Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.Wir Deutschen stehen aber den Reformplänen heute anders gegenüber al" vor Verantwortlicher Redacteur: 1>. Moritz Busch. Verlag von F. L. He, dig, -- Druck von C. E. Elbert in Leipzig. Wir Deutschen stehen aber den Reformplänen heute anders gegenüber al« vor Verantwortlicher Redacteur: 1>. Moritz Busch. Verlag von F. L. He, dig, — Druck von C. E. Elbert in Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0368" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116296"/> <p xml:id="ID_1241"> Wir Deutschen stehen aber den Reformplänen heute anders gegenüber al« vor<lb/> fünfzig Jahren, wo nur ein sehr kleiner Theil des Volks die Wichtigkeit einer engern<lb/> und festeren politischen Organisation begriff. Das Blut der Freiheitskriege ist auch<lb/> in dieser Hinsicht nicht vergebens geflossen. Es ist eine nationale Entwickelung ein¬<lb/> getreten, die, aus dem Samen des Geistes Steins und seiner Genossen emporge¬<lb/> wachsen, uns das Recht, die Pflicht und die Macht gibt, über alle Pläne, die sich<lb/> mit unsrer Zukunft beschäftigen, das letzte Wort zusprechen. Seitdem der Bauern-<lb/> sohn Scharnhorst die Preußen zum Kampf für das deutsche Vaterland organisirte,<lb/> seitdem Edelleute, Bürger und Bauern als Gemeine nebcncinanderfochten, ist die<lb/> kastenartige Avschlicßung, die Jahrhunderte lang das Volk trennte, vielfach besserer<lb/> Einsicht gewichen. Selbst die unterste Classe der Nation erstrebt und besitzt bis zu<lb/> einem Grade, der vor fünfzig Jahre» bei ihr unerhört war, Kenntniß und Urtheil<lb/> selbst in politischen Dingen, Die Segnungen des Zollvereins sind so handgreiflicher<lb/> Art und haben den Unsegen des Particularismus in so weiten Kreisen erkennen<lb/> lassen, daß an eine dauernde Zerreißung dieses Bundes nicht zu glauben ist. Vor fünfzig<lb/> Jahren gab es keine öffentliche Meinung in Deutschland, Jede Schande mußte er¬<lb/> tragen werden, wenn die Fürsten und ihre Rathgeber sie erträglich fanden. Heute<lb/> bildet sich durch die Presse, durch Versammlungen und Feste, dnrch die Eisenbahnen<lb/> sehr bald über jede allgemeine Angelegenheit eine Meinung für ganz Deutschland<lb/> oder doch für weite Strecken heraus, die das Unrecht zu brechen und zu unter¬<lb/> höhlen, das Recht zu wahren und auszubauen sucht. Derselbe Geist, vor dem<lb/> einst Oestreich und die Nheinbundsfürsten zitterten, erfüllt heute alle Glieder des<lb/> deutschen Volkes, soweit sie überhaupt Interesse an vaterländischen Angelegenheiten<lb/> nehmen, vor Allem das deutsche Bürgerthum, den heutigen Träger unserer Ge¬<lb/> schichte. Gewiß, die Ansichten über die innere Gestaltung Deutschlands gehen noch<lb/> weit auseinander. Aber die Wiederkehr der Fremdherrschaft auf fo lange und in dem<lb/> Grade, wie wir sie in den Jahren 1806 bis 18l3 ertragen mußten, ist nicht denk¬<lb/> bar. Als vor einigen Jahren ein deutscher Minister die Dreistigkeit hatte, anzudeu¬<lb/> ten, die Fürsten würden im Nothfall sich bestreben, ihre Sondersouveränetät durch<lb/> Allianz mit auswärtigen Mächten aufrecht zu erhalten, da erschallte über diese Er¬<lb/> innerung an die Zeiten des Rheinbundes durch ganz Deutschland ein Schrei des<lb/> Abscheus, und ohne Prophet zu sein, ohne der öffentlichen Meinung zu viel Gewicht<lb/> beizulegen, darf man sagen: wir wissen, was zuletzt denen geschehen würde, die<lb/> solche Andeutungen zur That werden ließen. Der Geist, in dem sich die Preußen<lb/> vor fünfzig Jahren hcldenkräftig erhoben und ihren König zum gewagten Wasser-<lb/> gange mit dem großen Kriegsfürsten zwangen, würde, über alle sonstige Meinungs-<lb/> diffcrenzcn hinwegschreitcnd, vom schwäbischen Meer bis zu den Gestaden der Ost-<lb/> und Nordsee cmporflammcn, um den Verrath mit den Vcrrüthern zu vernichten.<lb/> (Wir wissen auch, was über kurz oder lang denen geschehen würde, die setzt nicht<lb/> wagen wollten, den Degen für die in Schleswig-Holstein verpfändete deutsche Ehre<lb/> zu zeichen. D. Red.)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Verantwortlicher Redacteur: 1>. Moritz Busch.<lb/> Verlag von F. L. He, dig, — Druck von C. E. Elbert in Leipzig.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0368]
