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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Roggen war die Brodfrucht, Erbsen das Gemüse; Fleisch war sehr billig.
"Für eine gute vollständige Rüstung konnten im 14.--16. Jahrhundert 33 Kühe
gekauft werden. (Röscher a. a. O. p. 270.) Für den eigentlichen Markt ward
noch wenig gebaut. Selbst in den meisten Städten erntete der Bürger, was
er von Getreide brauchte. Der Bauer aber erzeugte nur da, wo er nach den
Straßen und Flüssen nicht allzu schwer gelangen konnte, mehr als seinen eigenen
Bedarf. Auf den Gütern der Herrn schwelgte der mittelalterliche Luxus in dem
Ueberflusse reicher Ernten. Eine Mißernte hob den Preis des Korns auf den
dreißigfachen Betrag. In Böhmen galt 1361 der Strich 30 Groschen, 1362
einen Groschen. Dann überstand die Landwirthschaft den dreißigjährigen Krieg,
welcher die Einwohnerzahl in Deutschland auf weit weniger als die Hälfte herab¬
brachte und Tausende von Dörfern zerstörte. Jahre bedürfte es, um den alten
Muth wieder wachsen zu lassen, an Fortschritt ward vorerst nicht gedacht. Es
mußte die frühere Rechtssicherheit wiederkehren, eine Menschenclasse sich bilden,
die des Landes Production und des Landmanns Arbeit bezahlte, damit die erstere
steigen, der Handel sich entwickeln, Künste erwachen, Gewerbe entstehen, ein ge¬
wisser Luxus kommen konnte. Von Regicrungswegen wurden nur die größeren
Gutswirthschaften unterstützt; das Bauernlegen war bis in die Mitte des vorigen
Jahrhunderts gestattet. Wenig Feld wurde im System bewirthschaftet; nur die
Binnenschläge -- d. h. die nahen Felder -- waren in Cultur. Die Auhen-
schläge, bei weitem der größere Theil des Bodens, nährten das weidende Vieh:
es wurde möglichst viel Land durch möglichst wenig Arbeit genutzt. Die Be¬
völkerung stieg allmälig, Lebensmittel waren da, und viel mehr, als sich satt
zu essen, verlangte das Volk nicht. Man verbot die Aufnahme fremder Unter¬
thanen, Niemand durfte sich außerhalb seiner Jurisdiction niederlassen, und noch
1736 drohte die preußische Gesindeordnung scharf wider das Entlaufen der
Bauern.. (Röscher.) Um die Masse des wachsenden Pauperismus zu nähren,
schuf und begünstigte das Mercantilsystem Fabriken, und die mit Hilfe des
Schutzzolls auferlegte indirecte Steuer verpraßten die Höfe; denn ein König gibt
Almosen, wenn er verschwendet.

Selbst Friedrich der Große begünstigte auf Kosten des Landbaus das Fa¬
brikwesen, z. B. durch Verbot der Wollausfuhr, und wenn er die Uebel, die
diese Politik (und der siebenjährige Krieg) schlug, durch Steuernachlaß und Geld¬
gaben auszugleichen suchte, so geschah dies nicht immer mit Erfolg. Er schenkte
pommerschen Rittergutsbesitzern 4V-- Millionen Thaler; ein anderes Gut, das nach
und nach 12.000Thaler empfangen hatte, mußte 1788 -- während hoher Korn¬
preise-- um 10,000 Thaler verkauft werden. (Hering: Agrar. Gesetze.) Den
hohen Herrn half man von Staatsw>'gen; die kleinen Leute trieb man in die
Fabriken; "die große Masse des Volks ward für Null geachtet". (Zschokke.)

Das waren die Entwickelungskrankheiten der deutschen Land wirthschaft.


Roggen war die Brodfrucht, Erbsen das Gemüse; Fleisch war sehr billig.
„Für eine gute vollständige Rüstung konnten im 14.—16. Jahrhundert 33 Kühe
gekauft werden. (Röscher a. a. O. p. 270.) Für den eigentlichen Markt ward
noch wenig gebaut. Selbst in den meisten Städten erntete der Bürger, was
er von Getreide brauchte. Der Bauer aber erzeugte nur da, wo er nach den
Straßen und Flüssen nicht allzu schwer gelangen konnte, mehr als seinen eigenen
Bedarf. Auf den Gütern der Herrn schwelgte der mittelalterliche Luxus in dem
Ueberflusse reicher Ernten. Eine Mißernte hob den Preis des Korns auf den
dreißigfachen Betrag. In Böhmen galt 1361 der Strich 30 Groschen, 1362
einen Groschen. Dann überstand die Landwirthschaft den dreißigjährigen Krieg,
welcher die Einwohnerzahl in Deutschland auf weit weniger als die Hälfte herab¬
brachte und Tausende von Dörfern zerstörte. Jahre bedürfte es, um den alten
Muth wieder wachsen zu lassen, an Fortschritt ward vorerst nicht gedacht. Es
mußte die frühere Rechtssicherheit wiederkehren, eine Menschenclasse sich bilden,
die des Landes Production und des Landmanns Arbeit bezahlte, damit die erstere
steigen, der Handel sich entwickeln, Künste erwachen, Gewerbe entstehen, ein ge¬
wisser Luxus kommen konnte. Von Regicrungswegen wurden nur die größeren
Gutswirthschaften unterstützt; das Bauernlegen war bis in die Mitte des vorigen
Jahrhunderts gestattet. Wenig Feld wurde im System bewirthschaftet; nur die
Binnenschläge — d. h. die nahen Felder — waren in Cultur. Die Auhen-
schläge, bei weitem der größere Theil des Bodens, nährten das weidende Vieh:
es wurde möglichst viel Land durch möglichst wenig Arbeit genutzt. Die Be¬
völkerung stieg allmälig, Lebensmittel waren da, und viel mehr, als sich satt
zu essen, verlangte das Volk nicht. Man verbot die Aufnahme fremder Unter¬
thanen, Niemand durfte sich außerhalb seiner Jurisdiction niederlassen, und noch
1736 drohte die preußische Gesindeordnung scharf wider das Entlaufen der
Bauern.. (Röscher.) Um die Masse des wachsenden Pauperismus zu nähren,
schuf und begünstigte das Mercantilsystem Fabriken, und die mit Hilfe des
Schutzzolls auferlegte indirecte Steuer verpraßten die Höfe; denn ein König gibt
Almosen, wenn er verschwendet.

Selbst Friedrich der Große begünstigte auf Kosten des Landbaus das Fa¬
brikwesen, z. B. durch Verbot der Wollausfuhr, und wenn er die Uebel, die
diese Politik (und der siebenjährige Krieg) schlug, durch Steuernachlaß und Geld¬
gaben auszugleichen suchte, so geschah dies nicht immer mit Erfolg. Er schenkte
pommerschen Rittergutsbesitzern 4V-- Millionen Thaler; ein anderes Gut, das nach
und nach 12.000Thaler empfangen hatte, mußte 1788 — während hoher Korn¬
preise— um 10,000 Thaler verkauft werden. (Hering: Agrar. Gesetze.) Den
hohen Herrn half man von Staatsw>'gen; die kleinen Leute trieb man in die
Fabriken; „die große Masse des Volks ward für Null geachtet". (Zschokke.)

Das waren die Entwickelungskrankheiten der deutschen Land wirthschaft.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/332>, abgerufen am 15.01.2025.