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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Anschauung der Alten überhaupt aufzufassen/sondern nur nebenher gelesen
werden, um sich gewisse Formen der Rhetorik oder g,rs xoetiea einzu¬
prägen. Auf ähnliche Weise wird das Griechische betrieben, nur daß dabei
noch mehr Götzendienst mit den Aftergriechcn, den Kirchenvätern, Synesius
und Andern getrieben wird, um den Jünglingen ja die Sprache als Haupt- und
alles Andere als Nebensache hinzustellen. Von Geschichte, Mythologie und
Alterthümern soll nur hier und da bei zufälligen Anlässen Einiges sparsam und
mit kurzer Abfertigung eingestreut werden, und damit der Schüler ja nicht Lust
bekomme, in diese Wissenschaften tiefer einzudringen, werden auch diese Bro¬
samen möglichst unschädlich gemacht, er muß sich, mit Auswendiglernen der er¬
zählten Fabeln, Geschichtchen, Orakel. Beispiele von Kriegslist und berühmten
Thaten abplagen, blos um damit zu prunken, ohne dafür irgend ein lebendiges
Interesse zu fassen. Der Jesuit achtet die Gymnasien überhaupt nur zur "Gym¬
nastik des Geistes", d. h. dessen mechanischer Dressur geschaffen, die alles selb¬
ständige Denken und Forschen, jede naturwüchsige Entwicklung verhindern soll.
Dies nennt er dann "gründliche Geistesbildung", alles Uebrige gilt ihm für
"oberflächliche Viclwisserei, die gewöhnlich Eigendünkel und Anmaßung erzeugt
und auf Herz und Geist den verderblichsten Einfluß übt." Darum sind auch
alle Fachlehrer aus den unteren Schulen bei ihnen verbannt, der Geist des
Knaben muß in den engsten Grenzen gehalten werden, nur dann ist es dem
Lehrer möglich, ihn im heiligen Gehorsam zu erziehen und auf das eine Noth¬
wendige zu lenken, sonst wird "in den Ideen des Jünglings nicht die noth¬
wendige Einheit, sondern häusig Verwirrung erzeugt." Eben deshalb dürfen
auch die Realien nicht in den untern Gymna.sialclasscn vorgetragen werden.
"Bei der Eintheilung (soll wohl heißen Aufnahme) der vielen Gegenstände, welche
alle in möglichst kurzer Zeit gelernt werden sollen, treten besonders jene in
den Vordergrund, welche auf das materielle Leben und Wohlsein Bezug haben.
Dabei wird oft der talentvollste Jüngling verleitet, ein oberflächliches Viel-
wisser schon für den Zweck und die Summe der Bildung zu halten und das
ernste formelle Denken (wozu die Jesuiten ganz vorzüglich anleiten), zu ver¬
nachlässigen. In diesem Streben der Zeit nach einem voreiligen, mannigfachen,
hauptsächlich materiellen Wissen und Genießen (?) liegt die große Gefahr unse¬
rer heutigen Bildung; es ist dies eine Krankheit, die Heilung bedarf." ?. Beckx
verweist daher die Algebra, Geometrie und Naturgeschichte, letztere namentlich
auch deshalb, weil "sie die Jugend nur zerstreut und mit Ideen bekanntmacht,
die selbst für die Sittlichkeit sehr leicht verderblich werden können", in die zwei
letzten Classen des Obergymnasiums. Wenn die Jünger Loyolas, wie der Prä-
fect Piscalar in Feldkirch*) gleichwohl glauben machen möchten, die Schüler



") Zur Frage über das Jcsuitcngymnasium in Feldkirch. Innsbruck, Wagner. 18K3.

Anschauung der Alten überhaupt aufzufassen/sondern nur nebenher gelesen
werden, um sich gewisse Formen der Rhetorik oder g,rs xoetiea einzu¬
prägen. Auf ähnliche Weise wird das Griechische betrieben, nur daß dabei
noch mehr Götzendienst mit den Aftergriechcn, den Kirchenvätern, Synesius
und Andern getrieben wird, um den Jünglingen ja die Sprache als Haupt- und
alles Andere als Nebensache hinzustellen. Von Geschichte, Mythologie und
Alterthümern soll nur hier und da bei zufälligen Anlässen Einiges sparsam und
mit kurzer Abfertigung eingestreut werden, und damit der Schüler ja nicht Lust
bekomme, in diese Wissenschaften tiefer einzudringen, werden auch diese Bro¬
samen möglichst unschädlich gemacht, er muß sich, mit Auswendiglernen der er¬
zählten Fabeln, Geschichtchen, Orakel. Beispiele von Kriegslist und berühmten
Thaten abplagen, blos um damit zu prunken, ohne dafür irgend ein lebendiges
Interesse zu fassen. Der Jesuit achtet die Gymnasien überhaupt nur zur „Gym¬
nastik des Geistes", d. h. dessen mechanischer Dressur geschaffen, die alles selb¬
ständige Denken und Forschen, jede naturwüchsige Entwicklung verhindern soll.
Dies nennt er dann „gründliche Geistesbildung", alles Uebrige gilt ihm für
„oberflächliche Viclwisserei, die gewöhnlich Eigendünkel und Anmaßung erzeugt
und auf Herz und Geist den verderblichsten Einfluß übt." Darum sind auch
alle Fachlehrer aus den unteren Schulen bei ihnen verbannt, der Geist des
Knaben muß in den engsten Grenzen gehalten werden, nur dann ist es dem
Lehrer möglich, ihn im heiligen Gehorsam zu erziehen und auf das eine Noth¬
wendige zu lenken, sonst wird „in den Ideen des Jünglings nicht die noth¬
wendige Einheit, sondern häusig Verwirrung erzeugt." Eben deshalb dürfen
auch die Realien nicht in den untern Gymna.sialclasscn vorgetragen werden.
„Bei der Eintheilung (soll wohl heißen Aufnahme) der vielen Gegenstände, welche
alle in möglichst kurzer Zeit gelernt werden sollen, treten besonders jene in
den Vordergrund, welche auf das materielle Leben und Wohlsein Bezug haben.
Dabei wird oft der talentvollste Jüngling verleitet, ein oberflächliches Viel-
wisser schon für den Zweck und die Summe der Bildung zu halten und das
ernste formelle Denken (wozu die Jesuiten ganz vorzüglich anleiten), zu ver¬
nachlässigen. In diesem Streben der Zeit nach einem voreiligen, mannigfachen,
hauptsächlich materiellen Wissen und Genießen (?) liegt die große Gefahr unse¬
rer heutigen Bildung; es ist dies eine Krankheit, die Heilung bedarf." ?. Beckx
verweist daher die Algebra, Geometrie und Naturgeschichte, letztere namentlich
auch deshalb, weil „sie die Jugend nur zerstreut und mit Ideen bekanntmacht,
die selbst für die Sittlichkeit sehr leicht verderblich werden können", in die zwei
letzten Classen des Obergymnasiums. Wenn die Jünger Loyolas, wie der Prä-
fect Piscalar in Feldkirch*) gleichwohl glauben machen möchten, die Schüler



