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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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in der Voraussetzung, daß der europäische Friede auf der damals von Oestreich
vorgeschlagen Basis geschlossen werde. Seitdem aber habe der Krieg eine gänz¬
lich veränderte Weltlage und für Oestreich und Preußen andere Friedens¬
bedingungen, die Aussicht auf "unermeßliche Erwerbungen" herbeigeführt, und
so habe auch Rußland das Recht erlangt, eine weniger beschränkte Entschädigung
zu erhalten. Schon habe der Kaiser der Krone Preußen Danzig, den Oese'
reichern die Salzwerke von Wieliczka überlassen, auch der beste und bevölkertste
Landstrich des Herzogthums Warschau an dessen Grenze solle an Preußen ab¬
getreten werden. Was Rußland bliebe, sei ein verwüstetes Gebiet mit nicht
viel mehr als zwei Millionen Einwohnern. Eine Gefahr für Europa liege
darin nicht. Wie die frühern Erwerbungen Rußlands in Finnland, Bessarabien
und Persien nur für die Vertheidigung, nicht für den Angriff von Werth seien,
so begünstige auch der Besitz des Herzogthums Warschau keineswegs eine krie¬
gerische Absicht auf Wien oder Berlin, dieses Land sei vielmehr als abgeschnitten
zu betrachten, sobald Oestreich und Preußen sich zum Kampfe mit Nußland ver¬
einigten. Die Herstellung des Namens Polen bedrohe die Nachbarn nicht; denn
-- der Kaiser sei erbötig, denselben ihre Besitzungen förmlich zu garantiren.
Die Nationalität aber, die er den Polen zurückgeben wolle, sei das sicherste
Mittel, ihre Unruhe zu beschwichtigen. Zum Schluß schlug die Note den
Ton der verkannten und schwergekränkten Tugend an und berief sich auf das
Urtheil der Völker Europas, welche den Kampf des Kaisers für die Freiheit
und seine Mäßigung gesehen hätten, und welche, wenn der Congreß der pol¬
nischen Frage wegen aufgelöst würde, nicht in Zweifel sein könnten, welche
Ursachen sich der Herstellung der Ruhe und der allgemeinen Wohlfahrt entgegen¬
gestellt hätten.

Noch mehr herrschte jenes Pathos verkannter Großmuth in dem Begleit¬
schreiben, in welchem der Kaiser in erster Person sprach. Es hieß da unter
Anderm: "die Welt, die meine Grundsätze seit dem Uebergang über die Weich¬
sel bis an die Seine gesehen hat, wird urtheilen, ob der Wunsch, eine Million
Unterthanen mehr zu erwerben oder mir ein Uebergewicht zu sichern, mich zu
beseelen oder irgend eine meiner Anstrengungen zu bestimmen vermocht hätte."
"Die Reinheit meiner Absichten macht mich stark, Mylord, die Pfeile des Mi߬
trauens werden mich nicht treffen; und wenn ich festhalte an der Ordnung der
Dinge, welche ich in Polen herstellen möchte, so geschieht es, weil ich im Ge¬
wissen die innige Ueberzeugung trage, daß ich damit noch mehr zum allgemei¬
nen Besten als zu meinem eignen Vortheil handle."

Daß diese Schriftstücke den allgemeinen Gang der Politik ändern würden,
sonnte der Kaiser kaum erwarten. Manches war mißglückt, nur Eines blieb
noch zu versuchen, die Verständigung mit Preußen. Friedrich Wilhelm, der die
von Knesebeck unterstützte Politik Hardenbergs bisher gutgeheißen, mußte un-


in der Voraussetzung, daß der europäische Friede auf der damals von Oestreich
vorgeschlagen Basis geschlossen werde. Seitdem aber habe der Krieg eine gänz¬
lich veränderte Weltlage und für Oestreich und Preußen andere Friedens¬
bedingungen, die Aussicht auf „unermeßliche Erwerbungen" herbeigeführt, und
so habe auch Rußland das Recht erlangt, eine weniger beschränkte Entschädigung
zu erhalten. Schon habe der Kaiser der Krone Preußen Danzig, den Oese'
reichern die Salzwerke von Wieliczka überlassen, auch der beste und bevölkertste
Landstrich des Herzogthums Warschau an dessen Grenze solle an Preußen ab¬
getreten werden. Was Rußland bliebe, sei ein verwüstetes Gebiet mit nicht
viel mehr als zwei Millionen Einwohnern. Eine Gefahr für Europa liege
darin nicht. Wie die frühern Erwerbungen Rußlands in Finnland, Bessarabien
und Persien nur für die Vertheidigung, nicht für den Angriff von Werth seien,
so begünstige auch der Besitz des Herzogthums Warschau keineswegs eine krie¬
gerische Absicht auf Wien oder Berlin, dieses Land sei vielmehr als abgeschnitten
zu betrachten, sobald Oestreich und Preußen sich zum Kampfe mit Nußland ver¬
einigten. Die Herstellung des Namens Polen bedrohe die Nachbarn nicht; denn
— der Kaiser sei erbötig, denselben ihre Besitzungen förmlich zu garantiren.
Die Nationalität aber, die er den Polen zurückgeben wolle, sei das sicherste
Mittel, ihre Unruhe zu beschwichtigen. Zum Schluß schlug die Note den
Ton der verkannten und schwergekränkten Tugend an und berief sich auf das
Urtheil der Völker Europas, welche den Kampf des Kaisers für die Freiheit
und seine Mäßigung gesehen hätten, und welche, wenn der Congreß der pol¬
nischen Frage wegen aufgelöst würde, nicht in Zweifel sein könnten, welche
Ursachen sich der Herstellung der Ruhe und der allgemeinen Wohlfahrt entgegen¬
gestellt hätten.

