Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.unpoetische Gegenwart zu versetzen und seinen Blick auf die gewaltigen im Natürlich handelt es sich bei dieser Frage in erster Linie um Ungarn, Wenn wir aber diesen Gedanken als ein Phantasiebild zurückweisen, so Die Geschichte Ungarns seit dem Scheitern der josephinischen Reform- unpoetische Gegenwart zu versetzen und seinen Blick auf die gewaltigen im Natürlich handelt es sich bei dieser Frage in erster Linie um Ungarn, Wenn wir aber diesen Gedanken als ein Phantasiebild zurückweisen, so Die Geschichte Ungarns seit dem Scheitern der josephinischen Reform- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0010" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115938"/> <p xml:id="ID_7" prev="#ID_6"> unpoetische Gegenwart zu versetzen und seinen Blick auf die gewaltigen im<lb/> Innern des Kaiscrsiaatcs gegeneinander ringenden Kräfte zu richten, ein leiser<lb/> Zweifel aufsteigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_8"> Natürlich handelt es sich bei dieser Frage in erster Linie um Ungarn,<lb/> Bis jetzt ist Oestreich dem erstrebten Ziele, Ungarn mit dem Reichsrath zu ver¬<lb/> söhnen, noch nicht um einen Schritt näher gekommen. Sollte es etwa, wie<lb/> sanguinische Magyaren bereits hoffen, dies Ziel ganz aufgeben, und Ungarn<lb/> um seiner deutschen Pläne willen zu einem unabhängigen Staate im Staate<lb/> zu erheben beabsichtigen? Ich denke, die Ungarn haben die östreichische Staats¬<lb/> kunst hinreichend kennen gelernt, um zu wissen, daß ihr nichts ferner liegt, als<lb/> eine derartige naive Gemüthlichkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_9"> Wenn wir aber diesen Gedanken als ein Phantasiebild zurückweisen, so<lb/> drängt sich um so uuabweiölichcr die Frage auf, wie denkt Oestreich die mit<lb/> Kraft in Angriff genommene staatsmännische Aufgabe der innern Einigung mit<lb/> seinen neuesten Projecte» zu vereinigen? Hofft es. daß ein deutschöstreichiscbcs<lb/> Parlament die Ungarn geneigter machen wird, ihre Abgeordneten in den wiener<lb/> Reichsrath zu schicken? Oder glaubt man in Wien die ungarische Frage dadurch<lb/> einer Lösung naher zu führen, daß ma» sie neben den-mächtigen Evolutionen,<lb/> welche die östreichische Politik nach allen Richtungen hin nimmt, als verschwin¬<lb/> dende Bagatelle behandelt? .Glaubt man, daß die Wunde sich Von selbst schließen,<lb/> oder daß Ungarn durch Belagerungszustand und Kriegsgerichte aufs Trockne<lb/> gesetzt und mürbe gemacht werden wird? Ein Rückblick auf die'Geschichte Ungarns<lb/> in den letzten siebzig Jahren wird uns diese Hoffnung als nicht gerade auf<lb/> Erkenntniß des Charakters der ungarischen Nation begründet erscheinen lassen.<lb/> Wir folgen bei diesem Ueberblick der gerade was die Verhältnisse Ungarns be¬<lb/> trifft besonders eingehenden und klaren Darstellung Springers.</p><lb/> <p xml:id="ID_10" next="#ID_11"> Die Geschichte Ungarns seit dem Scheitern der josephinischen Reform-<lb/> bestrebungen bis zum Jahre 1848 ist ein von Seiten der östreichischen Regie¬<lb/> rung sowohl wie der ungarischen Stände mit der äußersten Zähigkeit geführter<lb/> Kampf um einige Grundbestimmungen der ungarischen Verfassung. Vielfach<lb/> unterbrochen, oft Jahre lang ruhend, scheint er zuweilen erloschen, aber so oft die<lb/> Regierung genöthigt ist,, die getreuen Stände zusammenzuberufen, um Sub-<lb/> sidien an Mannschaften und Geld von ihnen zu heischen, bricht sogleich die unter<lb/> der Asche fortglimmende magyarische Kampfeslust zu hellen Flammen aus; jeder<lb/> Forderung der Regierung werden Gravamina in endloser Reihe entgegengestellt,<lb/> deren Zahl, da eine Erledigung der Beschwerden fast niemals stattfindet, mit<lb/> jedem Reichstage ins Ungemessene wächst; denn der Ungar hat nicht blos einen<lb/> unglaublichen Scharfblick auch für die kleinsten Uebergriffe der Regierung, son¬<lb/> dern auch ein äußerst treues Gedächtniß für früher begangene noch nicht ge¬<lb/> sühnte Verletzungen seiner Verfassung. Und wenn man nun bedenkt, daß er</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
unpoetische Gegenwart zu versetzen und seinen Blick auf die gewaltigen im
Innern des Kaiscrsiaatcs gegeneinander ringenden Kräfte zu richten, ein leiser
Zweifel aufsteigen.
