Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.Thiere zu gestalten, das weder Rüssel noch Schwanz noch kurze Ohren hätte Nun waren die Geister wach gerufen. Wie die Schafzucht, so mußte auch Fruchtbarkeit erschien eine glückliche Eigenschaft des Bodens; wie durch ein Glücklich waren die Bewohner der Auen, der fruchtbaren Ebenen zu prei¬ Thiere zu gestalten, das weder Rüssel noch Schwanz noch kurze Ohren hätte Nun waren die Geister wach gerufen. Wie die Schafzucht, so mußte auch Fruchtbarkeit erschien eine glückliche Eigenschaft des Bodens; wie durch ein Glücklich waren die Bewohner der Auen, der fruchtbaren Ebenen zu prei¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0335" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116263"/> <p xml:id="ID_1139" prev="#ID_1138"> Thiere zu gestalten, das weder Rüssel noch Schwanz noch kurze Ohren hätte<lb/> und auf Füßen, niedrig, wie etwa die der Schildkröte watschelte — es klänge<lb/> für unsere Welt glaublicher, als Woll-Zucht-Möglichkeiten, wie sie damals er¬<lb/> strebt und jetzt längst überholt sind, den letzten Decennien des achtzehnten Jahr¬<lb/> hunderts erschienen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1140"> Nun waren die Geister wach gerufen. Wie die Schafzucht, so mußte auch<lb/> das Ackerfeld Erkenntnisse bergen, die ihrem Entdecker goldene Berge verspra¬<lb/> chen! Ackerbautheorien waren bereits genugsam da, aber wenig halfen sie in<lb/> einer verständnißlosen Zeit den niederen Culturstufen. Sonderbar genug, daß<lb/> Fragen, die um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts jeden Landwirth be¬<lb/> schäftigen, hundert Jahre früher eine unbeachtete Domaine der Gelehrten waren<lb/> und blieben. 1731 meinte Jethro Tüll, die Pflanzen nährten sich von feinen<lb/> Erdtheilchen; 1749 unterstützten ihn Kretschmar und Reichart. Aber dergleichen<lb/> kam zu früh; es verhallte unter dem Wüste praktischer Recepte, die nicht auf<lb/> Benutzung oder Erhöhung der Fruchtbarkeit des Ackers, sondern einfach darauf<lb/> hinausliefen, hohe Ernten zu erzielen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1141"> Fruchtbarkeit erschien eine glückliche Eigenschaft des Bodens; wie durch ein<lb/> Zaubermittel sollte der Landwirth sie durch jene Recepte sich dienstbar machen.<lb/> Man hörte hier und da von einem Mittel, welches die Erträge steigere, und<lb/> gebrauchte es. Es war eben ein Glückskind, welches solche auslas, nicht ent¬<lb/> deckte; denn der Zufall war der Grund seines Glücks. Traurig sah es auf<lb/> den Feldern aus. Futter suchte sich das Vieh auf den ärmlichen Weiden,<lb/> welche als Außenschläge nicht des Pfluges Wirken erfuhren. Kein Heu ward<lb/> für den Winter geheimst, oder doch sehr wenig: grün wurde das Gras auf den<lb/> Wiesen verzehrt. Bewässern der Wiesen kam nicht vor, es sei denn, daß die<lb/> Natur freiwillig es that. Stroh von Hülsenfrucht und die Spreu des Getrei¬<lb/> des mußte im Winter die Kuh bei Leben erhalten. Kartoffeln wurden erst<lb/> schüchtern und versuchsweise angebaut; der Klee war unbekannt und die Rübe<lb/> nur in der weißen, wenig eintragenden Varietät vorhanden. Die Erbse wollte<lb/> nicht mehr so gerathen, wie bisher, eine schlimme Erscheinung für diese Z^it.<lb/> Das Städtchen Brilon, 3000 Einwohner zählend, hielt 3000 Kühe, 10,000 Schafe<lb/> und 2000 Ziegen. Die Kühe mußten zu ihrer Weide täglich 2 — 3 Stunden<lb/> hin- und zurückgehn. Da gab es Leute, die sechs Kühe hielten und doch Milch<lb/> kauften (Schweiz: Rhein-westphäl. Landw. I. 404).</p><lb/> <p xml:id="ID_1142" next="#ID_1143"> Glücklich waren die Bewohner der Auen, der fruchtbaren Ebenen zu prei¬<lb/> sen! Ihr Boden hatte mehr „Trieb". Die Erbsen und die Bohnen wuchsen<lb/> freudiger, Flachs und Hanf gedieh. Das Stroh der Cerealien war stärker und<lb/> fehlte nicht fortwährend. Eine stärkere Bevölkerung hatte sich ansiedeln können,<lb/> die Städte in diesen Gegenden vergrößerten sich. Die Dörfer'waren dichter<lb/> an einander gebaut; die Außenweiden schoben sich näher an sie; es ward</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0335]
Thiere zu gestalten, das weder Rüssel noch Schwanz noch kurze Ohren hätte
und auf Füßen, niedrig, wie etwa die der Schildkröte watschelte — es klänge
für unsere Welt glaublicher, als Woll-Zucht-Möglichkeiten, wie sie damals er¬
strebt und jetzt längst überholt sind, den letzten Decennien des achtzehnten Jahr¬
hunderts erschienen.
