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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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vorzugung des priesterlichen Standes möglichst zu beschränken, indem sie jeden
für gleich würdig mit den Priestern erklärten, der die volle gesetzliche Heiligung
anstrebe. Sie forderten daher für das ganze Israel dieses Streben. Der ge¬
meine Mann geriet!) durch diesen Anspruch an seine Haltung in starke Conflicte
mit dem Leben, und so mußten die Pharisäer auf eine Ausgleichung bedacht
sein. Sie suchten in Folge dessen das Gesetz durch Commentare und neue Satzun¬
gen mit den Anforderungen des Lebens zu vermitteln, die aus jenem hervor¬
gehenden Lasten zu erleichtern, die aus diesem entspringenden Bedürfnisse als
auch unter Beobachtung aller religiösen Vorschriften zu befriedigende darzustellen.
Die Absicht, die sie verfolgten, war gut, ihr Weg der rechte. Indeß blieben
sie auf der Hälfte desselben stehen. Sie wagten das religiös bevorzugte Prie-
sterthum nicht an seiner Wurzel anzugreifen, und so mußten sie die ganze
Aeußerlichkeit, welche mit solchem religiösen Adel verknüpft ist, dulden und das
gesammte Volk, wenn es diesem gleichstehen sollte, mit jener äußerlichen Priester-
Heiligung belasten.' Sie nahmen Anstand, offen herauszusagen, daß die Entwicke¬
lung der Zeit zu gründlicher Umgestaltung der überlieferten Gesetze und Riten be¬
rechtige, und so geriethen sie auf ein Sich-Abfinden-Wollen mit dem Wortlaut der
Tradition und dadurch auf künstliche Deutelei, auf Schiefheiten. Willkür und jene
peinliche Engherzigkeit, welche "Mücken seihete und Dill und Kümmel vcrzinsete."

Bei der Neubegründung des Staates und Tempels war der Adel der
Mittelpunkt, auf den sich die Augen der Nation richteten, um den sich alle
Vaterlands- und Gesetzesfreunde schaarten. Allmcilig aber erhob sich neben die¬
sem ein Bürgerthum, welches durch Wohlstand und Bildung Anspruch auf
Selbständigkeit und Mitbetheiligung an den Rechten des Patriciats erlangte.
Das letztere fühlte sich in seiner bisher natürlichen Stellung als alleiniger Ver¬
treter des Volkes bedroht, und statt sie sich durch würdige Haltung, und nütz¬
liche Wirksamkeit weiterhin zu sichern, suchte es sich gewaltsam darin zu be¬
festigen, verließ es sich lediglich auf seine Macht. Die Folge war wachsende
Unzufriedenheit im Volke, stärkere Betonung der Gleichberechtigung desselben,
namentlich des intelligenten Bürgerstandes. Als der Druck der Syrer Staat
und Religion gefährdete und der Adel dagegen nur zu diplomatisiren wußte,
brach der Ingrimm des Volkes aus. Eine schlichte Priesterfamilie erhob die
Fahne des Aufstandes, brach die Macht des Auslandes, stürzte die im Innern
herrschenden Familien und schwang sich selbst empor. Allein bald umgab der
Adel wieder die neue Sonne der Hasmonäer. Waren die Zadokiten früher die
Herrschenden gewesen, so.waren sie jetzt als Sadducäer die Hoftheologen, Kron¬
juristen und Gewissensräthe der Herrschenden und so die Mithcrrschenden. Sie
fielen wieder und kamen dann aufs Neue empor. Mit jedem solchen Wechsel
war eine vollständige Umwälzung nicht nur in den obersten Grundsätzen der
Regierung, sondern auch der Sitten und Bräuche des Volkslebens verbunden,


Grenzboten III. 1863. 82

vorzugung des priesterlichen Standes möglichst zu beschränken, indem sie jeden
für gleich würdig mit den Priestern erklärten, der die volle gesetzliche Heiligung
anstrebe. Sie forderten daher für das ganze Israel dieses Streben. Der ge¬
meine Mann geriet!) durch diesen Anspruch an seine Haltung in starke Conflicte
mit dem Leben, und so mußten die Pharisäer auf eine Ausgleichung bedacht
sein. Sie suchten in Folge dessen das Gesetz durch Commentare und neue Satzun¬
gen mit den Anforderungen des Lebens zu vermitteln, die aus jenem hervor¬
gehenden Lasten zu erleichtern, die aus diesem entspringenden Bedürfnisse als
auch unter Beobachtung aller religiösen Vorschriften zu befriedigende darzustellen.
Die Absicht, die sie verfolgten, war gut, ihr Weg der rechte. Indeß blieben
sie auf der Hälfte desselben stehen. Sie wagten das religiös bevorzugte Prie-
sterthum nicht an seiner Wurzel anzugreifen, und so mußten sie die ganze
Aeußerlichkeit, welche mit solchem religiösen Adel verknüpft ist, dulden und das
gesammte Volk, wenn es diesem gleichstehen sollte, mit jener äußerlichen Priester-
Heiligung belasten.' Sie nahmen Anstand, offen herauszusagen, daß die Entwicke¬
lung der Zeit zu gründlicher Umgestaltung der überlieferten Gesetze und Riten be¬
rechtige, und so geriethen sie auf ein Sich-Abfinden-Wollen mit dem Wortlaut der
Tradition und dadurch auf künstliche Deutelei, auf Schiefheiten. Willkür und jene
peinliche Engherzigkeit, welche „Mücken seihete und Dill und Kümmel vcrzinsete."

