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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Die Eröffnung des wiirtembergischcn Landtags.

Am 24. Nov. trat der Landtag endlich zusammen, der im Januar 1862
unter großer Theilnahme des Volks gewählt, im Mai desselben Jahrs zu einer
kurzen Session einberufen wurde, und dessen Wiedereröffnung seit Anfang dieses
Jahres von Monat zu Monat hinausgeschoben worden ist. Die Fortschritts¬
partei war in dem Wahlfeldzug nicht gerade unglücklich gewesen; sie hatte
mehre Sitze erobert, mehre Capacitäten gewonnen. Dennoch gebietet sie --
alle ihre Fractionen zusammengerechnet -- bei dem Vorsprung, den der Regie¬
rung die privilegirten Sitze gewähren, kaum über die Hälfte der Kammer, so
daß einer Anzahl in der Mute stehender Mitglieder, wesentlich großdeutscher
Färbung, welche noch keine feste Partei gebildet haben, aber leicht alle unent¬
schiedenen Elemente für sich gewinnen werden, ein Hauptgewicht in entscheiden¬
den Fragen zufallen wird^ Uebrigens ist die Parteibildung überhaupt zur Zeit
ziemlich schwankend und dürste je nach dem Gang der Ereignisse sich noch
wesentlich modificiren.

In der äußeren Physiognomie zeigte die Kammer bei ihrem Wiederzusam¬
mentritt darin eine Veränderung, daß der Führer der Altliberalen und der vor¬
märzlichen Opposition den Präsidentenstuhl, der ihm seit 13 Jahren als eine
Art Ehrenstelle eingeräumt worden war, nicht mehr einnahm Der Rück¬
tritt Römers aus dem öffentlichen Leben kommt nicht unerwartet, er war
durch seine Gesundheitsverhältnisse unvermeidlich geworden. Was die liberale
Seite des Hauses an ihm verliert, wird sich je nach der Wahl seines Nach¬
folgers in der Zukunft vielleicht noch mehr als bisher fühlbar machen. Zu¬
nächst wird seine Stelle der Frhr. v. Varnbühler als erster Viceprcisident ein¬
nehmen. In wie weit es der Wunsch der Kammer ist, von einem der Mata¬
dore des großdeutschen Vereins, von einem ritterschaftlichen Abgeordneten, dessen
Politische Vergangenheit nichts weniger als populär ist. präsidire zu werden,
wird sich bei der Neuwahl des Präsidiums entscheiden. Die Parteien werden
sich bei diesem Anlaß zuerst an einander messen.

Als ein Budgetlandtag, der außerdem wichtige Eisenbahnvorlagen und


Grenzboten IV. 1863. 46
Die Eröffnung des wiirtembergischcn Landtags.

Am 24. Nov. trat der Landtag endlich zusammen, der im Januar 1862
unter großer Theilnahme des Volks gewählt, im Mai desselben Jahrs zu einer
kurzen Session einberufen wurde, und dessen Wiedereröffnung seit Anfang dieses
Jahres von Monat zu Monat hinausgeschoben worden ist. Die Fortschritts¬
partei war in dem Wahlfeldzug nicht gerade unglücklich gewesen; sie hatte
mehre Sitze erobert, mehre Capacitäten gewonnen. Dennoch gebietet sie —
alle ihre Fractionen zusammengerechnet — bei dem Vorsprung, den der Regie¬
rung die privilegirten Sitze gewähren, kaum über die Hälfte der Kammer, so
daß einer Anzahl in der Mute stehender Mitglieder, wesentlich großdeutscher
Färbung, welche noch keine feste Partei gebildet haben, aber leicht alle unent¬
schiedenen Elemente für sich gewinnen werden, ein Hauptgewicht in entscheiden¬
den Fragen zufallen wird^ Uebrigens ist die Parteibildung überhaupt zur Zeit
ziemlich schwankend und dürste je nach dem Gang der Ereignisse sich noch
wesentlich modificiren.