Nun waren die Geister wach gerufen. Wie die Schafzucht, so mußte auch
das Ackerfeld Erkenntnisse bergen, die ihrem Entdecker goldene Berge verspra¬
chen! Ackerbautheorien waren bereits genugsam da, aber wenig halfen sie in
einer verständnißlosen Zeit den niederen Culturstufen. Sonderbar genug, daß
Fragen, die um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts jeden Landwirth be¬
schäftigen, hundert Jahre früher eine unbeachtete Domaine der Gelehrten waren
und blieben. 1731 meinte Jethro Tüll, die Pflanzen nährten sich von feinen
Erdtheilchen; 1749 unterstützten ihn Kretschmar und Reichart. Aber dergleichen
kam zu früh; es verhallte unter dem Wüste praktischer Recepte, die nicht auf
Benutzung oder Erhöhung der Fruchtbarkeit des Ackers, sondern einfach darauf
hinausliefen, hohe Ernten zu erzielen.
Fruchtbarkeit erschien eine glückliche Eigenschaft des Bodens; wie durch ein
Zaubermittel sollte der Landwirth sie durch jene Recepte sich dienstbar machen.
Man hörte hier und da von einem Mittel, welches die Erträge steigere, und
gebrauchte es. Es war eben ein Glückskind, welches solche auslas, nicht ent¬
deckte; denn der Zufall war der Grund seines Glücks. Traurig sah es auf
den Feldern aus. Futter suchte sich das Vieh auf den ärmlichen Weiden,
welche als Außenschläge nicht des Pfluges Wirken erfuhren. Kein Heu ward
für den Winter geheimst, oder doch sehr wenig: grün wurde das Gras auf den
Wiesen verzehrt. Bewässern der Wiesen kam nicht vor, es sei denn, daß die
Natur freiwillig es that. Stroh von Hülsenfrucht und die Spreu des Getrei¬
des mußte im Winter die Kuh bei Leben erhalten. Kartoffeln wurden erst
schüchtern und versuchsweise angebaut; der Klee war unbekannt und die Rübe
nur in der weißen, wenig eintragenden Varietät vorhanden. Die Erbse wollte
nicht mehr so gerathen, wie bisher, eine schlimme Erscheinung für diese Z^it.
Das Städtchen Brilon, 3000 Einwohner zählend, hielt 3000 Kühe, 10,000 Schafe
und 2000 Ziegen. Die Kühe mußten zu ihrer Weide täglich 2 — 3 Stunden
hin- und zurückgehn. Da gab es Leute, die sechs Kühe hielten und doch Milch
kauften (Schweiz: Rhein-westphäl. Landw. I. 404).
Glücklich waren die Bewohner der Auen, der fruchtbaren Ebenen zu prei¬
sen! Ihr Boden hatte mehr „Trieb". Die Erbsen und die Bohnen wuchsen
freudiger, Flachs und Hanf gedieh. Das Stroh der Cerealien war stärker und
fehlte nicht fortwährend. Eine stärkere Bevölkerung hatte sich ansiedeln können,
die Städte in diesen Gegenden vergrößerten sich. Die Dörfer'waren dichter
an einander gebaut; die Außenweiden schoben sich näher an sie; es ward
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