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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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und so entstand eine Unsicherheit des politischen, religiösen und gesellschaftlichen
Lebens, die, durch die Einwirkung des jetzt vielfach faul gewordenen Griechen-
thums verstärkt, zuletzt beinahe einer sittlichen Auflösung gleichkam.

Die Hasmonäer gingen in diesen Kämpfen unter. Herodes. der Sohn
Antipatcrs, bestieg den Thron. Herodes war nicht Priester, er gehörte nicht
einmal dem auserwählten Volke an. Aber gleich allen Emporkömmlingen suchte
er den alten Adel,an sich zu ketten. Seine Verbindung mit Marianne hielt
am Hofe selbst eine hasmonäische Partei aufrecht, die jetzt als Opposition volks¬
tümlich wurde, da ihr Name mit ruhmvollen Erinnerungen verknüpft war.
Daher stete Palastintriguen und vielfältige Brutalitäten. Herodes suchte des¬
halb nach einer andern Verbindung mit dem Priesteradel, der ihn legitim machen,
ihm aber zugleich treu anhangen sollte. Er ersah dazu die Familie des Boö-
thus, die zwar zu den priesterlichen, aber nicht zu den hohenprieflerlichcn Ge¬
schlechtern gehörte, heirathete die Tochter des Simon Ben Boöthus und er¬
nannte diesen zum Hohenpriester. So war ein neuer hoher Adel geschaffen,
der mit dem alten verschmolz, welcher aber seine Erhöhung dem König ver¬
dankte und so an dessen Haus geknüpft war. Das sind die Boethusen, die
Herodianer des Marcusevangeliums, ein Geschlecht anmaßender Emporkömm¬
linge, welches sich in der Doctrin enge an die Sadduccier anschloß.

Blicken wir zurück, so ist das Pharisäerthum trotz seiner bei den Syn¬
optikern von Jesus mit Recht schwer getadelten Auswüchse keineswegs eine des
Schimpfes würdige Erscheinung. Sein Fehler war lediglich seine Halbheit, mit
der es zweien Herren dienen zu können meinte, und mit der es neuen Wein in.
alte Schläuche füllte. Es ist, wenn wir von jenen Auswüchsen absehen, in ge¬
wisser Beschränkung der befangne Anfang dessen, was die Lehre Christi unbe¬
fangen, entschieden und radical erstrebte: der Versuch, alles Volk zur Gleich¬
heit vor Gott zu erheben, ein Versuch, der später von Paulus, auch einem
Pharisäer^ auf alle Menschen ausgedehnt wurde. Wo wir im politischen
Leben den Kampf eines aufstrebenden Bürgerthums gegen einen selbstsüchtigen
Adel wahrnehmen, da wiederholt sich etwas von dem alten Streit der Pharisäer
mit den Sadducäern. Wo das geläuterte Volksbewußtsein gegen die Selbst¬
überhebung der Priesterschaft in die Schranken tritt, wenn es dieser höhere
Heiligkeit nicht zugestehen, sondern nur die persönliche Würdigkeit gelten lassen
will, da sehen wir etwas von der Empfindung sich regen, welche der Entstehung
des Pharisäismus zu Grunde lag. Insofern als die Reformation das allge¬
meine Priesterthum betonte, ist sie das Spiegelbild des Pharisäismus, wie der
Katholicismus in diesem Betracht sich in gewissem Maß dem Sadducciismus ver¬
gleichen läßt. Auch der Protestantismus leidet an Halbheiten -- wenn auch nicht an
denen, welche den Pharisäismus nicht zum Ziel durchdringen ließen-- auch den Pro¬
testantismus muß größere Konsequenz erst noch zu seiner vollen Wahrheit erheben.




und so entstand eine Unsicherheit des politischen, religiösen und gesellschaftlichen
Lebens, die, durch die Einwirkung des jetzt vielfach faul gewordenen Griechen-
thums verstärkt, zuletzt beinahe einer sittlichen Auflösung gleichkam.

Die Hasmonäer gingen in diesen Kämpfen unter. Herodes. der Sohn
Antipatcrs, bestieg den Thron. Herodes war nicht Priester, er gehörte nicht
einmal dem auserwählten Volke an. Aber gleich allen Emporkömmlingen suchte
er den alten Adel,an sich zu ketten. Seine Verbindung mit Marianne hielt
am Hofe selbst eine hasmonäische Partei aufrecht, die jetzt als Opposition volks¬
tümlich wurde, da ihr Name mit ruhmvollen Erinnerungen verknüpft war.
Daher stete Palastintriguen und vielfältige Brutalitäten. Herodes suchte des¬
halb nach einer andern Verbindung mit dem Priesteradel, der ihn legitim machen,
ihm aber zugleich treu anhangen sollte. Er ersah dazu die Familie des Boö-
thus, die zwar zu den priesterlichen, aber nicht zu den hohenprieflerlichcn Ge¬
schlechtern gehörte, heirathete die Tochter des Simon Ben Boöthus und er¬
nannte diesen zum Hohenpriester. So war ein neuer hoher Adel geschaffen,
der mit dem alten verschmolz, welcher aber seine Erhöhung dem König ver¬
dankte und so an dessen Haus geknüpft war. Das sind die Boethusen, die
Herodianer des Marcusevangeliums, ein Geschlecht anmaßender Emporkömm¬
linge, welches sich in der Doctrin enge an die Sadduccier anschloß.

Blicken wir zurück, so ist das Pharisäerthum trotz seiner bei den Syn¬
optikern von Jesus mit Recht schwer getadelten Auswüchse keineswegs eine des
Schimpfes würdige Erscheinung. Sein Fehler war lediglich seine Halbheit, mit
der es zweien Herren dienen zu können meinte, und mit der es neuen Wein in.
alte Schläuche füllte. Es ist, wenn wir von jenen Auswüchsen absehen, in ge¬
wisser Beschränkung der befangne Anfang dessen, was die Lehre Christi unbe¬
fangen, entschieden und radical erstrebte: der Versuch, alles Volk zur Gleich¬
heit vor Gott zu erheben, ein Versuch, der später von Paulus, auch einem
Pharisäer^ auf alle Menschen ausgedehnt wurde. Wo wir im politischen
Leben den Kampf eines aufstrebenden Bürgerthums gegen einen selbstsüchtigen
Adel wahrnehmen, da wiederholt sich etwas von dem alten Streit der Pharisäer
mit den Sadducäern. Wo das geläuterte Volksbewußtsein gegen die Selbst¬
überhebung der Priesterschaft in die Schranken tritt, wenn es dieser höhere
Heiligkeit nicht zugestehen, sondern nur die persönliche Würdigkeit gelten lassen
will, da sehen wir etwas von der Empfindung sich regen, welche der Entstehung
des Pharisäismus zu Grunde lag. Insofern als die Reformation das allge¬
meine Priesterthum betonte, ist sie das Spiegelbild des Pharisäismus, wie der
Katholicismus in diesem Betracht sich in gewissem Maß dem Sadducciismus ver¬
gleichen läßt. Auch der Protestantismus leidet an Halbheiten — wenn auch nicht an
denen, welche den Pharisäismus nicht zum Ziel durchdringen ließen— auch den Pro¬
testantismus muß größere Konsequenz erst noch zu seiner vollen Wahrheit erheben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/420>, abgerufen am 01.09.2024.