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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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zu. Aber auch zu diesen sorgfältig verclausulirten Verheißungen war die öst¬
reichische Regierung nur dadurch veranlaßt worden, daß ein Versuch bei Kaiser
Alexander, denselben durch das Versprechen der Nachgiebigkeit in'der polnischen
Frage zur Wegdrängung Preußens aus Sachsen zu gewinnen, gescheitert war.

Die Lösung des Räthsels, wie man glauben konnte, auf diesen gewunde¬
nen Wegen zu einem Erfolg nach beiden Seiten hin. nach Sachsen und Polen
zugleich zu gelangen, möchte wohl darin zu finden sein. daß die Maßnahmen
Oestreichs nicht in allen Stucken durch folgerichtige und weitsehende Berechnung
bestimmt, sondern zum Theil das Ergebniß eines unsicheren Schwankens wa¬
ren. Bezeichnend dafür ist. daß Metternich gegen den Grafen Schulenburg,
den Vertreter des Königs von Sachsen, äußerte, "er verschanze sich hinter der
Zeit und mache eine Waffe aus der Geduld." Er wollte offenbar, wie Micaw-
ber. abwarten, ob sich was Nutzbares begebe, ohne genau zu wissen was.
Und im Uebrigen war ihm ja nichts in der Politik Herzenssache. Weit mehr
als die Angelegenheiten der Welt interessirte ihn, wie Gentz meldet, die "un¬
glückliche Liaison der schönen Ungetreuen" der Herzogin von Sagan, die sich
damals gerade von ihm abgewandt hatte, um sich Windischgrätz zuzuwenden.

Da Rußlands Antwort auf Castlereaghs energische Note ziemlich lange
auf sich warten ließ, so fanden über das. was weiter zu thun sein möchte,
zwischen den drei Vertretern Englands, Preußens und Oestreichs besondere
Verathungen statt, bei welchen Castlereagh erklärte. Oestreich und Preußen
müßten sich jetzt über das Mindeste vereinigen, womit sie sich hinsichtlich Po¬
lens begnügen könnten. Als dieses Minimum bezeichnete er die Herstellung
eines von Rußland unabhängigen Polenreichs in den Grenzen, die es vor,
oder auch in denen, die es nach der ersten Theilung gehabt (offenbar die reinste Un¬
möglichkeit) oder eine Theilung des Herzogthums Warschau, welche die Weichsel
zu Rußlands Grenze machte. Weigere sich Alexander, eine dieser Propvsttionen
anzunehmen, so solle man die Sache dem Congresse zur Entscheidung vorlegen.

Metternich und Hardenberg vereinigten sich, die Vermittelung in der pol¬
nischen Angelegenheit dem Lord Castlereagh als dem Vertreter der nicht un¬
mittelbar betheiligten Macht, aufzutragen. Dann ging man im östreichischen
Cabinet daran, das Minimum, welches man in Betreff Polens von Rußland
verlangen wollte, festzustellen, und zwar geschah dies in einem eigens dazu be¬
rufenen "Rathe", zu dessen Mitgliedern außer Metternich noch der Feldmarschall
Schwarzenberg und der Graf Stadion ernannt wurden. Die Beschlüsse dieses
Rathes waren ein höchst seltsames Gemisch der beiden Alternativen Castlereaghs:
man wolle, hieß es, darein willigen, daß Polen unter russischer Hoheit seine
Verfassung von 1772 oder auch die von 1791 wieder erhalte, aber zugleich
verlangen, daß die Weichsel die Grenze dieses neuen Reiches werde. Die
eigentliche Absicht hierbei war natürlich, Preußen aus den Besitz der pol-


zu. Aber auch zu diesen sorgfältig verclausulirten Verheißungen war die öst¬
reichische Regierung nur dadurch veranlaßt worden, daß ein Versuch bei Kaiser
Alexander, denselben durch das Versprechen der Nachgiebigkeit in'der polnischen
Frage zur Wegdrängung Preußens aus Sachsen zu gewinnen, gescheitert war.

Die Lösung des Räthsels, wie man glauben konnte, auf diesen gewunde¬
nen Wegen zu einem Erfolg nach beiden Seiten hin. nach Sachsen und Polen
zugleich zu gelangen, möchte wohl darin zu finden sein. daß die Maßnahmen
Oestreichs nicht in allen Stucken durch folgerichtige und weitsehende Berechnung
bestimmt, sondern zum Theil das Ergebniß eines unsicheren Schwankens wa¬
ren. Bezeichnend dafür ist. daß Metternich gegen den Grafen Schulenburg,
den Vertreter des Königs von Sachsen, äußerte, „er verschanze sich hinter der
Zeit und mache eine Waffe aus der Geduld." Er wollte offenbar, wie Micaw-
ber. abwarten, ob sich was Nutzbares begebe, ohne genau zu wissen was.
Und im Uebrigen war ihm ja nichts in der Politik Herzenssache. Weit mehr
als die Angelegenheiten der Welt interessirte ihn, wie Gentz meldet, die „un¬
glückliche Liaison der schönen Ungetreuen" der Herzogin von Sagan, die sich
damals gerade von ihm abgewandt hatte, um sich Windischgrätz zuzuwenden.

Da Rußlands Antwort auf Castlereaghs energische Note ziemlich lange
auf sich warten ließ, so fanden über das. was weiter zu thun sein möchte,
zwischen den drei Vertretern Englands, Preußens und Oestreichs besondere
Verathungen statt, bei welchen Castlereagh erklärte. Oestreich und Preußen
müßten sich jetzt über das Mindeste vereinigen, womit sie sich hinsichtlich Po¬
lens begnügen könnten. Als dieses Minimum bezeichnete er die Herstellung
eines von Rußland unabhängigen Polenreichs in den Grenzen, die es vor,
oder auch in denen, die es nach der ersten Theilung gehabt (offenbar die reinste Un¬
möglichkeit) oder eine Theilung des Herzogthums Warschau, welche die Weichsel
zu Rußlands Grenze machte. Weigere sich Alexander, eine dieser Propvsttionen
anzunehmen, so solle man die Sache dem Congresse zur Entscheidung vorlegen.

Metternich und Hardenberg vereinigten sich, die Vermittelung in der pol¬
nischen Angelegenheit dem Lord Castlereagh als dem Vertreter der nicht un¬
mittelbar betheiligten Macht, aufzutragen. Dann ging man im östreichischen
Cabinet daran, das Minimum, welches man in Betreff Polens von Rußland
verlangen wollte, festzustellen, und zwar geschah dies in einem eigens dazu be¬
rufenen „Rathe", zu dessen Mitgliedern außer Metternich noch der Feldmarschall
Schwarzenberg und der Graf Stadion ernannt wurden. Die Beschlüsse dieses
Rathes waren ein höchst seltsames Gemisch der beiden Alternativen Castlereaghs:
man wolle, hieß es, darein willigen, daß Polen unter russischer Hoheit seine
Verfassung von 1772 oder auch die von 1791 wieder erhalte, aber zugleich
verlangen, daß die Weichsel die Grenze dieses neuen Reiches werde. Die
eigentliche Absicht hierbei war natürlich, Preußen aus den Besitz der pol-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/101>, abgerufen am 15.01.2025.