Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.Vergleichen wir den vom Kaiser Napoleon beabsichtigten Congreß mit den Gegenwärtig ist die Lage der Dinge eine ganz andere. Zwar in ihrer Daß es nicht in der Absicht des Kaisers Napoleon liegt, einen Congreß Grenzboten IV. 1863. 45
Vergleichen wir den vom Kaiser Napoleon beabsichtigten Congreß mit den Gegenwärtig ist die Lage der Dinge eine ganz andere. Zwar in ihrer Daß es nicht in der Absicht des Kaisers Napoleon liegt, einen Congreß Grenzboten IV. 1863. 45
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Vergleichen wir den vom Kaiser Napoleon beabsichtigten Congreß mit den
zur Begleichung herangezogenen von 1648 und 1814, so springt ein wesent¬
licher Unterschied sofort in die Augen. Der Congreß von Osnabrück und
Münster, wie der von Wien bildeten jeder den Abschluß einer langjährigen
Kriegspcriode, in der die Kräfte fast aller europäischen Staaten sich miteinander
gemessen und in dem Maße erschöpft hatten, daß der Frieden für alle ein Be¬
dürfniß war. Sie zogen in gemeinsamen Verhandlungen aller betheiligten
Staaten aus den vorhergegangenen kriegerischen Anstrengungen und dem durch
diese bedingten und manifcstirien Machtverhältnisse der einzelnen Staaten zu
einander das Facit, welches bei der Allgemeinheit der vorhergegangenen Kämpfe
nicht durch besondere Verträge gezogen werden konnte. Der neu hergestellte
völkerrechtliche Zustand entsprach im Allgemeine», wenn auch nicht durchweg,
dem Maß von Erfolgen, welche die einzelnen Staaten in dem vorhergegangenen
Kampfe davongetragen hatten; die gemeinsamen Bestrebungen der verhandeln¬
den Mächte sollten zugleich, und dies war ein Vortheil für die besiegten und
schwächeren Staaten, einen Zustand des Gleichgewichts herstellen, der eine ge¬
waltsame Erschütterung des neu begründeten internationalen Rechtszustandes
für die Zukunft möglichst erschweren sollte.
Gegenwärtig ist die Lage der Dinge eine ganz andere. Zwar in ihrer
Integrität bestehen die wiener Verträge nicht. Durch einzelne Kriege und revo¬
lutionäre Erschütterungen ist der durch sie gegründete völkerrechtliche Zustand
bedeutend verändert worden. Alle diese Veränderungen sind aber bei weitem
zum größten Theil von allen Mächten anerkannt worden; und selbst das jüngste
Glied des Staatensystems, das Königreich Italien, ist wenigstens von der Mehr¬
zahl der Mächte in die europäische Familie feierlich recipirt' worden. Daneben
schwebt aber eine Anzahl noch ungelöster Fragen; ander Fragen, und vielleicht
die umfassendsten von allen, schlummern im Hintergrunde. Was soll bei dieser
Lage der Dinge ein allgemeiner Congreß? Soll er die bereits vollendeten,
größtentheils allgemein anerkannten Veränderungen durch einen gemeinschaft¬
lichen feierlichen Act in das europäische Völkerrecht aufnehmen, gewissermaße
eine Ergänzungsacte zu den wiener Verträgen redigiren, oder soll er auch die
noch schwebenden Fragen vor sein Forum ziehen und wohl gar andere augen¬
blicklich ruhende Fragen in Bewegung bringen?
Daß es nicht in der Absicht des Kaisers Napoleon liegt, einen Congreß
nach Paris zusammenzuberufen, um eine Reihe von t'g,it8 aceomxlis in die
Protokolle des europäischen Völkerrechts einregistriren zu lassen, braucht njcht
erst bewiesen zu werden. Auch daß seine Absicht sich etwa darauf beschränken sollte,
Oestreich mit Italien zu versöhnen, wird Niemand glauben. Seine Absicht
kann nur dahin gehen, alle schwebenden Fragen in der weitesten Bedeutung
des Wortes zur Verhandlung zu bringen. Dies wäre nichts Anderes, als auf
Grenzboten IV. 1863. 45
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