Natürlich handelt es sich bei dieser Frage in erster Linie um Ungarn,
Bis jetzt ist Oestreich dem erstrebten Ziele, Ungarn mit dem Reichsrath zu ver¬
söhnen, noch nicht um einen Schritt näher gekommen. Sollte es etwa, wie
sanguinische Magyaren bereits hoffen, dies Ziel ganz aufgeben, und Ungarn
um seiner deutschen Pläne willen zu einem unabhängigen Staate im Staate
zu erheben beabsichtigen? Ich denke, die Ungarn haben die östreichische Staats¬
kunst hinreichend kennen gelernt, um zu wissen, daß ihr nichts ferner liegt, als
eine derartige naive Gemüthlichkeit.
Wenn wir aber diesen Gedanken als ein Phantasiebild zurückweisen, so
drängt sich um so uuabweiölichcr die Frage auf, wie denkt Oestreich die mit
Kraft in Angriff genommene staatsmännische Aufgabe der innern Einigung mit
seinen neuesten Projecte» zu vereinigen? Hofft es. daß ein deutschöstreichiscbcs
Parlament die Ungarn geneigter machen wird, ihre Abgeordneten in den wiener
Reichsrath zu schicken? Oder glaubt man in Wien die ungarische Frage dadurch
einer Lösung naher zu führen, daß ma» sie neben den-mächtigen Evolutionen,
welche die östreichische Politik nach allen Richtungen hin nimmt, als verschwin¬
dende Bagatelle behandelt? .Glaubt man, daß die Wunde sich Von selbst schließen,
oder daß Ungarn durch Belagerungszustand und Kriegsgerichte aufs Trockne
gesetzt und mürbe gemacht werden wird? Ein Rückblick auf die'Geschichte Ungarns
in den letzten siebzig Jahren wird uns diese Hoffnung als nicht gerade auf
Erkenntniß des Charakters der ungarischen Nation begründet erscheinen lassen.
Wir folgen bei diesem Ueberblick der gerade was die Verhältnisse Ungarns be¬
trifft besonders eingehenden und klaren Darstellung Springers.
Die Geschichte Ungarns seit dem Scheitern der josephinischen Reform-
bestrebungen bis zum Jahre 1848 ist ein von Seiten der östreichischen Regie¬
rung sowohl wie der ungarischen Stände mit der äußersten Zähigkeit geführter
Kampf um einige Grundbestimmungen der ungarischen Verfassung. Vielfach
unterbrochen, oft Jahre lang ruhend, scheint er zuweilen erloschen, aber so oft die
Regierung genöthigt ist,, die getreuen Stände zusammenzuberufen, um Sub-
sidien an Mannschaften und Geld von ihnen zu heischen, bricht sogleich die unter
der Asche fortglimmende magyarische Kampfeslust zu hellen Flammen aus; jeder
Forderung der Regierung werden Gravamina in endloser Reihe entgegengestellt,
deren Zahl, da eine Erledigung der Beschwerden fast niemals stattfindet, mit
jedem Reichstage ins Ungemessene wächst; denn der Ungar hat nicht blos einen
unglaublichen Scharfblick auch für die kleinsten Uebergriffe der Regierung, son¬
dern auch ein äußerst treues Gedächtniß für früher begangene noch nicht ge¬
sühnte Verletzungen seiner Verfassung. Und wenn man nun bedenkt, daß er
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