Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

des Lebensgenusses, der im Leben that, was sein Lied besang, der den Becher
der Lust bis zur Hefe leerte und dennoch kein weichlicher Wollüstling wurde,
sondern ein frischer Mensch blieb, abgehärteten Leibes, nach der mannhaften
Weise seines großen Volks, ein sichrer Schütze, ein gewandter Reiter, ein küh¬
ner Schwimmer. Mochten Andere sein Lied schelten, wenn es zu rücksichtslos
die Ordnung der Gesellschaft bekämpfte, er durfte solche Lieder wagen, der
stolze, unabhängige Edelmann, der dem alten Europa den Frieden aufgesagt
und durch Thaten seinen Versen eine dramatische Wahrheit gab.

Erst diese glänzende Persönlichkeit des Dichters hat seinen Werken die
volle Wirkung gesichert, doch eben sie hat es auch verschuldet, daß diese Wir-
kung eine sehr gemischte war. Einem ganzen Dichtergeschlcchte ward durch
das blendende Vorbild dieses wunderbaren Menschen der gerade Sinn beirrt.
Nehmt aus dem Bilde Lord Byrons nur einen Charakterzug, nur ein äußeres
Lcbcnsvcrhältniß hinweg, und die prachtvolle Erscheinung wird zur Fratze.
Nun aber begann das Nachahmen des Unnachahmlichen, des Höchstpersönlichen.
Jeder dumme Junge, der zum ersten Male ein Mädchen geküßt, meinte sich
berechtigt, von der Schwachheit der Weiber mit derselben frechen Sicherheit zu
reden wie der Dichter des Don Juan. Die langweiligsten aller langweiligen
Gesellen plauderten mit byronischer Selbstgefälligkeit ihre kleinen Geheimnisse
vor der Welt aus, als ob es Europa interessiren könnte, wie oft Herr Niemand
von Fräulein Niemand zu einem Stelldichein gerufen wurde. Aus ihren Kam¬
mern heraus redeten deutsche und französische Literaten von den Lastern der
großen Welt mit der gleichen Zuversicht wie jener, der auf den Höhen der
Gesellschaft heimisch war. Kurz, mit der subjectiv erregten Stimmung, die
Byron in die moderne Dichtung einführte, kam auch das Laster des koketten
Zurschaustellens der eigenen Person, das sich höchstens einem Byron, und auch
ihm nicht gänzlich verzeihen ließ. Wer ganz ermessen will, wie stark dieser
verführerische Einfluß der Person Lord Byrons auf das jüngere Dichtergcschlecht
gewesen, der beachte die seltsame Thatsache, daß gerade die Gcringbegabten
unter den jungdeutschen Schriftstellern oftmals mit Bitterkeit von Byron
sprachen, dem sie doch so viel verdankten. Es klingt aus diesem gehässigen
Tone der geheime Aerger hervor, daß die Sünden des englischen Dichters durch
eine Fülle von Umständen entschuldigt wurden, die den Verirrungen seiner
Nachfolger nicht mehr schützend zur Seite standen.

Nach Alledem schweben die Schalen des Urtheils in gleicher Höhe. Sehr
tief, tiefer als die Engländer noch heute zugestehen wollen, hat Lord Byron
eingewirkt auf die Ideen der modernen Welt, doch der Fluch seines Thuns
war ebenso groß, als sein Segen. Er vollbrachte das Nothwendige, das Heil¬
same, als er die erstarrte europäische Literatur erweckte, ihr einen revolutionären,
modernen Geist einhauchte, aber auf Jahrzehnte hinaus hat er geholfen die


des Lebensgenusses, der im Leben that, was sein Lied besang, der den Becher
der Lust bis zur Hefe leerte und dennoch kein weichlicher Wollüstling wurde,
sondern ein frischer Mensch blieb, abgehärteten Leibes, nach der mannhaften
Weise seines großen Volks, ein sichrer Schütze, ein gewandter Reiter, ein küh¬
ner Schwimmer. Mochten Andere sein Lied schelten, wenn es zu rücksichtslos
die Ordnung der Gesellschaft bekämpfte, er durfte solche Lieder wagen, der
stolze, unabhängige Edelmann, der dem alten Europa den Frieden aufgesagt
und durch Thaten seinen Versen eine dramatische Wahrheit gab.

