andere Differenz, auf die Hauffer ausdrücklich hinweist, stellt sich in
der Beurtheilung von Haugwitz' Verhalten bei Gelegenheit des haager Vertrags
zwischen England und Preußen heraus. Sybel beschuldigt Haugwitz, sich bei
dieser Gelegenheit unentschieden benommen und allerdings aus Bequemlichkeit
gefehlt zu haben, spricht ihn aber von dem Vorwurf der Zweideutigkeit frei,
während Hauffer sein Verhalten durchaus zweideutig findet. Die Sache ver¬
hält sich nach Häussers ausführlicher actenmäßiger Darstellung folgendermaßen.
Im haager Vertrag (19. April 1794), durch den England das finanziell sehr
erschöpfte Preußen bei der Koalition festzuhalten suchte, hatten sich die See¬
mächte zu Subsidienzahlungen an Preußen verpflichtet. Dafür sollte die Armee,
von einem preußischen Feldherrn geführt, nach einer militärischen Uebereinkunft
zwischen Großbritannien, Preußen und Holland da verwendet werden, wo es
den Interessen der Seemächte am zuträglichsten schien. In Folge dieser Stipu-
lation forderten England und Holland den sofortigen Marsch der preußischen
Armee in die Niederlande, welchem Schritt sich der Feldmarschall v. Möllen-
dorf aus militärischen Gründen mit vollem Rechte widersetzte. Auch glaubte er
dem Vertrage gemäß zu seiner Weigerung durchaus berechtigt zu sein, indem
er den Hauptnachdruck auf die Worte, „nach einer militärischen Uebereinkunft"


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[0410] differiren, ist begreiflich. So stellt z. V. Sybel bekanntlich jeden Einfluß der östreichisch-preußischen Politik, insbesondere der pillnitzer Verabredungen, auf die Steigerung der kriegerischen Leidenschaften in Frankreich, die er ausschlie߬ lich aus den inneren Parteikämpfen erklärt, so wie auf die endlich erfolgte Kriegserklärung Frankreichs an Oestreich in Abrede. Auch Hauffer erklärt die Ansicht, die in der Besprechung von Pillnitz ein contrerevolutionäres Bündniß gegen Frankreich erblickt, für irrig. Auch nach ihm weisen die Gedanken und Absichten der beiden Monarchen auf alles Andere eher, als auf eine rasche Ac¬ tion hin. Aber für so ganz harmlos und unbedenklich hält er, und wie wir glauben mit Recht, die pillnitzer Erklärung in ihren Wirkungen doch nicht. Es komme in solchen Lagen oft weniger darauf an, was die Urheber eines Schrit¬ tes wollen, als darauf, wie die Andern ihn deuten. Die Hinweisung auf kriegerische Vorbereitungen konnten in Paris vielleicht ernster genommen wer¬ den, als sie in Pillnitz gemeint waren. „Es ist ein eigenes Ding mit der Reizbarkeit des Nationalgefühls, zumal in stürmischen Zeiten, wo dessen Er¬ regung eine furchtbare Waffe werden kann in den Händen revolutionärer Par¬ teien." „Der Tag von Pillnitz hat den Keim gelegt zu der Besorgniß vor der bewaffneten Contrerevolution des Auslandes, und dieser Keim hat in der ent¬ scheidenden Stunde mit einer Raschheit und Macht sich entfaltet, die alle Be¬ rechnungen der Urheber weit überstieg." Wir glauben, daß in diesen Worten die Bedeutung der Verabredung nach beiden Seiten hin auf ihr richtiges Maß zurückgeführt ist. Eine andere Differenz, auf die Hauffer ausdrücklich hinweist, stellt sich in der Beurtheilung von Haugwitz' Verhalten bei Gelegenheit des haager Vertrags zwischen England und Preußen heraus. Sybel beschuldigt Haugwitz, sich bei dieser Gelegenheit unentschieden benommen und allerdings aus Bequemlichkeit gefehlt zu haben, spricht ihn aber von dem Vorwurf der Zweideutigkeit frei, während Hauffer sein Verhalten durchaus zweideutig findet. Die Sache ver¬ hält sich nach Häussers ausführlicher actenmäßiger Darstellung folgendermaßen. Im haager Vertrag (19. April 1794), durch den England das finanziell sehr erschöpfte Preußen bei der Koalition festzuhalten suchte, hatten sich die See¬ mächte zu Subsidienzahlungen an Preußen verpflichtet. Dafür sollte die Armee, von einem preußischen Feldherrn geführt, nach einer militärischen Uebereinkunft zwischen Großbritannien, Preußen und Holland da verwendet werden, wo es den Interessen der Seemächte am zuträglichsten schien. In Folge dieser Stipu- lation forderten England und Holland den sofortigen Marsch der preußischen Armee in die Niederlande, welchem Schritt sich der Feldmarschall v. Möllen- dorf aus militärischen Gründen mit vollem Rechte widersetzte. Auch glaubte er dem Vertrage gemäß zu seiner Weigerung durchaus berechtigt zu sein, indem er den Hauptnachdruck auf die Worte, „nach einer militärischen Uebereinkunft"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/410>, abgerufen am 15.01.2025.