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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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rische Kraft besitze und anorganische (unverbrennliche) Stoffe aus Nichts erzeuge.
Die Erde besaß eine "Triebkraft"; sie zu wecken, war eben die Kunst des Land-
wirths. Auf fruchtbaren Aeckern ward die Vegetation begünstigt durch Vor¬
handensein verwesender organischer Neste, -- das sah man; diese Verwesung
ward Humus, und es müsse daher ^- so schloß man -- des Landwirths Auf¬
gabe sein, Humus auf seinem Acker zu erzeugen, damit er die Triebkraft wecke,
damit der Acker fruchtbar werde.

Zwar hatte 1804 der genfer Gelehrte de Saussure (lioederelres elri-
wicjulzs sur Is. Vegetation) überzeugend nachgewiesen, welche Nahrungsbestanb-
theile organischen wie anorganischen Ursprungs die Pflanze bedürfe, daß sie
anorganische nöthig habe, daß die Wurzeln für sie Aufnahmsorgane seien, aber
vor ihm (1800) hatte der Apotheker Schrader in Berlin die von der berliner
Akademie gestellte Preisfrage über diesen Gegenstand zu Gunsten der schöpfe¬
rischen Kraft der Pflanze entschieden, und es blieb -- trotz de Saussures Ge¬
genbeweisen -- bis 1820 diese Meinung als feststehend herrschen. John (1819)
und Jablonsky (1832) deckten Schraders Fehler auf und setzten de Saussures Ent¬
deckungen in ihre Rechte ein, doch erwiesen erst 1840 Wiegmann und Pvls-
dorf für immer unantastbar den Satz, daß alle in der Pflanze enthaltenen
Elemente von Außen aufgenommen werden.

Aber Thaer war schon 1828 gestorben. Er hatte die Wissenschaft der
Agronomie geschaffen; ihre theilweise naturwissenschaftliche Begründung mußte
er sich von den Naturforschern erbitten; ließen ihn diese im Stich, so war sein
Irrthum nicht seine Schuld.

Genug, daß er zur Begründung der Landwirthschaftslehre überhaupt den
mächtigsten Anstoß gegeben und unter den Landwirthen ein Streben nach er¬
reichbaren Zielen geweckt hatte. Denn die Humusthcorie hat, obwohl sie ein
Irrthum war, dennoch gewaltigen Fortschritt bedingt. Konnte ihr schon Schwerz
(181S) die Bemerkung entgegenhalten, daß dieselbe von einem jüngeren La-
voisier bestritten werden dürfte, so war doch Niemand da, der sie umgestoßen
hätte und auf den "jüngeren Lavoisier" mußte noch lange gewartet werden.

Draußen auf den Feldern aber eilte man, Thaer zu genügen. Seine
Schüler -- Koppe, Burger, Schwerz, -- der Eine im Norden, der An¬
dere im Süden, der Dritte im Westen, trügen des Meisters Lehre unter die
Menge. Der Kartoffelanbau gestaltete des heiligen römischen Reichs Streu¬
sandbüchse in fruchtbare Felder um; die Spiritussubritation ward zu Hilfe ge¬
rufen. Sie war bis 1810 lediglich auf die Verarbeitung von Getreide ge¬
gründet gewesen. Das preußische Gesetz vom 27. October 1810, welches neben
der Schrotsteuer auch den Blasenzins, als nebenbei geltend, einführte, erwähnt
zum ersten Male in der Gesetzgebung die Möglichkeit der Verarbeitung von
Kartoffeln und Rüben statt des bloßen Getreides; aber von ihrem Spiritus-


Grenzboten IV. 1863. 47

rische Kraft besitze und anorganische (unverbrennliche) Stoffe aus Nichts erzeuge.
Die Erde besaß eine „Triebkraft"; sie zu wecken, war eben die Kunst des Land-
wirths. Auf fruchtbaren Aeckern ward die Vegetation begünstigt durch Vor¬
handensein verwesender organischer Neste, — das sah man; diese Verwesung
ward Humus, und es müsse daher ^- so schloß man — des Landwirths Auf¬
gabe sein, Humus auf seinem Acker zu erzeugen, damit er die Triebkraft wecke,
damit der Acker fruchtbar werde.

Zwar hatte 1804 der genfer Gelehrte de Saussure (lioederelres elri-
wicjulzs sur Is. Vegetation) überzeugend nachgewiesen, welche Nahrungsbestanb-
theile organischen wie anorganischen Ursprungs die Pflanze bedürfe, daß sie
anorganische nöthig habe, daß die Wurzeln für sie Aufnahmsorgane seien, aber
vor ihm (1800) hatte der Apotheker Schrader in Berlin die von der berliner
Akademie gestellte Preisfrage über diesen Gegenstand zu Gunsten der schöpfe¬
rischen Kraft der Pflanze entschieden, und es blieb — trotz de Saussures Ge¬
genbeweisen — bis 1820 diese Meinung als feststehend herrschen. John (1819)
und Jablonsky (1832) deckten Schraders Fehler auf und setzten de Saussures Ent¬
deckungen in ihre Rechte ein, doch erwiesen erst 1840 Wiegmann und Pvls-
dorf für immer unantastbar den Satz, daß alle in der Pflanze enthaltenen
Elemente von Außen aufgenommen werden.

