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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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einzelnen Gestalt, und die Stimmung, die Alles gleichsam verschlingt und in
die eine nebelhafte Form gießt, ist mehr empfindsam als sie voll Empfindung
ist. War die frühere Malerei bald zu didaktisch, bald zu Poetisch, so greift
diese neuere in die Musik über, und zwar in die elegische, die sich nur in Moll¬
tonarten zu bewegen weiß.

Dieser Abweg liegt der ganzen Richtung nahe. Wenn sie ihn vermeiden
und die Entwicklung der modernen Kunst fördern soll, so muß sie es aufgeben,
in der Ueberfeinerung der coloristischen Stimmung eine aparte Wirkung zu
suchen; sie muß vielmehr an den großen Meistern lernen, wie diese auch die
vorwiegend malerische Erscheinung zur festen Gestalt ausgeprägt und ihr so die
Sicherheit und Fülle des Lebens gegeben haben. Die deutsche Kunst muß über¬
haupt noch lernen und vor Allem eine Schule der Form durchmachen, wenn
sie nicht bodenlos in einem Nebel von malerischen Effecten verschwimmen
soll. Daß sie die dramatische Bewegtheit der Komposition, die in den ver¬
flossenen Jahrzehenten Mode war, aufgegeben hat und zu einfachen Vorwürfen
zurückkehrt, davon läßt sich nur Gutes erwarten; aber sie soll nicht in der Ein¬
falt der Geberden und Gruppirung eine naive Anschauungsweise vorgeben,
hinter der sich doch meistens einerseits moderne Sentimentalität und anderer¬
seits die Unfähigkeit versteckt, das Leben in seinen reicheren und volleren Be¬
ziehungen zu gestalten. Wäre sie der Form Meister, so würde sie' jene gemachte
Einfachheit aufgeben und weder mit nüchternem Naturalismus die gewöhnliche
Erscheinung, noch in coloristischen Dämmerbeleuchtungen eine Welt von unbe¬
stimmten Gefühlen festhalten wollen. Ginge die Malerei auf diesem Wege
sort, so wäre sie im besten Zuge wieder romantisch zu werden. Es trifft sich
daher glücklich, daß dieser Richtung jene classische gegenübersteht (von der oben
die Rede war), welche das ewige Recht der idealen Motive und der stilvollen
Form aufrecht zu erhalten bemüht ist. Die Erscheinung ist, wie wir gesehen,
das Losungswort, in welchem die verschiedenen Gruppen der jüngern modernen
Malerei gegen die ältere zusammenstehen; aber wenn die Erscheinung eine leben¬
dige und erfüllte sein soll, so muß sie beide Momente des sichtbaren Daseins
in sich vereinen und gleichmäßig entwickeln. Dies wird nicht dadurch erreicht,
daß jene Richtungen, jede für sich eigensinnig abgeschlossen, sich auszubilden
suchen. Vielmehr müssen sie im lebendigen Zusammenhange auf einander ein¬
wirken und so die Kunst auf den Weg bringen, der jener schönen harmonischen
Mitte der vollendeten Erscheinung zustrebt. Die Mittel, zu diesem Ziele zu ge.
langen, sind eine unverfälschte Anschauung, welche den Charakter der bildenden
Kunst festhält, und weder ins Lehrhafte oder Poetische, noch ins Musikalische
sich verliert, und dann das ernste Studium aller Bedingungen der bildenden
Kunst. Wie aber ließe sich dieser Mittel besser Herr werden, als im vertrauten
Umgange mit den großen Meistern, welche die Welt der Form geschaffen und


einzelnen Gestalt, und die Stimmung, die Alles gleichsam verschlingt und in
die eine nebelhafte Form gießt, ist mehr empfindsam als sie voll Empfindung
ist. War die frühere Malerei bald zu didaktisch, bald zu Poetisch, so greift
diese neuere in die Musik über, und zwar in die elegische, die sich nur in Moll¬
tonarten zu bewegen weiß.

Dieser Abweg liegt der ganzen Richtung nahe. Wenn sie ihn vermeiden
und die Entwicklung der modernen Kunst fördern soll, so muß sie es aufgeben,
in der Ueberfeinerung der coloristischen Stimmung eine aparte Wirkung zu
suchen; sie muß vielmehr an den großen Meistern lernen, wie diese auch die
vorwiegend malerische Erscheinung zur festen Gestalt ausgeprägt und ihr so die
Sicherheit und Fülle des Lebens gegeben haben. Die deutsche Kunst muß über¬
haupt noch lernen und vor Allem eine Schule der Form durchmachen, wenn
sie nicht bodenlos in einem Nebel von malerischen Effecten verschwimmen
soll. Daß sie die dramatische Bewegtheit der Komposition, die in den ver¬
flossenen Jahrzehenten Mode war, aufgegeben hat und zu einfachen Vorwürfen
zurückkehrt, davon läßt sich nur Gutes erwarten; aber sie soll nicht in der Ein¬
falt der Geberden und Gruppirung eine naive Anschauungsweise vorgeben,
hinter der sich doch meistens einerseits moderne Sentimentalität und anderer¬
seits die Unfähigkeit versteckt, das Leben in seinen reicheren und volleren Be¬
ziehungen zu gestalten. Wäre sie der Form Meister, so würde sie' jene gemachte
Einfachheit aufgeben und weder mit nüchternem Naturalismus die gewöhnliche
Erscheinung, noch in coloristischen Dämmerbeleuchtungen eine Welt von unbe¬
stimmten Gefühlen festhalten wollen. Ginge die Malerei auf diesem Wege
sort, so wäre sie im besten Zuge wieder romantisch zu werden. Es trifft sich
daher glücklich, daß dieser Richtung jene classische gegenübersteht (von der oben
die Rede war), welche das ewige Recht der idealen Motive und der stilvollen
Form aufrecht zu erhalten bemüht ist. Die Erscheinung ist, wie wir gesehen,
das Losungswort, in welchem die verschiedenen Gruppen der jüngern modernen
Malerei gegen die ältere zusammenstehen; aber wenn die Erscheinung eine leben¬
dige und erfüllte sein soll, so muß sie beide Momente des sichtbaren Daseins
in sich vereinen und gleichmäßig entwickeln. Dies wird nicht dadurch erreicht,
daß jene Richtungen, jede für sich eigensinnig abgeschlossen, sich auszubilden
suchen. Vielmehr müssen sie im lebendigen Zusammenhange auf einander ein¬
wirken und so die Kunst auf den Weg bringen, der jener schönen harmonischen
Mitte der vollendeten Erscheinung zustrebt. Die Mittel, zu diesem Ziele zu ge.
langen, sind eine unverfälschte Anschauung, welche den Charakter der bildenden
Kunst festhält, und weder ins Lehrhafte oder Poetische, noch ins Musikalische
sich verliert, und dann das ernste Studium aller Bedingungen der bildenden
Kunst. Wie aber ließe sich dieser Mittel besser Herr werden, als im vertrauten
Umgange mit den großen Meistern, welche die Welt der Form geschaffen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/255>, abgerufen am 15.01.2025.