Noch mehr herrschte jenes Pathos verkannter Großmuth in dem Begleit¬
schreiben, in welchem der Kaiser in erster Person sprach. Es hieß da unter
Anderm: „die Welt, die meine Grundsätze seit dem Uebergang über die Weich¬
sel bis an die Seine gesehen hat, wird urtheilen, ob der Wunsch, eine Million
Unterthanen mehr zu erwerben oder mir ein Uebergewicht zu sichern, mich zu
beseelen oder irgend eine meiner Anstrengungen zu bestimmen vermocht hätte."
„Die Reinheit meiner Absichten macht mich stark, Mylord, die Pfeile des Mi߬
trauens werden mich nicht treffen; und wenn ich festhalte an der Ordnung der
Dinge, welche ich in Polen herstellen möchte, so geschieht es, weil ich im Ge¬
wissen die innige Ueberzeugung trage, daß ich damit noch mehr zum allgemei¬
nen Besten als zu meinem eignen Vortheil handle."

Daß diese Schriftstücke den allgemeinen Gang der Politik ändern würden,
sonnte der Kaiser kaum erwarten. Manches war mißglückt, nur Eines blieb
noch zu versuchen, die Verständigung mit Preußen. Friedrich Wilhelm, der die
von Knesebeck unterstützte Politik Hardenbergs bisher gutgeheißen, mußte un-


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[0104] in der Voraussetzung, daß der europäische Friede auf der damals von Oestreich vorgeschlagen Basis geschlossen werde. Seitdem aber habe der Krieg eine gänz¬ lich veränderte Weltlage und für Oestreich und Preußen andere Friedens¬ bedingungen, die Aussicht auf „unermeßliche Erwerbungen" herbeigeführt, und so habe auch Rußland das Recht erlangt, eine weniger beschränkte Entschädigung zu erhalten. Schon habe der Kaiser der Krone Preußen Danzig, den Oese' reichern die Salzwerke von Wieliczka überlassen, auch der beste und bevölkertste Landstrich des Herzogthums Warschau an dessen Grenze solle an Preußen ab¬ getreten werden. Was Rußland bliebe, sei ein verwüstetes Gebiet mit nicht viel mehr als zwei Millionen Einwohnern. Eine Gefahr für Europa liege darin nicht. Wie die frühern Erwerbungen Rußlands in Finnland, Bessarabien und Persien nur für die Vertheidigung, nicht für den Angriff von Werth seien, so begünstige auch der Besitz des Herzogthums Warschau keineswegs eine krie¬ gerische Absicht auf Wien oder Berlin, dieses Land sei vielmehr als abgeschnitten zu betrachten, sobald Oestreich und Preußen sich zum Kampfe mit Nußland ver¬ einigten. Die Herstellung des Namens Polen bedrohe die Nachbarn nicht; denn — der Kaiser sei erbötig, denselben ihre Besitzungen förmlich zu garantiren. Die Nationalität aber, die er den Polen zurückgeben wolle, sei das sicherste Mittel, ihre Unruhe zu beschwichtigen. Zum Schluß schlug die Note den Ton der verkannten und schwergekränkten Tugend an und berief sich auf das Urtheil der Völker Europas, welche den Kampf des Kaisers für die Freiheit und seine Mäßigung gesehen hätten, und welche, wenn der Congreß der pol¬ nischen Frage wegen aufgelöst würde, nicht in Zweifel sein könnten, welche Ursachen sich der Herstellung der Ruhe und der allgemeinen Wohlfahrt entgegen¬ gestellt hätten. Noch mehr herrschte jenes Pathos verkannter Großmuth in dem Begleit¬ schreiben, in welchem der Kaiser in erster Person sprach. Es hieß da unter Anderm: „die Welt, die meine Grundsätze seit dem Uebergang über die Weich¬ sel bis an die Seine gesehen hat, wird urtheilen, ob der Wunsch, eine Million Unterthanen mehr zu erwerben oder mir ein Uebergewicht zu sichern, mich zu beseelen oder irgend eine meiner Anstrengungen zu bestimmen vermocht hätte." „Die Reinheit meiner Absichten macht mich stark, Mylord, die Pfeile des Mi߬ trauens werden mich nicht treffen; und wenn ich festhalte an der Ordnung der Dinge, welche ich in Polen herstellen möchte, so geschieht es, weil ich im Ge¬ wissen die innige Ueberzeugung trage, daß ich damit noch mehr zum allgemei¬ nen Besten als zu meinem eignen Vortheil handle." Daß diese Schriftstücke den allgemeinen Gang der Politik ändern würden, sonnte der Kaiser kaum erwarten. Manches war mißglückt, nur Eines blieb noch zu versuchen, die Verständigung mit Preußen. Friedrich Wilhelm, der die von Knesebeck unterstützte Politik Hardenbergs bisher gutgeheißen, mußte un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/104>, abgerufen am 15.01.2025.