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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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von einem fast krankhaften Mißtrauen gegen das wiener Cabinet erfüllt war,
daß er von vornherein von der Ueberzeugung ausging, hinter jeder Hand¬
lung der Negierung müsse ein schlaues Attentat wider die Rechte des Landes
versteckt sein, wenn man ferner bedenkt , daß sowohl die CvmitatSversammlungcn,
als auch der Reichstag selbst stets bereit waren, in ihrem unvergleichlichen
lateinischen Idiom nach den üblichen Versicherungen treusten Gehorsams und
dcmüthigster Ergebenheit ihrem leidenschaftlichen Argwohn gegen die Räthe des
Kaisers, ihrer Ueberzeugung-von der völligen Werthlosigkeit aller Versprechungen
des wiener Hofes den möglichst schroffen und oft den Monarchen persönlich
verletzenden Ausdruck zu geben, so kann man sich einen Begriff von dem pein¬
lichen Verdruß machen, den jede Versammlung des ungarischen Reichtags den
wiener Staatsmännern bereiten mußte, man wird aber auch nicht umhin kön¬
nen, die durch lange Uebung erworbene Geschicklichkeit zu bewundern, mit der
die östreichische Staatskunst einerseits einen unheilbaren Bruch zu vermeiden,
anderseits aber doch ihre Absichten, so weit sie nicht unmittelbar die Bestim¬
mungen der Verfassung bedrohten, häufig genug, wenn auch nicht ohne wesent¬
liche Beschränkungen, durchzusetzen wußte.

Die Urtheile über die Thätigkeit der ungarischen Reichstage, so weit man
überhaupt von derselben Notiz nahm, lauten meist nicht gerade günstig. Selbst
Stein war der Meinung (1811), daß eine Verfassung, die acht Zehntel der Nation
in der Dienstbarkeit halte und deren Erwerbfleiß lahme, den größten Theil des
Grundeigenthums der Steuerpflicht entziehe, auf eine constitutionelle Art oder
durch einen Gewaltstreich geändert werden müsse. Und in der That, wenn
man berücksichtigt, wie gering die aus der Thätigkeit der Reichstage hervor-
gegangenen Resultate für die allgemeinen Eulturinteresse", nach deren För¬
derung oder Hemmung man doch den Werth eines politischen Systems zu messen
pflegt, gewesen sind, wenn man ferner in Anschlag bringt, daß der Reichstag
fast ausschließlich eine Vertretung des Adels war und lange Zeit hindurch es
als eine seiner wesentlichen Aufgaben ansah, die Vorrechte des Adels gegen
jeden Angriff, mochte er von Seiten des Absolutismus, mochte er von Seiten
der liberalen Ideen kommen, aufs hartnäckigste zu vertheidigen: so ist man
wohl geneigt, diesem strengen Urtheil beizustimmen.

Auch ganz abgesehen von den aristokratischen Tendenzen der Magnaten und
Abgeordneten war schon die ganze Praxis des Reichstags wenig geeignet, für
die Wohlfahrt des Landes dnrch eine rasche Förderung der Geschäfte zu sorgen.
Die Negierung stellte ihre Forderung an Geld und Rekruten, der Reichstag
gab seinen massenhaften Beschwerden und Wünschen in Repräsentationen Aus¬
druck. Gewöhnlich wurden die Sessionen mit endlosen Streitigkeiten eröffnet
ob zuerst die Postulate der Negierung oder die Beschwerden der Nation zu be¬
rathen seien, und daß jeder von beiden Theilen alle Ursache hatte, auf der


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von einem fast krankhaften Mißtrauen gegen das wiener Cabinet erfüllt war,
daß er von vornherein von der Ueberzeugung ausging, hinter jeder Hand¬
lung der Negierung müsse ein schlaues Attentat wider die Rechte des Landes
versteckt sein, wenn man ferner bedenkt , daß sowohl die CvmitatSversammlungcn,
als auch der Reichstag selbst stets bereit waren, in ihrem unvergleichlichen
lateinischen Idiom nach den üblichen Versicherungen treusten Gehorsams und
dcmüthigster Ergebenheit ihrem leidenschaftlichen Argwohn gegen die Räthe des
Kaisers, ihrer Ueberzeugung-von der völligen Werthlosigkeit aller Versprechungen
des wiener Hofes den möglichst schroffen und oft den Monarchen persönlich
verletzenden Ausdruck zu geben, so kann man sich einen Begriff von dem pein¬
lichen Verdruß machen, den jede Versammlung des ungarischen Reichtags den
wiener Staatsmännern bereiten mußte, man wird aber auch nicht umhin kön¬
nen, die durch lange Uebung erworbene Geschicklichkeit zu bewundern, mit der
die östreichische Staatskunst einerseits einen unheilbaren Bruch zu vermeiden,
anderseits aber doch ihre Absichten, so weit sie nicht unmittelbar die Bestim¬
mungen der Verfassung bedrohten, häufig genug, wenn auch nicht ohne wesent¬
liche Beschränkungen, durchzusetzen wußte.

Die Urtheile über die Thätigkeit der ungarischen Reichstage, so weit man
überhaupt von derselben Notiz nahm, lauten meist nicht gerade günstig. Selbst
Stein war der Meinung (1811), daß eine Verfassung, die acht Zehntel der Nation
in der Dienstbarkeit halte und deren Erwerbfleiß lahme, den größten Theil des
Grundeigenthums der Steuerpflicht entziehe, auf eine constitutionelle Art oder
durch einen Gewaltstreich geändert werden müsse. Und in der That, wenn
man berücksichtigt, wie gering die aus der Thätigkeit der Reichstage hervor-
gegangenen Resultate für die allgemeinen Eulturinteresse», nach deren För¬
derung oder Hemmung man doch den Werth eines politischen Systems zu messen
pflegt, gewesen sind, wenn man ferner in Anschlag bringt, daß der Reichstag
fast ausschließlich eine Vertretung des Adels war und lange Zeit hindurch es
als eine seiner wesentlichen Aufgaben ansah, die Vorrechte des Adels gegen
jeden Angriff, mochte er von Seiten des Absolutismus, mochte er von Seiten
der liberalen Ideen kommen, aufs hartnäckigste zu vertheidigen: so ist man
wohl geneigt, diesem strengen Urtheil beizustimmen.

Auch ganz abgesehen von den aristokratischen Tendenzen der Magnaten und
Abgeordneten war schon die ganze Praxis des Reichstags wenig geeignet, für
die Wohlfahrt des Landes dnrch eine rasche Förderung der Geschäfte zu sorgen.
Die Negierung stellte ihre Forderung an Geld und Rekruten, der Reichstag
gab seinen massenhaften Beschwerden und Wünschen in Repräsentationen Aus¬
druck. Gewöhnlich wurden die Sessionen mit endlosen Streitigkeiten eröffnet
ob zuerst die Postulate der Negierung oder die Beschwerden der Nation zu be¬
rathen seien, und daß jeder von beiden Theilen alle Ursache hatte, auf der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/11>, abgerufen am 15.01.2025.