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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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und Gerichte mußten sich gegen diejenigen in Bewegung setzen, welche das
Verbot nicht beachte und auf die Warnung nicht gemerkt hatten.

Die Mitglieder des Nationalvereins in Rostock haben sich sofort, nachdem
die dortige Polizeibehörde ihre Nachforschungen begonnen hatte, in einer ge¬
meinschaftlichen Eingabe freiwillig bei derselben als solche genannt und sind in
Folge dessen der Reihe nach zum Verhör gezogen. Welches der Ausgang der
Untersuchung sein wird, darüber soll hier noch keine Vermuthung ausgesprochen
werden. Aber so viel ist gewiß, daß, mag nun eine Verurteilung erfolgen
oder nicht, das Ergebniß in jedem der beiden Fälle der nationalen Sache gün¬
stiger sein wird, als derjenigen Partei, welcher der Minister v. Oertzen angehört.

Es ist ein bedenkliches Unternehmen, patriotische Männer lediglich deshalb
zum Gegenstand polizeilicher und gerichtlicher Verfolgung zu designiren, weil
sie einem Verein angehören, der sonst überall in ganz Deutschland unter dem
Schutze der Gesetze steht und auf gesetzlichem Wege das deutsche Volk einem
Ziele zuzuführen strebt, welches vor fünfzig Jabren von den Fürsten selbst ver¬
kündigt und verheißen und mit dem Blute vieler Tausende tapferer Freiheits¬
kämpfer theuer erkauft ist, in den Jahren 1848 und 1849 von allen deutschen
Regierungen, auch von der mecklenburgischen, wiederholt durch Wort und That
feierlich als auch ihr Ziel anerkannt und dessen Erreichung noch in allerneuster
Zeit, durch den Zusammentritt des Fürstencongresses, wiederum als eine heilige
nationale Aufgabe bezeugt worden ist. Die deutsche Bundesverfassung ist morsch
und droht bei dem ersten Sturm den Zusammensturz, das ist eine Wahrheit,
welche die an Preußen übergebene östreichische Denkschrift mit ausdrücklichen
Worten hervorhebt, und welche durch die Verhandlungen des Fürstencongresses
und deren Ergebniß nur noch einleuchtender geworden ist. Die äußere und
innere Sicherheit Deutschlands ist doch wahrlich nicht eine Angelegenheit, welche
nur die deutschen Fürsten, nicht auch das deutsche Volk angeht. Soll denn
das Volk sogar in der Zeit der höchsten Gefahr schweigend und unthätig zu¬
schauen, bis es den Diplomaten gelingt, seinen höchsten Interessen Befriedigung
zu verschaffen? Oder soll es bestimmt sein, jedes Ergebniß der Verhandlungen
der deutschen Regierungen über eine Bundesreform im Voraus gutzuheißen,
auch wenn dadurch keine seiner berechtigten Forderungen und Erwartungen er¬
füllt wird? Sollen vorher wieder Jahre der tiefsten Erniedrigung und Schmach
über die Nation kommen, damit sie erst durch ein neues Jahr 1813 hindurch¬
gehe, um den ihr vorenthaltenen Siegespreis, ein freies deutsches Reich, zu er¬
ringen? Es war ein eigenthümliches Spiel des Zufalls, daß gerade der erste
Rostocker, welcher als Mitglied des Nationalvereins zum Verhör gezogen ward,
ein 7Sjähriger, mit Zeichen der Tapferkeit geschmückter Veteran aus dem Jahre
1813 war. Friedrich Franz der Erste hatte ihn zur Mitwirkung für die Be¬
freiung Deutschlands aufgerufen, und der Minister Friedrich Franz des Zweiten


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und Gerichte mußten sich gegen diejenigen in Bewegung setzen, welche das
Verbot nicht beachte und auf die Warnung nicht gemerkt hatten.

Die Mitglieder des Nationalvereins in Rostock haben sich sofort, nachdem
die dortige Polizeibehörde ihre Nachforschungen begonnen hatte, in einer ge¬
meinschaftlichen Eingabe freiwillig bei derselben als solche genannt und sind in
Folge dessen der Reihe nach zum Verhör gezogen. Welches der Ausgang der
Untersuchung sein wird, darüber soll hier noch keine Vermuthung ausgesprochen
werden. Aber so viel ist gewiß, daß, mag nun eine Verurteilung erfolgen
oder nicht, das Ergebniß in jedem der beiden Fälle der nationalen Sache gün¬
stiger sein wird, als derjenigen Partei, welcher der Minister v. Oertzen angehört.

Es ist ein bedenkliches Unternehmen, patriotische Männer lediglich deshalb
zum Gegenstand polizeilicher und gerichtlicher Verfolgung zu designiren, weil
sie einem Verein angehören, der sonst überall in ganz Deutschland unter dem
Schutze der Gesetze steht und auf gesetzlichem Wege das deutsche Volk einem
Ziele zuzuführen strebt, welches vor fünfzig Jabren von den Fürsten selbst ver¬
kündigt und verheißen und mit dem Blute vieler Tausende tapferer Freiheits¬
kämpfer theuer erkauft ist, in den Jahren 1848 und 1849 von allen deutschen
Regierungen, auch von der mecklenburgischen, wiederholt durch Wort und That
feierlich als auch ihr Ziel anerkannt und dessen Erreichung noch in allerneuster
Zeit, durch den Zusammentritt des Fürstencongresses, wiederum als eine heilige
nationale Aufgabe bezeugt worden ist. Die deutsche Bundesverfassung ist morsch
und droht bei dem ersten Sturm den Zusammensturz, das ist eine Wahrheit,
welche die an Preußen übergebene östreichische Denkschrift mit ausdrücklichen
Worten hervorhebt, und welche durch die Verhandlungen des Fürstencongresses
und deren Ergebniß nur noch einleuchtender geworden ist. Die äußere und
innere Sicherheit Deutschlands ist doch wahrlich nicht eine Angelegenheit, welche
nur die deutschen Fürsten, nicht auch das deutsche Volk angeht. Soll denn
das Volk sogar in der Zeit der höchsten Gefahr schweigend und unthätig zu¬
schauen, bis es den Diplomaten gelingt, seinen höchsten Interessen Befriedigung
zu verschaffen? Oder soll es bestimmt sein, jedes Ergebniß der Verhandlungen
der deutschen Regierungen über eine Bundesreform im Voraus gutzuheißen,
auch wenn dadurch keine seiner berechtigten Forderungen und Erwartungen er¬
füllt wird? Sollen vorher wieder Jahre der tiefsten Erniedrigung und Schmach
über die Nation kommen, damit sie erst durch ein neues Jahr 1813 hindurch¬
gehe, um den ihr vorenthaltenen Siegespreis, ein freies deutsches Reich, zu er¬
ringen? Es war ein eigenthümliches Spiel des Zufalls, daß gerade der erste
Rostocker, welcher als Mitglied des Nationalvereins zum Verhör gezogen ward,
ein 7Sjähriger, mit Zeichen der Tapferkeit geschmückter Veteran aus dem Jahre
1813 war. Friedrich Franz der Erste hatte ihn zur Mitwirkung für die Be¬
freiung Deutschlands aufgerufen, und der Minister Friedrich Franz des Zweiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/347>, abgerufen am 15.01.2025.