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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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friedlichem Wege eine Ausgabe zu lösen, die nach der bisherigen Praxis stets
nur nach vorhergegangenen Kämpfen für eine Lösung reif geworden ist. Ob
diese Aufgabe, Wie einmal die Natur der Menschen und der menschlichen Dinge
ist, möglich ist, ob der Kaiser Napoleon selbst an die Möglichkeit derselben
glaubt, das mag hier unerörtert bleiben. Das Eine aber müssen wir sehr be¬
stimmt hervorheben, daß, wenn die Aufgabe mißlingt, das Werk des Friedens
unbedingt in ein Werk des Krieges umschlägt, und daß, kommt eine Einigung
nicht zu Stande, der Erfolg des Congresses nur der sein wird, die Gruppi-
rung der Mächte für den bevorstehenden Weltkrieg vorzubereiten. Daß es
aber, falls der Congreß zu Stande kommt, einer einzelnen Macht, welche ein
Interesse daran hat. daß die Thätigkeit desselben sich nur auf die gemeinsame
Sanctionirung der bereits vollzogenen Thatsachen beschränke, gelingen würde,
die schwebende Frage von der Berathung auszuschließen, ist durchaus nicht.an¬
zunehmen. Eine durch ein im Voraus aufgestelltes Programm bedingte Zu¬
sage, den Congreß zu beschicken, würde von Napoleon je nach der Lage der
Dinge, die in kurzer Zeit bedeutende Veränderungen erleiden kann, entweder
als eine Ablehnung angesehen werden, oder er würde das Programm ignoriren,
die Zusage acceptiren und im Uebrigen sich vorbehalten, auf dem Congresse so
aufzutreten) wie es ihm die Umstände gestatten.

Bedeutungsvoller als die Manifestationen eines einzelnen Cabinetes wäre
allerdings ein Gcsammtprogramm mehrer Mächte, wie denn die wiener
Presse bereits vor mehren Tagen von einer Vereinbarung zwischen Preußen,
Oestreich und England sprach. Ein derartig bestimmt formulirtes und für alle
Fälle scharf präcisirtes Programm wäre die Grundlage einer Koalition gegen
Frankreich und dessen Verbündete. Daß wir ein Zusammengehen Preußens.
Oestreichs und Englands in einer allgemeinen europäischen Krisis mit Freuden
begrüßen würden, brauchen wir nach unsern früher dargelegten Ansichten nicht
erst zu versichern; wohl aber bezweifeln wir, daß in diesem Augenblick diese
drei Mächte im Stande sind, sich über eine gemeinsame Action zu vereinigen.
Ueber ein abwehrendes negatives Verhalten, über eine gemeinsame Auffassung
bereits abgethaner Fragen mag man sich immerhin verständigen. Was ist aber
damit gewonnen? Weiter nichts, als daß man einer Coalition, die möglicher¬
weise ihre Festigkeit in einem Weltkriege zu erproben haben dürfte, gleich bei
ihrem Entstehen die Keime des Mißtrauens und der Zwietracht einpflanzt:
eines Mißtrauens, das ähnlich wie 1792 das Verhältniß zwischen den Ver¬
bündeten von vornherein vergiftet, einer Zwietracht, die in dem Augenblicke
ausbrechen wird, sobald der Gegner die Verbündeten nöthigt, zu einer der noch
schwebenden Fragen eine bestimmte Stellung einzunehmen; und daß er dazu
nicht etwa eine Frage wählen wird, in der die Glieder der Coalition einig
sind, ist seiner Klugheit wohl zuzutraun.


friedlichem Wege eine Ausgabe zu lösen, die nach der bisherigen Praxis stets
nur nach vorhergegangenen Kämpfen für eine Lösung reif geworden ist. Ob
diese Aufgabe, Wie einmal die Natur der Menschen und der menschlichen Dinge
ist, möglich ist, ob der Kaiser Napoleon selbst an die Möglichkeit derselben
glaubt, das mag hier unerörtert bleiben. Das Eine aber müssen wir sehr be¬
stimmt hervorheben, daß, wenn die Aufgabe mißlingt, das Werk des Friedens
unbedingt in ein Werk des Krieges umschlägt, und daß, kommt eine Einigung
nicht zu Stande, der Erfolg des Congresses nur der sein wird, die Gruppi-
rung der Mächte für den bevorstehenden Weltkrieg vorzubereiten. Daß es
aber, falls der Congreß zu Stande kommt, einer einzelnen Macht, welche ein
Interesse daran hat. daß die Thätigkeit desselben sich nur auf die gemeinsame
Sanctionirung der bereits vollzogenen Thatsachen beschränke, gelingen würde,
die schwebende Frage von der Berathung auszuschließen, ist durchaus nicht.an¬
zunehmen. Eine durch ein im Voraus aufgestelltes Programm bedingte Zu¬
sage, den Congreß zu beschicken, würde von Napoleon je nach der Lage der
Dinge, die in kurzer Zeit bedeutende Veränderungen erleiden kann, entweder
als eine Ablehnung angesehen werden, oder er würde das Programm ignoriren,
die Zusage acceptiren und im Uebrigen sich vorbehalten, auf dem Congresse so
aufzutreten) wie es ihm die Umstände gestatten.

Bedeutungsvoller als die Manifestationen eines einzelnen Cabinetes wäre
allerdings ein Gcsammtprogramm mehrer Mächte, wie denn die wiener
Presse bereits vor mehren Tagen von einer Vereinbarung zwischen Preußen,
Oestreich und England sprach. Ein derartig bestimmt formulirtes und für alle
Fälle scharf präcisirtes Programm wäre die Grundlage einer Koalition gegen
Frankreich und dessen Verbündete. Daß wir ein Zusammengehen Preußens.
Oestreichs und Englands in einer allgemeinen europäischen Krisis mit Freuden
begrüßen würden, brauchen wir nach unsern früher dargelegten Ansichten nicht
erst zu versichern; wohl aber bezweifeln wir, daß in diesem Augenblick diese
drei Mächte im Stande sind, sich über eine gemeinsame Action zu vereinigen.
Ueber ein abwehrendes negatives Verhalten, über eine gemeinsame Auffassung
bereits abgethaner Fragen mag man sich immerhin verständigen. Was ist aber
damit gewonnen? Weiter nichts, als daß man einer Coalition, die möglicher¬
weise ihre Festigkeit in einem Weltkriege zu erproben haben dürfte, gleich bei
ihrem Entstehen die Keime des Mißtrauens und der Zwietracht einpflanzt:
eines Mißtrauens, das ähnlich wie 1792 das Verhältniß zwischen den Ver¬
bündeten von vornherein vergiftet, einer Zwietracht, die in dem Augenblicke
ausbrechen wird, sobald der Gegner die Verbündeten nöthigt, zu einer der noch
schwebenden Fragen eine bestimmte Stellung einzunehmen; und daß er dazu
nicht etwa eine Frage wählen wird, in der die Glieder der Coalition einig
sind, ist seiner Klugheit wohl zuzutraun.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/362>, abgerufen am 15.01.2025.