Aber Thaer war schon 1828 gestorben. Er hatte die Wissenschaft der
Agronomie geschaffen; ihre theilweise naturwissenschaftliche Begründung mußte
er sich von den Naturforschern erbitten; ließen ihn diese im Stich, so war sein
Irrthum nicht seine Schuld.

Genug, daß er zur Begründung der Landwirthschaftslehre überhaupt den
mächtigsten Anstoß gegeben und unter den Landwirthen ein Streben nach er¬
reichbaren Zielen geweckt hatte. Denn die Humusthcorie hat, obwohl sie ein
Irrthum war, dennoch gewaltigen Fortschritt bedingt. Konnte ihr schon Schwerz
(181S) die Bemerkung entgegenhalten, daß dieselbe von einem jüngeren La-
voisier bestritten werden dürfte, so war doch Niemand da, der sie umgestoßen
hätte und auf den „jüngeren Lavoisier" mußte noch lange gewartet werden.

Draußen auf den Feldern aber eilte man, Thaer zu genügen. Seine
Schüler — Koppe, Burger, Schwerz, — der Eine im Norden, der An¬
dere im Süden, der Dritte im Westen, trügen des Meisters Lehre unter die
Menge. Der Kartoffelanbau gestaltete des heiligen römischen Reichs Streu¬
sandbüchse in fruchtbare Felder um; die Spiritussubritation ward zu Hilfe ge¬
rufen. Sie war bis 1810 lediglich auf die Verarbeitung von Getreide ge¬
gründet gewesen. Das preußische Gesetz vom 27. October 1810, welches neben
der Schrotsteuer auch den Blasenzins, als nebenbei geltend, einführte, erwähnt
zum ersten Male in der Gesetzgebung die Möglichkeit der Verarbeitung von
Kartoffeln und Rüben statt des bloßen Getreides; aber von ihrem Spiritus-


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[0377] rische Kraft besitze und anorganische (unverbrennliche) Stoffe aus Nichts erzeuge. Die Erde besaß eine „Triebkraft"; sie zu wecken, war eben die Kunst des Land- wirths. Auf fruchtbaren Aeckern ward die Vegetation begünstigt durch Vor¬ handensein verwesender organischer Neste, — das sah man; diese Verwesung ward Humus, und es müsse daher ^- so schloß man — des Landwirths Auf¬ gabe sein, Humus auf seinem Acker zu erzeugen, damit er die Triebkraft wecke, damit der Acker fruchtbar werde. Zwar hatte 1804 der genfer Gelehrte de Saussure (lioederelres elri- wicjulzs sur Is. Vegetation) überzeugend nachgewiesen, welche Nahrungsbestanb- theile organischen wie anorganischen Ursprungs die Pflanze bedürfe, daß sie anorganische nöthig habe, daß die Wurzeln für sie Aufnahmsorgane seien, aber vor ihm (1800) hatte der Apotheker Schrader in Berlin die von der berliner Akademie gestellte Preisfrage über diesen Gegenstand zu Gunsten der schöpfe¬ rischen Kraft der Pflanze entschieden, und es blieb — trotz de Saussures Ge¬ genbeweisen — bis 1820 diese Meinung als feststehend herrschen. John (1819) und Jablonsky (1832) deckten Schraders Fehler auf und setzten de Saussures Ent¬ deckungen in ihre Rechte ein, doch erwiesen erst 1840 Wiegmann und Pvls- dorf für immer unantastbar den Satz, daß alle in der Pflanze enthaltenen Elemente von Außen aufgenommen werden. Aber Thaer war schon 1828 gestorben. Er hatte die Wissenschaft der Agronomie geschaffen; ihre theilweise naturwissenschaftliche Begründung mußte er sich von den Naturforschern erbitten; ließen ihn diese im Stich, so war sein Irrthum nicht seine Schuld. Genug, daß er zur Begründung der Landwirthschaftslehre überhaupt den mächtigsten Anstoß gegeben und unter den Landwirthen ein Streben nach er¬ reichbaren Zielen geweckt hatte. Denn die Humusthcorie hat, obwohl sie ein Irrthum war, dennoch gewaltigen Fortschritt bedingt. Konnte ihr schon Schwerz (181S) die Bemerkung entgegenhalten, daß dieselbe von einem jüngeren La- voisier bestritten werden dürfte, so war doch Niemand da, der sie umgestoßen hätte und auf den „jüngeren Lavoisier" mußte noch lange gewartet werden. Draußen auf den Feldern aber eilte man, Thaer zu genügen. Seine Schüler — Koppe, Burger, Schwerz, — der Eine im Norden, der An¬ dere im Süden, der Dritte im Westen, trügen des Meisters Lehre unter die Menge. Der Kartoffelanbau gestaltete des heiligen römischen Reichs Streu¬ sandbüchse in fruchtbare Felder um; die Spiritussubritation ward zu Hilfe ge¬ rufen. Sie war bis 1810 lediglich auf die Verarbeitung von Getreide ge¬ gründet gewesen. Das preußische Gesetz vom 27. October 1810, welches neben der Schrotsteuer auch den Blasenzins, als nebenbei geltend, einführte, erwähnt zum ersten Male in der Gesetzgebung die Möglichkeit der Verarbeitung von Kartoffeln und Rüben statt des bloßen Getreides; aber von ihrem Spiritus- Grenzboten IV. 1863. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/377>, abgerufen am 15.01.2025.