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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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nige, Daniel Hachassid, ist zugleich Rabbiner, ein Riese von Gestalt, aber mild
von Gemüth. Sein Bethaus ist so reich ausgestattet, daß es alle Schätze der
Mohammedaner und Christen übertrifft, sein Palast voll Perlen und Edelsteine.
Er besitzt einen ungeheuern Karfunkel, mit dem er jeden Sabbat, weil die Ju¬
den dann kein Feuer anzünden dürfen, sein Schloß beleuchtet. Sein Land hat
pechschwarzen üppigen Boden, in welchem Weizen und Oel gedeihen." ,

Wir bemerken hierzu Folgendes: Diese Erzählung ist eine Mosaik aus
allerlei ältern und neuern Fabeln, einigen mißverstandenen Thatsachen und viel
tendenziöser Zuthat, die bei jüdischen Sagen niemals fehlt. Der Kern der¬
selben scheint im 4. Buch Esra, Cap. 13, 41 ff. zu suchen, wo erzählt wird, daß
die von Salmanassar weggeführten Juden über den von Gott ihretwegen im
Strömen gehemmten Euphrat gezogen und nach anderthalbjähriger Wanderung
in das Land Arzareth.gelangt seien, wo sie noch wohnten, daran reiht sich
die mittelalterliche Sage Vom Priester Johannes, der hier in ein Land Prister-
Jan verwandelt ist. Veranlassung zu dieser Sage gab vermuthlich das tata¬
rische- Fürstengeschlecht der Wang-Chan, welches durch die sehr weit nach Ostasien
vorgedrungnen Nestorianer zu Anfang des elften Jahrhunderts zum Christen¬
thum bekehrt und dann im Abenolande zu einer mythischen Person wurde, in
-der man ein Ideal der vereinigten priesterlichen und königlichen Gewalt als
eine Ueberbietung des Papstthums bewunderte. Die Wang-Chan (jedenfalls
eine falsche Bezeichnung, da Wang und Chan beides Fürst bedeutet) herrschten
über den Stamm der Mcrditcn, und gingen durch Dschingiskhan, der aus dem
verwandten Stamm der Männer entsprossen, unter. Im 15. Jcchrbundert
lebte die immer mehr verblaßte Sage infolge von Entdeckungsreisen wieder auf.
Indeß verlegte man jetzt den Sitz jenes Pricsterkönigs nach Indien, we>l sich
inzwischen herausgestellt hatte, daß ein solcher in Hochasien nicht mehr existirte.
Namentlich die Portugiesen forschten eifrig nach dem "l^Wte -lo-ro'". Unter
Anderm wurde, als sie durch eine Gesandtschaft des Negerstaats Benin erfah¬
ren hatten, daß zwanzig Monatsreisen hinter diesem ein mächtiger chrlstircher
König Namens Ogan6 (das verstümmelte Johannes) herrsche, 1486 unter
Bartolommeo Diaz eine Expedition ausgerüstet, um an der afrikanischen West¬
küste Erkundigungen einzuziehen, während Per" de Covilha über Aegypten nach
der Ostküste Afrikas vorzudringen suchte, um Gewißheit zu erlangen, ob das
Reich des Priesters Johannes etwa hier sei und ob es mit Indien zusammen¬
hänge. Covilha traf in Habesch wirklich einen christlichen Staat und als Ober¬
haupt desselben wirklich einen Fürsten/der zugleich die höchste Gewalt über die
Kirche ausübte*), womit die Sage endlich in gewissem Maß ihre Verwirklichung



") Wie weit dies ging, sehen wir daraus, das, ein Ncgusch (Kaiser) von Habesch einst
einem Aliuna (obersten Geistlichen, Patriarchen), der ihm in geistlichen Dingen den Gehorsam

nige, Daniel Hachassid, ist zugleich Rabbiner, ein Riese von Gestalt, aber mild
von Gemüth. Sein Bethaus ist so reich ausgestattet, daß es alle Schätze der
Mohammedaner und Christen übertrifft, sein Palast voll Perlen und Edelsteine.
Er besitzt einen ungeheuern Karfunkel, mit dem er jeden Sabbat, weil die Ju¬
den dann kein Feuer anzünden dürfen, sein Schloß beleuchtet. Sein Land hat
pechschwarzen üppigen Boden, in welchem Weizen und Oel gedeihen." ,

Wir bemerken hierzu Folgendes: Diese Erzählung ist eine Mosaik aus
allerlei ältern und neuern Fabeln, einigen mißverstandenen Thatsachen und viel
tendenziöser Zuthat, die bei jüdischen Sagen niemals fehlt. Der Kern der¬
selben scheint im 4. Buch Esra, Cap. 13, 41 ff. zu suchen, wo erzählt wird, daß
die von Salmanassar weggeführten Juden über den von Gott ihretwegen im
Strömen gehemmten Euphrat gezogen und nach anderthalbjähriger Wanderung
in das Land Arzareth.gelangt seien, wo sie noch wohnten, daran reiht sich
die mittelalterliche Sage Vom Priester Johannes, der hier in ein Land Prister-
Jan verwandelt ist. Veranlassung zu dieser Sage gab vermuthlich das tata¬
rische- Fürstengeschlecht der Wang-Chan, welches durch die sehr weit nach Ostasien
vorgedrungnen Nestorianer zu Anfang des elften Jahrhunderts zum Christen¬
thum bekehrt und dann im Abenolande zu einer mythischen Person wurde, in
-der man ein Ideal der vereinigten priesterlichen und königlichen Gewalt als
eine Ueberbietung des Papstthums bewunderte. Die Wang-Chan (jedenfalls
eine falsche Bezeichnung, da Wang und Chan beides Fürst bedeutet) herrschten
über den Stamm der Mcrditcn, und gingen durch Dschingiskhan, der aus dem
verwandten Stamm der Männer entsprossen, unter. Im 15. Jcchrbundert
lebte die immer mehr verblaßte Sage infolge von Entdeckungsreisen wieder auf.
Indeß verlegte man jetzt den Sitz jenes Pricsterkönigs nach Indien, we>l sich
inzwischen herausgestellt hatte, daß ein solcher in Hochasien nicht mehr existirte.
Namentlich die Portugiesen forschten eifrig nach dem „l^Wte -lo-ro'«. Unter
Anderm wurde, als sie durch eine Gesandtschaft des Negerstaats Benin erfah¬
ren hatten, daß zwanzig Monatsreisen hinter diesem ein mächtiger chrlstircher
König Namens Ogan6 (das verstümmelte Johannes) herrsche, 1486 unter
Bartolommeo Diaz eine Expedition ausgerüstet, um an der afrikanischen West¬
küste Erkundigungen einzuziehen, während Per» de Covilha über Aegypten nach
der Ostküste Afrikas vorzudringen suchte, um Gewißheit zu erlangen, ob das
Reich des Priesters Johannes etwa hier sei und ob es mit Indien zusammen¬
hänge. Covilha traf in Habesch wirklich einen christlichen Staat und als Ober¬
haupt desselben wirklich einen Fürsten/der zugleich die höchste Gewalt über die
Kirche ausübte*), womit die Sage endlich in gewissem Maß ihre Verwirklichung



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einem Aliuna (obersten Geistlichen, Patriarchen), der ihm in geistlichen Dingen den Gehorsam
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/79>, abgerufen am 28.07.2024.