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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Haupterforderniß); die Blässe verlieh beiden ein entsetzliches Aussehen. Sie
fingen an die Erde mit den Nägeln aufzuscharren und ein schwarzes Lamm
mit den Zähnen zu zerreißen. Das Blut ließen sie in die Grube fließen, um
von dort die Manen hervorzulocken, die Seelen, welche ihnen Antwort geben
sollten." Aehnlich ist die Procedur in der "Pharsalia" Luteus, nur daß hier die
Thessalien" Erichtho einem eben gefallenen Krieger Blut einflößt, und als der
zurückkehrende Schatten sich nicht sogleich wieder in seinen Körper begeben will,
den Leichnam mit Schlangen geißelt und fürchterliche Drohungen gegen die
chthonischen Götter ausstößt. Man glaubte nämlich, daß die noch nicht über
den acherusischen See gefahrene Seele eines kaum Verstorbenen leichter zu be¬
fragen wäre, und so liest man auch in Heliodors "äthiopischen Geschichten"
wie eine ägyptische Zauberin auf dem Schlachtfelde die Leiche ihres eigenen
Sohnes zur Beschwörung mißbrauchte. Zuerst nickte der sich wiederbelebende
Körper nur auf die an ihn gestellten Fragen; als aber die Alte mit neuen
Gaukeleien ihn drängte, "fing er an, wie aus einem fernen Winkel oder aus
einer Felsenschlucht in einem tiefen und widrigen Tone zu zischen", und
verwünschte seine Mutter. Unter dem Kaiser Valens war der Kriegsoberst
Pollentianus geständig, mit Hilfe eines aus dem Leibe einer lebendigen Frau
geschnittenen Embryo die Unterirdischen über die Zukunft der Dynastie befragt
zu haben! Nach dem Lexikographen Suidas wurden die schwarzen Böcke dazu
gebraucht, um die Gräber der zu beschwörenden Todten zu finden. Man führte
sie an den Vorderfüßen oder den Hörnern hinaus und, wo sie still standen, be¬
gann man die Citation!

Recht oft ließ man alte Helden und Sänger erscheinen, wie Orpheus,
Phoroneus, Kekrops. Apollonios von Tyana beschwor den Schatten Aedilis;
der prahlerische Grammatiker Apion, ein Zeitgenosse von Plinius. rühmte
sich, den Schatten Homers citirt und über sein Vaterland und seine Aeltern
befragt zu haben. "Er wagte es aber nicht," setzt Plinius hinzu, "zu ge¬
stehen, was er ihm geantwortet hätte!" Zu Ciceros Zeit trieb dessen Freund
Appius Klciudius die Nekromantie. Auch dem schändlichen Günstling Cäsars,
Vatinius, wirft der Redner vor, daß er dem abscheulichsten Aberglauben ge-
frvhnt, die Seelen der Gemordeten citirt und dieselben durch die Eingeweide
von Kindern zu versöhnen versucht habe. Der unvorsichtige Lido Drusus
wurde nach dem Tode Augusts wegen Geisterbeschwörung denuncirt, in einen
Hochverrathsproceß verwickelt und von Tiberius zum Selbstmord getrieben.
Nero trieb die Magie ebenso leidenschaftlich als die Musik und Schauspiel¬
kunst, und als nach dem Tode Agrippinas sein Gewissen keine Ruhe fand, ver¬
suchte er die Seele der Gemordeten zu citiren und zu besänftigen. "Wenn er
doch lieber/' sagt der ältere Plinius, "die Schatten und jeden beliebigen Gott
über seinen Argwohn gegen die Leute um Rath gefragt hätte, anstatt de"


Haupterforderniß); die Blässe verlieh beiden ein entsetzliches Aussehen. Sie
fingen an die Erde mit den Nägeln aufzuscharren und ein schwarzes Lamm
mit den Zähnen zu zerreißen. Das Blut ließen sie in die Grube fließen, um
von dort die Manen hervorzulocken, die Seelen, welche ihnen Antwort geben
sollten." Aehnlich ist die Procedur in der „Pharsalia" Luteus, nur daß hier die
Thessalien» Erichtho einem eben gefallenen Krieger Blut einflößt, und als der
zurückkehrende Schatten sich nicht sogleich wieder in seinen Körper begeben will,
den Leichnam mit Schlangen geißelt und fürchterliche Drohungen gegen die
chthonischen Götter ausstößt. Man glaubte nämlich, daß die noch nicht über
den acherusischen See gefahrene Seele eines kaum Verstorbenen leichter zu be¬
fragen wäre, und so liest man auch in Heliodors „äthiopischen Geschichten"
wie eine ägyptische Zauberin auf dem Schlachtfelde die Leiche ihres eigenen
Sohnes zur Beschwörung mißbrauchte. Zuerst nickte der sich wiederbelebende
Körper nur auf die an ihn gestellten Fragen; als aber die Alte mit neuen
Gaukeleien ihn drängte, „fing er an, wie aus einem fernen Winkel oder aus
einer Felsenschlucht in einem tiefen und widrigen Tone zu zischen", und
verwünschte seine Mutter. Unter dem Kaiser Valens war der Kriegsoberst
Pollentianus geständig, mit Hilfe eines aus dem Leibe einer lebendigen Frau
geschnittenen Embryo die Unterirdischen über die Zukunft der Dynastie befragt
zu haben! Nach dem Lexikographen Suidas wurden die schwarzen Böcke dazu
gebraucht, um die Gräber der zu beschwörenden Todten zu finden. Man führte
sie an den Vorderfüßen oder den Hörnern hinaus und, wo sie still standen, be¬
gann man die Citation!

Recht oft ließ man alte Helden und Sänger erscheinen, wie Orpheus,
Phoroneus, Kekrops. Apollonios von Tyana beschwor den Schatten Aedilis;
der prahlerische Grammatiker Apion, ein Zeitgenosse von Plinius. rühmte
sich, den Schatten Homers citirt und über sein Vaterland und seine Aeltern
befragt zu haben. „Er wagte es aber nicht," setzt Plinius hinzu, „zu ge¬
stehen, was er ihm geantwortet hätte!" Zu Ciceros Zeit trieb dessen Freund
Appius Klciudius die Nekromantie. Auch dem schändlichen Günstling Cäsars,
Vatinius, wirft der Redner vor, daß er dem abscheulichsten Aberglauben ge-
frvhnt, die Seelen der Gemordeten citirt und dieselben durch die Eingeweide
von Kindern zu versöhnen versucht habe. Der unvorsichtige Lido Drusus
wurde nach dem Tode Augusts wegen Geisterbeschwörung denuncirt, in einen
Hochverrathsproceß verwickelt und von Tiberius zum Selbstmord getrieben.
Nero trieb die Magie ebenso leidenschaftlich als die Musik und Schauspiel¬
kunst, und als nach dem Tode Agrippinas sein Gewissen keine Ruhe fand, ver¬
suchte er die Seele der Gemordeten zu citiren und zu besänftigen. „Wenn er
doch lieber/' sagt der ältere Plinius, „die Schatten und jeden beliebigen Gott
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/274>, abgerufen am 15.01.2025.