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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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und freien Städte Deutschlands zu Frankfurt hat nur noch den Werth eines
Zeugnisses der auch bei den' Inhabern der Regierungsgewalt wiederum lebhaft
hervorgetretenen Ueberzeugung von der Unzulänglichkeit der bestehenden Bundes¬
verfassung und der dringenden Nothwendigkeit ihrer Neugestaltung." -- "Eine
erfolgreiche Wirksamkeit für die Aufrichtung der deutschen Reichsverfassung wird
wesentlich bedingt durch Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes in
Preußen."

Obgleich durch diesen Beschluß nur ein Project abgelehnt ward, welchem
Herr v. Oertzen selbst, der als Minister des Auswärtigen der Beistand des
Großherzogs auf dem Fürstencongreß war, seine Zustimmung versagt hatte,
und obgleich der rostocker Beschluß sich für eine Verfassung Deutschlands ent¬
schied, welche vierzehn Jahre früher die großherzogliche Negierung selbst, im
Verein mit 28 andern deutschen Regierungen, durch die bekannte Collectivnote
als ein neues Grundgesetz Deutschlands anerkannt hatte und auszuführen be¬
reit war-, so scheint doch gerade in der Stellung, welche Herr v. Oertzen als
Minister des Auswärtigen zu der deutschen Frage einnimmt, die räthselhafte
Thatsache, daß er als Minister des Innern erst diesen Zeitpunkt und nicht
schon einen früheren wählte, um aus seinem passiven Verhalten gegen den
Nationalverein herauszutreten, ihre Erklärung zu finden.

Der Minister ist ein Freund der deutschen Bundesverfassung und möchte
ungern etwas Wesentliches an derselben geändert wissen. Zwar liegt ein diplo¬
matisches Actenstück vor, eine Note des Ministers an den mecklenburgischen Ge¬
schäftsträger in Wien vom 8. Februar 1862, in welcher er zugesteht, daß "viele
Mängel der bestehenden Bundesverfassung als solche haben anerkannt werden
müssen und die aus Abstellung derselben gerichteten Wünsche auch unter .den
deutschen Regierungen allgemein verbreitet sind". Er erklärt aber gleichzeitig
die bis dahin gemachten Aenderungsvorschläge für unpraktisch und erwartet,
ohne selbst mit positiven Ansichten über den Charakter der Reform hervorzu¬
gehen, praktische Vorschläge erst nach vorgängiger Verständigung zwischen Oester¬
reich und Preußen. Ein Jahr später fand er jedoch Gelegenheit, die Umrisse
seiner Bundesreform-Theorie auch nach der positiven Seite hin zu offenbaren.
In einem Antwortschreiben an das badische Ministerium des Auswärtigen vom
12. Januar 1863, betreffend das von Baden modificirte Project einer Dele-
girtenversammlung am Bunde, verwarf Herr v. Oertzen zunächst sehr entschie¬
den "die Übertragung der parlamentarischen Regierungsform auf den deutschen
Bund", da diese nicht blos zu einer einheitlichen Regierungsgewalt, sondern
auch zu einer absoluten Majoritätenherrschaft über die Interessen und Bedürf¬
nisse aller Bestandtheile der deutschen Nation führen und den Staatenbund in
einen Bundesstaat verwandeln müsse, und zeichnete dann das ihm vorschwebende
Ideal einer Bundesreform in folgenden Grundzügen: Die Mitglieder des


Grenzboten IV. 1863. 43

und freien Städte Deutschlands zu Frankfurt hat nur noch den Werth eines
Zeugnisses der auch bei den' Inhabern der Regierungsgewalt wiederum lebhaft
hervorgetretenen Ueberzeugung von der Unzulänglichkeit der bestehenden Bundes¬
verfassung und der dringenden Nothwendigkeit ihrer Neugestaltung." — „Eine
erfolgreiche Wirksamkeit für die Aufrichtung der deutschen Reichsverfassung wird
wesentlich bedingt durch Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes in
Preußen."

Obgleich durch diesen Beschluß nur ein Project abgelehnt ward, welchem
Herr v. Oertzen selbst, der als Minister des Auswärtigen der Beistand des
Großherzogs auf dem Fürstencongreß war, seine Zustimmung versagt hatte,
und obgleich der rostocker Beschluß sich für eine Verfassung Deutschlands ent¬
schied, welche vierzehn Jahre früher die großherzogliche Negierung selbst, im
Verein mit 28 andern deutschen Regierungen, durch die bekannte Collectivnote
als ein neues Grundgesetz Deutschlands anerkannt hatte und auszuführen be¬
reit war-, so scheint doch gerade in der Stellung, welche Herr v. Oertzen als
Minister des Auswärtigen zu der deutschen Frage einnimmt, die räthselhafte
Thatsache, daß er als Minister des Innern erst diesen Zeitpunkt und nicht
schon einen früheren wählte, um aus seinem passiven Verhalten gegen den
Nationalverein herauszutreten, ihre Erklärung zu finden.

Der Minister ist ein Freund der deutschen Bundesverfassung und möchte
ungern etwas Wesentliches an derselben geändert wissen. Zwar liegt ein diplo¬
matisches Actenstück vor, eine Note des Ministers an den mecklenburgischen Ge¬
schäftsträger in Wien vom 8. Februar 1862, in welcher er zugesteht, daß „viele
Mängel der bestehenden Bundesverfassung als solche haben anerkannt werden
müssen und die aus Abstellung derselben gerichteten Wünsche auch unter .den
deutschen Regierungen allgemein verbreitet sind". Er erklärt aber gleichzeitig
die bis dahin gemachten Aenderungsvorschläge für unpraktisch und erwartet,
ohne selbst mit positiven Ansichten über den Charakter der Reform hervorzu¬
gehen, praktische Vorschläge erst nach vorgängiger Verständigung zwischen Oester¬
reich und Preußen. Ein Jahr später fand er jedoch Gelegenheit, die Umrisse
seiner Bundesreform-Theorie auch nach der positiven Seite hin zu offenbaren.
In einem Antwortschreiben an das badische Ministerium des Auswärtigen vom
12. Januar 1863, betreffend das von Baden modificirte Project einer Dele-
girtenversammlung am Bunde, verwarf Herr v. Oertzen zunächst sehr entschie¬
den „die Übertragung der parlamentarischen Regierungsform auf den deutschen
Bund", da diese nicht blos zu einer einheitlichen Regierungsgewalt, sondern
auch zu einer absoluten Majoritätenherrschaft über die Interessen und Bedürf¬
nisse aller Bestandtheile der deutschen Nation führen und den Staatenbund in
einen Bundesstaat verwandeln müsse, und zeichnete dann das ihm vorschwebende
Ideal einer Bundesreform in folgenden Grundzügen: Die Mitglieder des


Grenzboten IV. 1863. 43
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/345>, abgerufen am 15.01.2025.