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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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eine noch die andere der beiden Großmächte über sich anerkennen. Ob Oestreich
bereits ein ernsthaft gemeintes Reformproject formulirt hat, wir wissen es nicht;
davon aber sind wir überzeugt/ daß jede den Interessen Oestreichs entsprechende
Reform des Bundes zuerst den stillen und geheimen, bald aber auch den lauten
und offenen Widerstand der Würzburger Regierungen hervorrufen würde.

Auf keinem Gebiete aber tritt der rein negative Charakter der gemein¬
samen Bestrebungen Oestreichs und der Würzburger klarer hervor, als auf dem
der materiellen Interessen: auf keinem Gebiete aber auch droht der Fanatis¬
mus des Regieren" die Wohlfahrt Deutschlands so ernstlich zu gefädrden, als
auf diesem. Denn es läßt sich Wohl nickt bezweifeln, daß ein TKeil der Würz¬
burger Regierungen (erfreulich ist es wenigstens, daß nicht alle Mitglieder der
Koalition in dieser Angelegenheit ihre reellen Interessen einer destructiven Ten¬
denzpolitik aufzuopfern geneigt sind) seinen Widerstand gegen den preußisch¬
französischen Handelsvertrag fortsetzen wird, auf die Gefahr bin, den Zollverein
zu sprengen. Ja es ist wohl als sicher anzunehmen, daß nicht die Regierun¬
gen, wohl aber die Fanatiker der großdeutschen Partei, dem Eintritt dieses
Ereignisses mit einer gewissen Befriedigung entgegensehen, da ja in der That
der Zollverein der schärfste Protest gegen die Berechtigung und die Lebens¬
fähigkeit der großdeutschen Idee ist. Er ,se unter der Leitung Preußens, ohne
Oestreich, ja gegen den Wunsch Oestreichs zu Staude gekommen. Er ist das
Resultat einer freien Vereinbarung Preußens mit der Mehrzahl der übrigen
Staaten. Ein Fortvegetiren des Zollvereins auf den bisherigen Grundlagen
würde man sich haben gefallen lassen; aber die Entschiedenheit, mit der Preußen
kurz vor dem Ablauf der gegenwärtigen Zollvereinsperiodc den einzig möglichen
Weg einschlug, dem zu erneuerten Verein eine den gegenwärtigen wirthschaft¬
lichen Bedürfnissen entsprechende materielle Grundlage zu geben, erbitterte.
Die Erbitterung sprach sich um so leidenschaftlicher aus, da man Preußen in
keiner Weise begründete Vorwürfe machen konnte, als ob es seine Verbündeten
habe tyrannisiren wollen. Die Verfassung des Zollvereins ist der Art, daß sie
nur eine sprungweise Entwickelung der deutschen Handelspolitik zuläßt! jede
Erneuerung des Vereins nach Ablauf der vertragsmäßigen Dauer desselben,
während welcher die Entwickelung meist ruht, vollzieht sich auf Grund einer
erneuten Ausgleichung der Interessen. Die Handelspolitik Deutschlands schreitet
auf dem Wege periodischer Krisen fort. Hierin liegt aber die große Gefahr,
daß der Verein der völligen Stagnation verfällt. Denn die Partei des Fort¬
schrittes, obschon sie die bei weitem überwiegende ist, wird nur allzusehr ge¬
neigt sein, den Forderungen des engherzigsten Particularintercsses die ungebühr¬
lichsten Concessionen zu machen, um nur die Existenz des Vereins nicht zu
gefährden. So ist die Verfassung des Vereins, die einst nothwendig war, um
die Interessen der minder entwickelten Industrie gegen die der weiter fort-


eine noch die andere der beiden Großmächte über sich anerkennen. Ob Oestreich
bereits ein ernsthaft gemeintes Reformproject formulirt hat, wir wissen es nicht;
davon aber sind wir überzeugt/ daß jede den Interessen Oestreichs entsprechende
Reform des Bundes zuerst den stillen und geheimen, bald aber auch den lauten
und offenen Widerstand der Würzburger Regierungen hervorrufen würde.

Auf keinem Gebiete aber tritt der rein negative Charakter der gemein¬
samen Bestrebungen Oestreichs und der Würzburger klarer hervor, als auf dem
der materiellen Interessen: auf keinem Gebiete aber auch droht der Fanatis¬
mus des Regieren« die Wohlfahrt Deutschlands so ernstlich zu gefädrden, als
auf diesem. Denn es läßt sich Wohl nickt bezweifeln, daß ein TKeil der Würz¬
burger Regierungen (erfreulich ist es wenigstens, daß nicht alle Mitglieder der
Koalition in dieser Angelegenheit ihre reellen Interessen einer destructiven Ten¬
denzpolitik aufzuopfern geneigt sind) seinen Widerstand gegen den preußisch¬
französischen Handelsvertrag fortsetzen wird, auf die Gefahr bin, den Zollverein
zu sprengen. Ja es ist wohl als sicher anzunehmen, daß nicht die Regierun¬
gen, wohl aber die Fanatiker der großdeutschen Partei, dem Eintritt dieses
Ereignisses mit einer gewissen Befriedigung entgegensehen, da ja in der That
der Zollverein der schärfste Protest gegen die Berechtigung und die Lebens¬
fähigkeit der großdeutschen Idee ist. Er ,se unter der Leitung Preußens, ohne
Oestreich, ja gegen den Wunsch Oestreichs zu Staude gekommen. Er ist das
Resultat einer freien Vereinbarung Preußens mit der Mehrzahl der übrigen
Staaten. Ein Fortvegetiren des Zollvereins auf den bisherigen Grundlagen
würde man sich haben gefallen lassen; aber die Entschiedenheit, mit der Preußen
kurz vor dem Ablauf der gegenwärtigen Zollvereinsperiodc den einzig möglichen
Weg einschlug, dem zu erneuerten Verein eine den gegenwärtigen wirthschaft¬
lichen Bedürfnissen entsprechende materielle Grundlage zu geben, erbitterte.
Die Erbitterung sprach sich um so leidenschaftlicher aus, da man Preußen in
keiner Weise begründete Vorwürfe machen konnte, als ob es seine Verbündeten
habe tyrannisiren wollen. Die Verfassung des Zollvereins ist der Art, daß sie
nur eine sprungweise Entwickelung der deutschen Handelspolitik zuläßt! jede
Erneuerung des Vereins nach Ablauf der vertragsmäßigen Dauer desselben,
während welcher die Entwickelung meist ruht, vollzieht sich auf Grund einer
erneuten Ausgleichung der Interessen. Die Handelspolitik Deutschlands schreitet
auf dem Wege periodischer Krisen fort. Hierin liegt aber die große Gefahr,
daß der Verein der völligen Stagnation verfällt. Denn die Partei des Fort¬
schrittes, obschon sie die bei weitem überwiegende ist, wird nur allzusehr ge¬
neigt sein, den Forderungen des engherzigsten Particularintercsses die ungebühr¬
lichsten Concessionen zu machen, um nur die Existenz des Vereins nicht zu
gefährden. So ist die Verfassung des Vereins, die einst nothwendig war, um
die Interessen der minder entwickelten Industrie gegen die der weiter fort-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/56>, abgerufen am 01.09.2024.