Erst diese glänzende Persönlichkeit des Dichters hat seinen Werken die
volle Wirkung gesichert, doch eben sie hat es auch verschuldet, daß diese Wir-
kung eine sehr gemischte war. Einem ganzen Dichtergeschlcchte ward durch
das blendende Vorbild dieses wunderbaren Menschen der gerade Sinn beirrt.
Nehmt aus dem Bilde Lord Byrons nur einen Charakterzug, nur ein äußeres
Lcbcnsvcrhältniß hinweg, und die prachtvolle Erscheinung wird zur Fratze.
Nun aber begann das Nachahmen des Unnachahmlichen, des Höchstpersönlichen.
Jeder dumme Junge, der zum ersten Male ein Mädchen geküßt, meinte sich
berechtigt, von der Schwachheit der Weiber mit derselben frechen Sicherheit zu
reden wie der Dichter des Don Juan. Die langweiligsten aller langweiligen
Gesellen plauderten mit byronischer Selbstgefälligkeit ihre kleinen Geheimnisse
vor der Welt aus, als ob es Europa interessiren könnte, wie oft Herr Niemand
von Fräulein Niemand zu einem Stelldichein gerufen wurde. Aus ihren Kam¬
mern heraus redeten deutsche und französische Literaten von den Lastern der
großen Welt mit der gleichen Zuversicht wie jener, der auf den Höhen der
Gesellschaft heimisch war. Kurz, mit der subjectiv erregten Stimmung, die
Byron in die moderne Dichtung einführte, kam auch das Laster des koketten
Zurschaustellens der eigenen Person, das sich höchstens einem Byron, und auch
ihm nicht gänzlich verzeihen ließ. Wer ganz ermessen will, wie stark dieser
verführerische Einfluß der Person Lord Byrons auf das jüngere Dichtergcschlecht
gewesen, der beachte die seltsame Thatsache, daß gerade die Gcringbegabten
unter den jungdeutschen Schriftstellern oftmals mit Bitterkeit von Byron
sprachen, dem sie doch so viel verdankten. Es klingt aus diesem gehässigen
Tone der geheime Aerger hervor, daß die Sünden des englischen Dichters durch
eine Fülle von Umständen entschuldigt wurden, die den Verirrungen seiner
Nachfolger nicht mehr schützend zur Seite standen.

