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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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vergnügen Münchener Bürgersleute im achtzehnten Jahrhundert" der Fall ist.
Auch der Frankfurter Oppenheim zählt hierher. Ein mehr ausgeprägtes
Leben und mehr individuelle Stimmung weiß Karl Becker ("Aufforderung
zur Tafel") in seine gutbewegten Figuren zu bringen, der dagegen im Colorit
etwas Trockenes hat und nicht so wie Hagn das Ganze sin die elementaren
Medien von Licht und Luft zu setzen weiß. Beide jedoch haben weit hin bis
zu Meissonnier, von dem ein feines Cabinetsstück, "würfelnde Lanzknechte",
auf der Ausstellung war. Hier sind die Individuen bestimmte Charaktere,
wirklich ganz bei sich, in ihr Treiben aufgegangen, dabei ist die Form ebenso
durchgearbeitet, wie die coloristische Stimmung. Nur an dem etwas gezierten
Eindruck des Ganzen und der zu naturgetreuen Ausführung des Einzelnen
mag der Beschauer merken, daß der Maler nicht naiv auf seine eigene Welt
einging, sondern eine fremde sich zurecht machen mußte.

Das moderne Sittenbild war in ziemlich reicher Auswahl vertreten; doch
fehlten außer den älteren die besten "eueren Düsseldorfer, deren Leistungen
in diesem Fach allen übrigen voranstehen, vorab Kraus, dann Vautier
und Sälentin. Diese vertreten in ihrem Zweige das neue malerische Prin¬
cip, und daher ist ihre Abwesenheit von der Ausstellung die empfindlichste Lücke
derselben. Namentlich Kraus geht darauf aus, seine Figuren in Form und
Bewegung ganz individuell nach dem Leben zu bilden, vor Allem aber durch
die Harmonie eines warmen tiefen Tons, in dem Alles schwebt, eine durch¬
aus malerische Wirkung hervorzubringen; doch verfehlt er leicht das rechte Maß
zwischen den beiden Momenten der Darstellung, indem er in die malerische Er¬
scheinung einen zu selbständigen und aparten Reiz zu legen sucht. Hier tritt
somit derselbe bedenkliche Umstand ein, den wir oben bemerkt haben. Auf diese
neue interessante Wendung in der Behandlung des Genre einzugehen, erlaubt
uns der Raum nicht. Das kleine Bildchen von O. Lasch ("das Gutachten"),
geschickt gemacht, mag man etwa hierher zählen, auch hat das pikante und
zweideutige Motiv etwas von der modernen Absichtlichkeit, in welche diese
neueste Genre-Malerei leicht verfällt. -- Ein recht bezeichnendes Beispiel für
die Gattung des Sittenbildes, welche in den letzten Jahren viel Glück und das
Vorrecht hatte, gefällige Salonbilder zu liefern, sind die beiden Gemälde von
O, E.Böttcher, "Sommernacht am Rhein" und "Abend im Schwarzwalde":
eine heitere Gesellschaft, das . eine Mal von Städtern beim Maiwein, das an¬
dere Mal von Bauern am Brunnen, Alles musterhafte Leute in ihren besten
Kleidern, die so recht augenscheinlich des Lebens sich freuen. Nur merkt man
diesen niedlichen Köpfen und zierlichen Bauerngestalten an, daß sie im Atelier ent¬
standen sind und sich nur das Ansehen geben, wie wenn sie eben frisch aus der
Natur kämen. Geschickte Anordnung und ein gewisses Talent der Gestaltung
hat der Künstler wohl, auch mögen die frischen Farben und die saubere Be-


vergnügen Münchener Bürgersleute im achtzehnten Jahrhundert" der Fall ist.
Auch der Frankfurter Oppenheim zählt hierher. Ein mehr ausgeprägtes
Leben und mehr individuelle Stimmung weiß Karl Becker („Aufforderung
zur Tafel") in seine gutbewegten Figuren zu bringen, der dagegen im Colorit
etwas Trockenes hat und nicht so wie Hagn das Ganze sin die elementaren
Medien von Licht und Luft zu setzen weiß. Beide jedoch haben weit hin bis
zu Meissonnier, von dem ein feines Cabinetsstück, „würfelnde Lanzknechte",
auf der Ausstellung war. Hier sind die Individuen bestimmte Charaktere,
wirklich ganz bei sich, in ihr Treiben aufgegangen, dabei ist die Form ebenso
durchgearbeitet, wie die coloristische Stimmung. Nur an dem etwas gezierten
Eindruck des Ganzen und der zu naturgetreuen Ausführung des Einzelnen
mag der Beschauer merken, daß der Maler nicht naiv auf seine eigene Welt
einging, sondern eine fremde sich zurecht machen mußte.

Das moderne Sittenbild war in ziemlich reicher Auswahl vertreten; doch
fehlten außer den älteren die besten »eueren Düsseldorfer, deren Leistungen
in diesem Fach allen übrigen voranstehen, vorab Kraus, dann Vautier
und Sälentin. Diese vertreten in ihrem Zweige das neue malerische Prin¬
cip, und daher ist ihre Abwesenheit von der Ausstellung die empfindlichste Lücke
derselben. Namentlich Kraus geht darauf aus, seine Figuren in Form und
Bewegung ganz individuell nach dem Leben zu bilden, vor Allem aber durch
die Harmonie eines warmen tiefen Tons, in dem Alles schwebt, eine durch¬
aus malerische Wirkung hervorzubringen; doch verfehlt er leicht das rechte Maß
zwischen den beiden Momenten der Darstellung, indem er in die malerische Er¬
scheinung einen zu selbständigen und aparten Reiz zu legen sucht. Hier tritt
somit derselbe bedenkliche Umstand ein, den wir oben bemerkt haben. Auf diese
neue interessante Wendung in der Behandlung des Genre einzugehen, erlaubt
uns der Raum nicht. Das kleine Bildchen von O. Lasch („das Gutachten"),
geschickt gemacht, mag man etwa hierher zählen, auch hat das pikante und
zweideutige Motiv etwas von der modernen Absichtlichkeit, in welche diese
neueste Genre-Malerei leicht verfällt. — Ein recht bezeichnendes Beispiel für
die Gattung des Sittenbildes, welche in den letzten Jahren viel Glück und das
Vorrecht hatte, gefällige Salonbilder zu liefern, sind die beiden Gemälde von
O, E.Böttcher, „Sommernacht am Rhein" und „Abend im Schwarzwalde":
eine heitere Gesellschaft, das . eine Mal von Städtern beim Maiwein, das an¬
dere Mal von Bauern am Brunnen, Alles musterhafte Leute in ihren besten
Kleidern, die so recht augenscheinlich des Lebens sich freuen. Nur merkt man
diesen niedlichen Köpfen und zierlichen Bauerngestalten an, daß sie im Atelier ent¬
standen sind und sich nur das Ansehen geben, wie wenn sie eben frisch aus der
Natur kämen. Geschickte Anordnung und ein gewisses Talent der Gestaltung
hat der Künstler wohl, auch mögen die frischen Farben und die saubere Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/260>, abgerufen am 15.01.2025.