") Zur Frage über das Jcsuitcngymnasium in Feldkirch. Innsbruck, Wagner. 18K3.
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[0474] Anschauung der Alten überhaupt aufzufassen/sondern nur nebenher gelesen werden, um sich gewisse Formen der Rhetorik oder g,rs xoetiea einzu¬ prägen. Auf ähnliche Weise wird das Griechische betrieben, nur daß dabei noch mehr Götzendienst mit den Aftergriechcn, den Kirchenvätern, Synesius und Andern getrieben wird, um den Jünglingen ja die Sprache als Haupt- und alles Andere als Nebensache hinzustellen. Von Geschichte, Mythologie und Alterthümern soll nur hier und da bei zufälligen Anlässen Einiges sparsam und mit kurzer Abfertigung eingestreut werden, und damit der Schüler ja nicht Lust bekomme, in diese Wissenschaften tiefer einzudringen, werden auch diese Bro¬ samen möglichst unschädlich gemacht, er muß sich, mit Auswendiglernen der er¬ zählten Fabeln, Geschichtchen, Orakel. Beispiele von Kriegslist und berühmten Thaten abplagen, blos um damit zu prunken, ohne dafür irgend ein lebendiges Interesse zu fassen. Der Jesuit achtet die Gymnasien überhaupt nur zur „Gym¬ nastik des Geistes", d. h. dessen mechanischer Dressur geschaffen, die alles selb¬ ständige Denken und Forschen, jede naturwüchsige Entwicklung verhindern soll. Dies nennt er dann „gründliche Geistesbildung", alles Uebrige gilt ihm für „oberflächliche Viclwisserei, die gewöhnlich Eigendünkel und Anmaßung erzeugt und auf Herz und Geist den verderblichsten Einfluß übt." Darum sind auch alle Fachlehrer aus den unteren Schulen bei ihnen verbannt, der Geist des Knaben muß in den engsten Grenzen gehalten werden, nur dann ist es dem Lehrer möglich, ihn im heiligen Gehorsam zu erziehen und auf das eine Noth¬ wendige zu lenken, sonst wird „in den Ideen des Jünglings nicht die noth¬ wendige Einheit, sondern häusig Verwirrung erzeugt." Eben deshalb dürfen auch die Realien nicht in den untern Gymna.sialclasscn vorgetragen werden. „Bei der Eintheilung (soll wohl heißen Aufnahme) der vielen Gegenstände, welche alle in möglichst kurzer Zeit gelernt werden sollen, treten besonders jene in den Vordergrund, welche auf das materielle Leben und Wohlsein Bezug haben. Dabei wird oft der talentvollste Jüngling verleitet, ein oberflächliches Viel- wisser schon für den Zweck und die Summe der Bildung zu halten und das ernste formelle Denken (wozu die Jesuiten ganz vorzüglich anleiten), zu ver¬ nachlässigen. In diesem Streben der Zeit nach einem voreiligen, mannigfachen, hauptsächlich materiellen Wissen und Genießen (?) liegt die große Gefahr unse¬ rer heutigen Bildung; es ist dies eine Krankheit, die Heilung bedarf." ?. Beckx verweist daher die Algebra, Geometrie und Naturgeschichte, letztere namentlich auch deshalb, weil „sie die Jugend nur zerstreut und mit Ideen bekanntmacht, die selbst für die Sittlichkeit sehr leicht verderblich werden können", in die zwei letzten Classen des Obergymnasiums. Wenn die Jünger Loyolas, wie der Prä- fect Piscalar in Feldkirch*) gleichwohl glauben machen möchten, die Schüler ") Zur Frage über das Jcsuitcngymnasium in Feldkirch. Innsbruck, Wagner. 18K3.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/474>, abgerufen am 28.07.2024.