Nach Alledem schweben die Schalen des Urtheils in gleicher Höhe. Sehr
tief, tiefer als die Engländer noch heute zugestehen wollen, hat Lord Byron
eingewirkt auf die Ideen der modernen Welt, doch der Fluch seines Thuns
war ebenso groß, als sein Segen. Er vollbrachte das Nothwendige, das Heil¬
same, als er die erstarrte europäische Literatur erweckte, ihr einen revolutionären,
modernen Geist einhauchte, aber auf Jahrzehnte hinaus hat er geholfen die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0068" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115462"/>
            <p xml:id="ID_182" prev="#ID_181"> des Lebensgenusses, der im Leben that, was sein Lied besang, der den Becher<lb/>
der Lust bis zur Hefe leerte und dennoch kein weichlicher Wollüstling wurde,<lb/>
sondern ein frischer Mensch blieb, abgehärteten Leibes, nach der mannhaften<lb/>
Weise seines großen Volks, ein sichrer Schütze, ein gewandter Reiter, ein küh¬<lb/>
ner Schwimmer. Mochten Andere sein Lied schelten, wenn es zu rücksichtslos<lb/>
die Ordnung der Gesellschaft bekämpfte, er durfte solche Lieder wagen, der<lb/>
stolze, unabhängige Edelmann, der dem alten Europa den Frieden aufgesagt<lb/>
und durch Thaten seinen Versen eine dramatische Wahrheit gab.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_183"> Erst diese glänzende Persönlichkeit des Dichters hat seinen Werken die<lb/>
volle Wirkung gesichert, doch eben sie hat es auch verschuldet, daß diese Wir-<lb/>
kung eine sehr gemischte war. Einem ganzen Dichtergeschlcchte ward durch<lb/>
das blendende Vorbild dieses wunderbaren Menschen der gerade Sinn beirrt.<lb/>
Nehmt aus dem Bilde Lord Byrons nur einen Charakterzug, nur ein äußeres<lb/>
Lcbcnsvcrhältniß hinweg, und die prachtvolle Erscheinung wird zur Fratze.<lb/>
Nun aber begann das Nachahmen des Unnachahmlichen, des Höchstpersönlichen.<lb/>
Jeder dumme Junge, der zum ersten Male ein Mädchen geküßt, meinte sich<lb/>
berechtigt, von der Schwachheit der Weiber mit derselben frechen Sicherheit zu<lb/>
reden wie der Dichter des Don Juan. Die langweiligsten aller langweiligen<lb/>
Gesellen plauderten mit byronischer Selbstgefälligkeit ihre kleinen Geheimnisse<lb/>
vor der Welt aus, als ob es Europa interessiren könnte, wie oft Herr Niemand<lb/>
von Fräulein Niemand zu einem Stelldichein gerufen wurde. Aus ihren Kam¬<lb/>
mern heraus redeten deutsche und französische Literaten von den Lastern der<lb/>
großen Welt mit der gleichen Zuversicht wie jener, der auf den Höhen der<lb/>
Gesellschaft heimisch war. Kurz, mit der subjectiv erregten Stimmung, die<lb/>
Byron in die moderne Dichtung einführte, kam auch das Laster des koketten<lb/>
Zurschaustellens der eigenen Person, das sich höchstens einem Byron, und auch<lb/>
ihm nicht gänzlich verzeihen ließ. Wer ganz ermessen will, wie stark dieser<lb/>
verführerische Einfluß der Person Lord Byrons auf das jüngere Dichtergcschlecht<lb/>
gewesen, der beachte die seltsame Thatsache, daß gerade die Gcringbegabten<lb/>
unter den jungdeutschen Schriftstellern oftmals mit Bitterkeit von Byron<lb/>
sprachen, dem sie doch so viel verdankten. Es klingt aus diesem gehässigen<lb/>
Tone der geheime Aerger hervor, daß die Sünden des englischen Dichters durch<lb/>
eine Fülle von Umständen entschuldigt wurden, die den Verirrungen seiner<lb/>
Nachfolger nicht mehr schützend zur Seite standen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_184" next="#ID_185"> Nach Alledem schweben die Schalen des Urtheils in gleicher Höhe. Sehr<lb/>
tief, tiefer als die Engländer noch heute zugestehen wollen, hat Lord Byron<lb/>
eingewirkt auf die Ideen der modernen Welt, doch der Fluch seines Thuns<lb/>
war ebenso groß, als sein Segen. Er vollbrachte das Nothwendige, das Heil¬<lb/>
same, als er die erstarrte europäische Literatur erweckte, ihr einen revolutionären,<lb/>
modernen Geist einhauchte, aber auf Jahrzehnte hinaus hat er geholfen die</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0068] des Lebensgenusses, der im Leben that, was sein Lied besang, der den Becher der Lust bis zur Hefe leerte und dennoch kein weichlicher Wollüstling wurde, sondern ein frischer Mensch blieb, abgehärteten Leibes, nach der mannhaften Weise seines großen Volks, ein sichrer Schütze, ein gewandter Reiter, ein küh¬ ner Schwimmer. Mochten Andere sein Lied schelten, wenn es zu rücksichtslos die Ordnung der Gesellschaft bekämpfte, er durfte solche Lieder wagen, der stolze, unabhängige Edelmann, der dem alten Europa den Frieden aufgesagt und durch Thaten seinen Versen eine dramatische Wahrheit gab. Erst diese glänzende Persönlichkeit des Dichters hat seinen Werken die volle Wirkung gesichert, doch eben sie hat es auch verschuldet, daß diese Wir- kung eine sehr gemischte war. Einem ganzen Dichtergeschlcchte ward durch das blendende Vorbild dieses wunderbaren Menschen der gerade Sinn beirrt. Nehmt aus dem Bilde Lord Byrons nur einen Charakterzug, nur ein äußeres Lcbcnsvcrhältniß hinweg, und die prachtvolle Erscheinung wird zur Fratze. Nun aber begann das Nachahmen des Unnachahmlichen, des Höchstpersönlichen. Jeder dumme Junge, der zum ersten Male ein Mädchen geküßt, meinte sich berechtigt, von der Schwachheit der Weiber mit derselben frechen Sicherheit zu reden wie der Dichter des Don Juan. Die langweiligsten aller langweiligen Gesellen plauderten mit byronischer Selbstgefälligkeit ihre kleinen Geheimnisse vor der Welt aus, als ob es Europa interessiren könnte, wie oft Herr Niemand von Fräulein Niemand zu einem Stelldichein gerufen wurde. Aus ihren Kam¬ mern heraus redeten deutsche und französische Literaten von den Lastern der großen Welt mit der gleichen Zuversicht wie jener, der auf den Höhen der Gesellschaft heimisch war. Kurz, mit der subjectiv erregten Stimmung, die Byron in die moderne Dichtung einführte, kam auch das Laster des koketten Zurschaustellens der eigenen Person, das sich höchstens einem Byron, und auch ihm nicht gänzlich verzeihen ließ. Wer ganz ermessen will, wie stark dieser verführerische Einfluß der Person Lord Byrons auf das jüngere Dichtergcschlecht gewesen, der beachte die seltsame Thatsache, daß gerade die Gcringbegabten unter den jungdeutschen Schriftstellern oftmals mit Bitterkeit von Byron sprachen, dem sie doch so viel verdankten. Es klingt aus diesem gehässigen Tone der geheime Aerger hervor, daß die Sünden des englischen Dichters durch eine Fülle von Umständen entschuldigt wurden, die den Verirrungen seiner Nachfolger nicht mehr schützend zur Seite standen. Nach Alledem schweben die Schalen des Urtheils in gleicher Höhe. Sehr tief, tiefer als die Engländer noch heute zugestehen wollen, hat Lord Byron eingewirkt auf die Ideen der modernen Welt, doch der Fluch seines Thuns war ebenso groß, als sein Segen. Er vollbrachte das Nothwendige, das Heil¬ same, als er die erstarrte europäische Literatur erweckte, ihr einen revolutionären, modernen Geist einhauchte, aber auf Jahrzehnte hinaus hat er geholfen die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/68
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/68>, abgerufen am 27.07.2024.