Wir Deutschen stehen aber den Reformplänen heute anders gegenüber al« vor
fünfzig Jahren, wo nur ein sehr kleiner Theil des Volks die Wichtigkeit einer engern
und festeren politischen Organisation begriff. Das Blut der Freiheitskriege ist auch
in dieser Hinsicht nicht vergebens geflossen. Es ist eine nationale Entwickelung ein¬
getreten, die, aus dem Samen des Geistes Steins und seiner Genossen emporge¬
wachsen, uns das Recht, die Pflicht und die Macht gibt, über alle Pläne, die sich
mit unsrer Zukunft beschäftigen, das letzte Wort zusprechen. Seitdem der Bauern-
sohn Scharnhorst die Preußen zum Kampf für das deutsche Vaterland organisirte,
seitdem Edelleute, Bürger und Bauern als Gemeine nebcncinanderfochten, ist die
kastenartige Avschlicßung, die Jahrhunderte lang das Volk trennte, vielfach besserer
Einsicht gewichen. Selbst die unterste Classe der Nation erstrebt und besitzt bis zu
einem Grade, der vor fünfzig Jahre» bei ihr unerhört war, Kenntniß und Urtheil
selbst in politischen Dingen, Die Segnungen des Zollvereins sind so handgreiflicher
Art und haben den Unsegen des Particularismus in so weiten Kreisen erkennen
lassen, daß an eine dauernde Zerreißung dieses Bundes nicht zu glauben ist. Vor fünfzig
Jahren gab es keine öffentliche Meinung in Deutschland, Jede Schande mußte er¬
tragen werden, wenn die Fürsten und ihre Rathgeber sie erträglich fanden. Heute
bildet sich durch die Presse, durch Versammlungen und Feste, dnrch die Eisenbahnen
sehr bald über jede allgemeine Angelegenheit eine Meinung für ganz Deutschland
oder doch für weite Strecken heraus, die das Unrecht zu brechen und zu unter¬
höhlen, das Recht zu wahren und auszubauen sucht. Derselbe Geist, vor dem
einst Oestreich und die Nheinbundsfürsten zitterten, erfüllt heute alle Glieder des
deutschen Volkes, soweit sie überhaupt Interesse an vaterländischen Angelegenheiten
nehmen, vor Allem das deutsche Bürgerthum, den heutigen Träger unserer Ge¬
schichte. Gewiß, die Ansichten über die innere Gestaltung Deutschlands gehen noch
weit auseinander. Aber die Wiederkehr der Fremdherrschaft auf fo lange und in dem
Grade, wie wir sie in den Jahren 1806 bis 18l3 ertragen mußten, ist nicht denk¬
bar. Als vor einigen Jahren ein deutscher Minister die Dreistigkeit hatte, anzudeu¬
ten, die Fürsten würden im Nothfall sich bestreben, ihre Sondersouveränetät durch
Allianz mit auswärtigen Mächten aufrecht zu erhalten, da erschallte über diese Er¬
innerung an die Zeiten des Rheinbundes durch ganz Deutschland ein Schrei des
Abscheus, und ohne Prophet zu sein, ohne der öffentlichen Meinung zu viel Gewicht
beizulegen, darf man sagen: wir wissen, was zuletzt denen geschehen würde, die
solche Andeutungen zur That werden ließen. Der Geist, in dem sich die Preußen
vor fünfzig Jahren hcldenkräftig erhoben und ihren König zum gewagten Wasser-
gange mit dem großen Kriegsfürsten zwangen, würde, über alle sonstige Meinungs-
diffcrenzcn hinwegschreitcnd, vom schwäbischen Meer bis zu den Gestaden der Ost-
und Nordsee cmporflammcn, um den Verrath mit den Vcrrüthern zu vernichten.
(Wir wissen auch, was über kurz oder lang denen geschehen würde, die setzt nicht
wagen wollten, den Degen für die in Schleswig-Holstein verpfändete deutsche Ehre
zu zeichen. D. Red.)
Verantwortlicher Redacteur: 1>. Moritz Busch.
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