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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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steckte Ziel zu erreichen, nämlich die Reinbewahrung katholischer Lehre und
Sitte. Die Umstände und Verhältnisse, unter denen und für die dieses Insti¬
tut gegründet wurde, haben längst aufgehört zu existiren. Die Entstehung und
Ausbildung von Nationalliteraturen, die immer mehr zunehmende Entbindung
der einzelnen Wissenschaften von theologischer Umfangenheit, die Selbständig¬
keit der Laien gegenüber klerikaler Bevormundung, der gänzliche Umschwung
in der öffentlichen Meinung und Zeitstimmung, die geänderte Stellung der
Kirche zum Staate, das Princip der Preßfreiheit, die Unthunlichkeit für kirch¬
liche Behörden, Druckereien Zc. zu beaufsichtigen, was doch so genau und so
streng in den Jndexverordnungen anbefohlen ist, die noch größere Unmöglich¬
keit für die Jndexbehörde selbst, den Büchermarkt des Erdkreises -- denn nach
dem Buchstaben des Gesetzes ist auch die gesammte profane Literatur der kirch¬
lichen Ueberwachung unterworfen -- nach der ungeheuren Ausdehnung, die er
seit ungefähr fünfzig Jahren angenommen hat, zu beherrschen: an all das hat man
zu Rom. als vor dreihundert Jahren die Jndexcongregation errichtet wurde,
noch nicht denken können. Wie machtlos sie in der Realisirung ihres Zweckes
auch bei vorausgesetztem besten Wissen und Willen ihrer Mitglieder eben in?
folge der Umstände geworden ist. sehen wir am meisten aus ihrem Verhalteis
zu der periodischen Literatur. Dieselbe ist ganz und gar ihrem Einfluß ent¬
zogen, und doch ist sie von der weitaus größten Wichtigkeit, insofern die Bil¬
dung der großen Volksmasse gerade in dieser ihren Ursprung hat*).

Ein weiterer Grund aber, aus dem die Congregation eine unmögliche
Aufgabe hat, liegt in dem Denunciationssystem, auf das die ganze Art und
Weise ihrer Wirksamkeit berechnet ist. Ob ein Werk censirt wird oder nicht,
darüber gibt nicht die Beschaffenheit desselben Ausschlag, sondern einzig der
Umstand, ob sich ein Denunciant dafür findet. Ist es einmal denuncirt, dann
ist durch die oben angeführten Kriterien schon gesorgt, daß es verurtheilt wer¬
den kann. Hunderte von protestantischen und katholischen Werken gehen un¬
gestraft aus, während hier und da eines verboten wird, nicht als ob es ver¬
derblicher und schlechter wäre als jene andern, sondern weil sich desselben kein
Denunciant bemächtigt hat.





") Auch auf die belletristische Literatur hält freilich die Congregation hier und da ihr sorg"
sames Auge gerichtet. So erfolgte in jüngster Zeit das Verbot der Alex. v. Dumasschen Ro¬
mane. Man will wissen, er habe sich durch seine Garibaldi freundliche Thätigkeit in Italien
den Verdruß Roms zugezogen. Die Schriften von Dumas gingen aber schon an die dreißig
Jahre in allen Sprachen und Ausgaben durch die Welt; und nachdem gegenwärtig mehr und
mehr das Urtheil Boden gewinnt, Dumas habe sich ausgeschrieben, seine Zeit sei vorüber:
sich da kommt Rom seine Schriften zu verbieten!

steckte Ziel zu erreichen, nämlich die Reinbewahrung katholischer Lehre und
Sitte. Die Umstände und Verhältnisse, unter denen und für die dieses Insti¬
tut gegründet wurde, haben längst aufgehört zu existiren. Die Entstehung und
Ausbildung von Nationalliteraturen, die immer mehr zunehmende Entbindung
der einzelnen Wissenschaften von theologischer Umfangenheit, die Selbständig¬
keit der Laien gegenüber klerikaler Bevormundung, der gänzliche Umschwung
in der öffentlichen Meinung und Zeitstimmung, die geänderte Stellung der
Kirche zum Staate, das Princip der Preßfreiheit, die Unthunlichkeit für kirch¬
liche Behörden, Druckereien Zc. zu beaufsichtigen, was doch so genau und so
streng in den Jndexverordnungen anbefohlen ist, die noch größere Unmöglich¬
keit für die Jndexbehörde selbst, den Büchermarkt des Erdkreises — denn nach
dem Buchstaben des Gesetzes ist auch die gesammte profane Literatur der kirch¬
lichen Ueberwachung unterworfen — nach der ungeheuren Ausdehnung, die er
seit ungefähr fünfzig Jahren angenommen hat, zu beherrschen: an all das hat man
zu Rom. als vor dreihundert Jahren die Jndexcongregation errichtet wurde,
noch nicht denken können. Wie machtlos sie in der Realisirung ihres Zweckes
auch bei vorausgesetztem besten Wissen und Willen ihrer Mitglieder eben in?
folge der Umstände geworden ist. sehen wir am meisten aus ihrem Verhalteis
zu der periodischen Literatur. Dieselbe ist ganz und gar ihrem Einfluß ent¬
zogen, und doch ist sie von der weitaus größten Wichtigkeit, insofern die Bil¬
dung der großen Volksmasse gerade in dieser ihren Ursprung hat*).

Ein weiterer Grund aber, aus dem die Congregation eine unmögliche
Aufgabe hat, liegt in dem Denunciationssystem, auf das die ganze Art und
Weise ihrer Wirksamkeit berechnet ist. Ob ein Werk censirt wird oder nicht,
darüber gibt nicht die Beschaffenheit desselben Ausschlag, sondern einzig der
Umstand, ob sich ein Denunciant dafür findet. Ist es einmal denuncirt, dann
ist durch die oben angeführten Kriterien schon gesorgt, daß es verurtheilt wer¬
den kann. Hunderte von protestantischen und katholischen Werken gehen un¬
gestraft aus, während hier und da eines verboten wird, nicht als ob es ver¬
derblicher und schlechter wäre als jene andern, sondern weil sich desselben kein
Denunciant bemächtigt hat.





") Auch auf die belletristische Literatur hält freilich die Congregation hier und da ihr sorg«
sames Auge gerichtet. So erfolgte in jüngster Zeit das Verbot der Alex. v. Dumasschen Ro¬
mane. Man will wissen, er habe sich durch seine Garibaldi freundliche Thätigkeit in Italien
den Verdruß Roms zugezogen. Die Schriften von Dumas gingen aber schon an die dreißig
Jahre in allen Sprachen und Ausgaben durch die Welt; und nachdem gegenwärtig mehr und
mehr das Urtheil Boden gewinnt, Dumas habe sich ausgeschrieben, seine Zeit sei vorüber:
sich da kommt Rom seine Schriften zu verbieten!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/156>, abgerufen am 15.01.2025.