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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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lvnien zurückgebliebenen Niederlassungen' sich nicht nur großentheils erhielten,
sondern ihrerseits ebenfalls Züge von Emigranten und zwar bis in das ferne
Hochasien ausgehen ließen. In Aegypten wohnten zur Zeit Jesu fast eine
Million Juden, die in Heliopolis einen eignen Tempel hatten, die in Alexan¬
dria den dritten Theil der Einwohnerschaft bildeten und von deren Handels-
expeditionen nach dem fernen Osten vermuthlich die Zudcncvlonien herrühren,
welche wir schon ein Jahrhundert vor Christus in China antreffen. In Nord¬
syrien saßen sie besondes stark in Antiochia. In Arabien fand nach der letzten
Zerstörung Jerusalems .eine starke Einwanderung von Juden statt, durch deren
Einfluß später der Mvscnsmus in U^nen Staatsreligion wurde. Massen von
ihnen hatten sich ferner in den Hauptstädten des westlichen Kleinasiens, in
Ephesus, Milet, Lavdicea und Halikarnaß, in den Pontusländern, in Thracien,
Makedonien und Jllyrien, aus den Inseln zwischen Europa und Asien, nament¬
lich auf Kreta und. Cypern, Euböa, Delos und Kos angesiedelt. Im eigent¬
lichen Griechenland zogen sie besonders gut gelegene Handelsstädte wie Korinth
an. In Rom sammelten sie sich seit der Zeit des Pompejus bis zur Zahl von
achttausend Seelen an, und von hier aus wieder gründeten sie Niederlassungen
in Gallien und Hispanien. während sie sich vom Nillande aus nach den Orten
der Pentapolis verbreiteten. Im vierten Jahrhundert gab es jüdische Gemein¬
den sogar in einigen Städten am Rhein, und im Mittelalter drangen sie allent¬
halben in Mitteleuropa und im Osten bis über die Weichsel hinaus vor.

Am wenigsten ungünstig waren die Juden'während des Mittelalters in den
Ländern gestellt, weiche der Islam sich unterworfen. So mit geringen Unter¬
brechungen in Aegypten. Marokko und Südspanien. Trauriger war ihr Schicksal in
den meisten christlichen Ländern. Im oströmischen Reiche trieb sie im achten Jahr¬
hundert eine Verfolgung großentheils in das Land der Chazarcn an der Wolga.
Im christlichen Spanien genossen sie bis. in die zweite Hälfte des-vierzehnten
Jahrhunderts werthvolle Rechte; dann aber brachen Verfolgungen grausamster
Art über sie herein, und t492 trieb Ferdinands fromme Wuth alle Juden aus
dem Lande. In der Zahl von mehr als.300,000 wanderten dieselben damals
über die Grenzen, um sich in Portugal, Nordafrika, der Provence und Italien
ein Asyl zu suchen. Aus Portugal wurden sie im Jahre 1493 durch König
Emanuel verwiesen. In Italien blieben sie ,in den meisten Orten bis auf
einige schlimme Jahre unbehelligt, doch mußten sie auch hier in der späteren
Zeit Abzeichen an den Kleidern tragen und in besondern Quartieren beisammen
wohnen. In Frankreich waren sie bis zu Ende des neunten Jahrhunderts gut
gestellt, indem sie sogar Grundbesitz erwerben durften; später aber und beson¬
ders in der Zeit der Kreuzzüge wurden sie von den Fürsten hart gedrückt und
vom Volk wiederholt wegen Brunnenvergiftung, Durchstechung von Hostien
und Schlachten von Christenkindern durch blutige Ueberfälle geschädigt. Durch


lvnien zurückgebliebenen Niederlassungen' sich nicht nur großentheils erhielten,
sondern ihrerseits ebenfalls Züge von Emigranten und zwar bis in das ferne
Hochasien ausgehen ließen. In Aegypten wohnten zur Zeit Jesu fast eine
Million Juden, die in Heliopolis einen eignen Tempel hatten, die in Alexan¬
dria den dritten Theil der Einwohnerschaft bildeten und von deren Handels-
expeditionen nach dem fernen Osten vermuthlich die Zudcncvlonien herrühren,
welche wir schon ein Jahrhundert vor Christus in China antreffen. In Nord¬
syrien saßen sie besondes stark in Antiochia. In Arabien fand nach der letzten
Zerstörung Jerusalems .eine starke Einwanderung von Juden statt, durch deren
Einfluß später der Mvscnsmus in U^nen Staatsreligion wurde. Massen von
ihnen hatten sich ferner in den Hauptstädten des westlichen Kleinasiens, in
Ephesus, Milet, Lavdicea und Halikarnaß, in den Pontusländern, in Thracien,
Makedonien und Jllyrien, aus den Inseln zwischen Europa und Asien, nament¬
lich auf Kreta und. Cypern, Euböa, Delos und Kos angesiedelt. Im eigent¬
lichen Griechenland zogen sie besonders gut gelegene Handelsstädte wie Korinth
an. In Rom sammelten sie sich seit der Zeit des Pompejus bis zur Zahl von
achttausend Seelen an, und von hier aus wieder gründeten sie Niederlassungen
in Gallien und Hispanien. während sie sich vom Nillande aus nach den Orten
der Pentapolis verbreiteten. Im vierten Jahrhundert gab es jüdische Gemein¬
den sogar in einigen Städten am Rhein, und im Mittelalter drangen sie allent¬
halben in Mitteleuropa und im Osten bis über die Weichsel hinaus vor.

Am wenigsten ungünstig waren die Juden'während des Mittelalters in den
Ländern gestellt, weiche der Islam sich unterworfen. So mit geringen Unter¬
brechungen in Aegypten. Marokko und Südspanien. Trauriger war ihr Schicksal in
den meisten christlichen Ländern. Im oströmischen Reiche trieb sie im achten Jahr¬
hundert eine Verfolgung großentheils in das Land der Chazarcn an der Wolga.
Im christlichen Spanien genossen sie bis. in die zweite Hälfte des-vierzehnten
Jahrhunderts werthvolle Rechte; dann aber brachen Verfolgungen grausamster
Art über sie herein, und t492 trieb Ferdinands fromme Wuth alle Juden aus
dem Lande. In der Zahl von mehr als.300,000 wanderten dieselben damals
über die Grenzen, um sich in Portugal, Nordafrika, der Provence und Italien
ein Asyl zu suchen. Aus Portugal wurden sie im Jahre 1493 durch König
Emanuel verwiesen. In Italien blieben sie ,in den meisten Orten bis auf
einige schlimme Jahre unbehelligt, doch mußten sie auch hier in der späteren
Zeit Abzeichen an den Kleidern tragen und in besondern Quartieren beisammen
wohnen. In Frankreich waren sie bis zu Ende des neunten Jahrhunderts gut
gestellt, indem sie sogar Grundbesitz erwerben durften; später aber und beson¬
ders in der Zeit der Kreuzzüge wurden sie von den Fürsten hart gedrückt und
vom Volk wiederholt wegen Brunnenvergiftung, Durchstechung von Hostien
und Schlachten von Christenkindern durch blutige Ueberfälle geschädigt. Durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/70>, abgerufen am 01.09.2024.