In der äußeren Physiognomie zeigte die Kammer bei ihrem Wiederzusam¬
mentritt darin eine Veränderung, daß der Führer der Altliberalen und der vor¬
märzlichen Opposition den Präsidentenstuhl, der ihm seit 13 Jahren als eine
Art Ehrenstelle eingeräumt worden war, nicht mehr einnahm Der Rück¬
tritt Römers aus dem öffentlichen Leben kommt nicht unerwartet, er war
durch seine Gesundheitsverhältnisse unvermeidlich geworden. Was die liberale
Seite des Hauses an ihm verliert, wird sich je nach der Wahl seines Nach¬
folgers in der Zukunft vielleicht noch mehr als bisher fühlbar machen. Zu¬
nächst wird seine Stelle der Frhr. v. Varnbühler als erster Viceprcisident ein¬
nehmen. In wie weit es der Wunsch der Kammer ist, von einem der Mata¬
dore des großdeutschen Vereins, von einem ritterschaftlichen Abgeordneten, dessen
Politische Vergangenheit nichts weniger als populär ist. präsidire zu werden,
wird sich bei der Neuwahl des Präsidiums entscheiden. Die Parteien werden
sich bei diesem Anlaß zuerst an einander messen.

Als ein Budgetlandtag, der außerdem wichtige Eisenbahnvorlagen und


Grenzboten IV. 1863. 46
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[0369] Die Eröffnung des wiirtembergischcn Landtags. Am 24. Nov. trat der Landtag endlich zusammen, der im Januar 1862 unter großer Theilnahme des Volks gewählt, im Mai desselben Jahrs zu einer kurzen Session einberufen wurde, und dessen Wiedereröffnung seit Anfang dieses Jahres von Monat zu Monat hinausgeschoben worden ist. Die Fortschritts¬ partei war in dem Wahlfeldzug nicht gerade unglücklich gewesen; sie hatte mehre Sitze erobert, mehre Capacitäten gewonnen. Dennoch gebietet sie — alle ihre Fractionen zusammengerechnet — bei dem Vorsprung, den der Regie¬ rung die privilegirten Sitze gewähren, kaum über die Hälfte der Kammer, so daß einer Anzahl in der Mute stehender Mitglieder, wesentlich großdeutscher Färbung, welche noch keine feste Partei gebildet haben, aber leicht alle unent¬ schiedenen Elemente für sich gewinnen werden, ein Hauptgewicht in entscheiden¬ den Fragen zufallen wird^ Uebrigens ist die Parteibildung überhaupt zur Zeit ziemlich schwankend und dürste je nach dem Gang der Ereignisse sich noch wesentlich modificiren. In der äußeren Physiognomie zeigte die Kammer bei ihrem Wiederzusam¬ mentritt darin eine Veränderung, daß der Führer der Altliberalen und der vor¬ märzlichen Opposition den Präsidentenstuhl, der ihm seit 13 Jahren als eine Art Ehrenstelle eingeräumt worden war, nicht mehr einnahm Der Rück¬ tritt Römers aus dem öffentlichen Leben kommt nicht unerwartet, er war durch seine Gesundheitsverhältnisse unvermeidlich geworden. Was die liberale Seite des Hauses an ihm verliert, wird sich je nach der Wahl seines Nach¬ folgers in der Zukunft vielleicht noch mehr als bisher fühlbar machen. Zu¬ nächst wird seine Stelle der Frhr. v. Varnbühler als erster Viceprcisident ein¬ nehmen. In wie weit es der Wunsch der Kammer ist, von einem der Mata¬ dore des großdeutschen Vereins, von einem ritterschaftlichen Abgeordneten, dessen Politische Vergangenheit nichts weniger als populär ist. präsidire zu werden, wird sich bei der Neuwahl des Präsidiums entscheiden. Die Parteien werden sich bei diesem Anlaß zuerst an einander messen. Als ein Budgetlandtag, der außerdem wichtige Eisenbahnvorlagen und Grenzboten IV. 1863. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/369>, abgerufen am 15.01.2025.