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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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blaßgebackner Kruste) und halbflüssige Butter. Ausnahmsweise kam auch ein
Teller mit fettem Schinken für die Lehrer auf den Tisch, wovon der Principal
zwei Drittel als seinen Antheil in Beschlag nahm. Zu Mittag hatten wir
heiße Biscuits, verzweifelt fetten Schinken und süße, bisweilen auch gewöhn¬
liche Kartoffeln, sehr, selten noch ein andres Gemüse. Dann und wann erschien
allerdings ein Truthahn; aber er wollte für die ganze Tischgesellschaft von etwa
fünfzig Köpfen kaum ausreichen. Mitunter erfreute auch einmal ein Rinder¬
braten unsere Augen bei Tafel, der aber dann vier Tage nach einander auf den
Tisch kam, so daß ihm zuletzt jedermann gram werden mußte. Abends gab es
wieder eine Tasse schlechten Kaffee, heiße Biscuits und halbflüssige Butter. In
den Monaten Februar und März waren wir aber zu Mittag lediglich auf fetten
Schinken beschränkt, weil in dieser Zeit das Rindvieh in der ganzen weiten
Umgegend so abgemagert war, daß es sich nicht zum Schlachten eignete. Man
ließ es nämlich Sommer und Winter Tag und Nacht im Freien weiden und
bekümmerte sich nicht im Geringsten um dasselbe. Im Januar und Februar er¬
starb die Vegetation, und das Vieh fand nichts mehr auf der Weide. Die
Eigenthümer ließen es lieber fallen, als daß sie ihm zu solchen Zeiten
etwas Futter gegeben hätten. So konnte es nicht anders kommen, als daß die
armen Thiere zu Gerippen abmagerten und ganz kraftlos wurden. Ich habe
gesehen, wie eine Kuh vor Hunger und Mattigkeit zusammenbrach und, da sie
nicht wieder aufstehen konnte, von Negern auf die Beine gestellt und an eine
Mauer gelehnt werden mußte, um nicht wieder umzufallen.

Die Damen schienen jedoch nicht über die Kost zu klagen. Sie konnten
überhaupt einen tüchtigen Puff vertragen. Wenn es z. B. während der Schule
heftig regnete, drang der Regen in Strömen in die Schulstube, und die Ladies
mußten, bis auf die Haut durchnäßt, sich eiligst ins Hauptgebäude zurückziehen,
das ungefähr 200 Schritt davon entfernt war. Auch das schienen sie ganz in
der Ordnung zu finden. Alles das brachte mich auf den Gedanken, daß es in
andern Instituten, deren es in der Umgegend wohl ein halb Dutzend gab, auch
nicht anders sein könne.

Im Uebrigen waren unsre Ladies zwar etwas wild, aber ungezwungene
Naturkinder ohne Falsch, freilich auch ohne einen Begriff von Anstand und guter
Lebensart. Sie besaßen eine gewisse Gutmüthigkeit und überließen sich ganz
ihrer jeweiligen Stimmung, ihren Gefühlen und Neigungen. Ein großes neunzehn¬
jähriges Mädchen konnte sich gleich hinsetzen und vor aller Welt laut schreien und
weinen, wenn sie von ihrem Vater einen Brief erhielt, in welchem sie über
die vielen Schulden, die sie im Orte gemacht hatte, Vorwürfe bekam. Die
jungen Damen hielten nämlich sehr auf Putz und manche kleideten sich täglich
dreimal in Seide um. Zur Zeit der Revivals, der Bekehrungszeit gewisser
Confessionen. z. B. der Methodisten, wo man hauptsächlich Convertiten zu


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blaßgebackner Kruste) und halbflüssige Butter. Ausnahmsweise kam auch ein
Teller mit fettem Schinken für die Lehrer auf den Tisch, wovon der Principal
zwei Drittel als seinen Antheil in Beschlag nahm. Zu Mittag hatten wir
heiße Biscuits, verzweifelt fetten Schinken und süße, bisweilen auch gewöhn¬
liche Kartoffeln, sehr, selten noch ein andres Gemüse. Dann und wann erschien
allerdings ein Truthahn; aber er wollte für die ganze Tischgesellschaft von etwa
fünfzig Köpfen kaum ausreichen. Mitunter erfreute auch einmal ein Rinder¬
braten unsere Augen bei Tafel, der aber dann vier Tage nach einander auf den
Tisch kam, so daß ihm zuletzt jedermann gram werden mußte. Abends gab es
wieder eine Tasse schlechten Kaffee, heiße Biscuits und halbflüssige Butter. In
den Monaten Februar und März waren wir aber zu Mittag lediglich auf fetten
Schinken beschränkt, weil in dieser Zeit das Rindvieh in der ganzen weiten
Umgegend so abgemagert war, daß es sich nicht zum Schlachten eignete. Man
ließ es nämlich Sommer und Winter Tag und Nacht im Freien weiden und
bekümmerte sich nicht im Geringsten um dasselbe. Im Januar und Februar er¬
starb die Vegetation, und das Vieh fand nichts mehr auf der Weide. Die
Eigenthümer ließen es lieber fallen, als daß sie ihm zu solchen Zeiten
etwas Futter gegeben hätten. So konnte es nicht anders kommen, als daß die
armen Thiere zu Gerippen abmagerten und ganz kraftlos wurden. Ich habe
gesehen, wie eine Kuh vor Hunger und Mattigkeit zusammenbrach und, da sie
nicht wieder aufstehen konnte, von Negern auf die Beine gestellt und an eine
Mauer gelehnt werden mußte, um nicht wieder umzufallen.

Die Damen schienen jedoch nicht über die Kost zu klagen. Sie konnten
überhaupt einen tüchtigen Puff vertragen. Wenn es z. B. während der Schule
heftig regnete, drang der Regen in Strömen in die Schulstube, und die Ladies
mußten, bis auf die Haut durchnäßt, sich eiligst ins Hauptgebäude zurückziehen,
das ungefähr 200 Schritt davon entfernt war. Auch das schienen sie ganz in
der Ordnung zu finden. Alles das brachte mich auf den Gedanken, daß es in
andern Instituten, deren es in der Umgegend wohl ein halb Dutzend gab, auch
nicht anders sein könne.

Im Uebrigen waren unsre Ladies zwar etwas wild, aber ungezwungene
Naturkinder ohne Falsch, freilich auch ohne einen Begriff von Anstand und guter
Lebensart. Sie besaßen eine gewisse Gutmüthigkeit und überließen sich ganz
ihrer jeweiligen Stimmung, ihren Gefühlen und Neigungen. Ein großes neunzehn¬
jähriges Mädchen konnte sich gleich hinsetzen und vor aller Welt laut schreien und
weinen, wenn sie von ihrem Vater einen Brief erhielt, in welchem sie über
die vielen Schulden, die sie im Orte gemacht hatte, Vorwürfe bekam. Die
jungen Damen hielten nämlich sehr auf Putz und manche kleideten sich täglich
dreimal in Seide um. Zur Zeit der Revivals, der Bekehrungszeit gewisser
Confessionen. z. B. der Methodisten, wo man hauptsächlich Convertiten zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/203>, abgerufen am 15.01.2025.