Bei der Neubegründung des Staates und Tempels war der Adel der
Mittelpunkt, auf den sich die Augen der Nation richteten, um den sich alle
Vaterlands- und Gesetzesfreunde schaarten. Allmcilig aber erhob sich neben die¬
sem ein Bürgerthum, welches durch Wohlstand und Bildung Anspruch auf
Selbständigkeit und Mitbetheiligung an den Rechten des Patriciats erlangte.
Das letztere fühlte sich in seiner bisher natürlichen Stellung als alleiniger Ver¬
treter des Volkes bedroht, und statt sie sich durch würdige Haltung, und nütz¬
liche Wirksamkeit weiterhin zu sichern, suchte es sich gewaltsam darin zu be¬
festigen, verließ es sich lediglich auf seine Macht. Die Folge war wachsende
Unzufriedenheit im Volke, stärkere Betonung der Gleichberechtigung desselben,
namentlich des intelligenten Bürgerstandes. Als der Druck der Syrer Staat
und Religion gefährdete und der Adel dagegen nur zu diplomatisiren wußte,
brach der Ingrimm des Volkes aus. Eine schlichte Priesterfamilie erhob die
Fahne des Aufstandes, brach die Macht des Auslandes, stürzte die im Innern
herrschenden Familien und schwang sich selbst empor. Allein bald umgab der
Adel wieder die neue Sonne der Hasmonäer. Waren die Zadokiten früher die
Herrschenden gewesen, so.waren sie jetzt als Sadducäer die Hoftheologen, Kron¬
juristen und Gewissensräthe der Herrschenden und so die Mithcrrschenden. Sie
fielen wieder und kamen dann aufs Neue empor. Mit jedem solchen Wechsel
war eine vollständige Umwälzung nicht nur in den obersten Grundsätzen der
Regierung, sondern auch der Sitten und Bräuche des Volkslebens verbunden,


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[0419] vorzugung des priesterlichen Standes möglichst zu beschränken, indem sie jeden für gleich würdig mit den Priestern erklärten, der die volle gesetzliche Heiligung anstrebe. Sie forderten daher für das ganze Israel dieses Streben. Der ge¬ meine Mann geriet!) durch diesen Anspruch an seine Haltung in starke Conflicte mit dem Leben, und so mußten die Pharisäer auf eine Ausgleichung bedacht sein. Sie suchten in Folge dessen das Gesetz durch Commentare und neue Satzun¬ gen mit den Anforderungen des Lebens zu vermitteln, die aus jenem hervor¬ gehenden Lasten zu erleichtern, die aus diesem entspringenden Bedürfnisse als auch unter Beobachtung aller religiösen Vorschriften zu befriedigende darzustellen. Die Absicht, die sie verfolgten, war gut, ihr Weg der rechte. Indeß blieben sie auf der Hälfte desselben stehen. Sie wagten das religiös bevorzugte Prie- sterthum nicht an seiner Wurzel anzugreifen, und so mußten sie die ganze Aeußerlichkeit, welche mit solchem religiösen Adel verknüpft ist, dulden und das gesammte Volk, wenn es diesem gleichstehen sollte, mit jener äußerlichen Priester- Heiligung belasten.' Sie nahmen Anstand, offen herauszusagen, daß die Entwicke¬ lung der Zeit zu gründlicher Umgestaltung der überlieferten Gesetze und Riten be¬ rechtige, und so geriethen sie auf ein Sich-Abfinden-Wollen mit dem Wortlaut der Tradition und dadurch auf künstliche Deutelei, auf Schiefheiten. Willkür und jene peinliche Engherzigkeit, welche „Mücken seihete und Dill und Kümmel vcrzinsete." Bei der Neubegründung des Staates und Tempels war der Adel der Mittelpunkt, auf den sich die Augen der Nation richteten, um den sich alle Vaterlands- und Gesetzesfreunde schaarten. Allmcilig aber erhob sich neben die¬ sem ein Bürgerthum, welches durch Wohlstand und Bildung Anspruch auf Selbständigkeit und Mitbetheiligung an den Rechten des Patriciats erlangte. Das letztere fühlte sich in seiner bisher natürlichen Stellung als alleiniger Ver¬ treter des Volkes bedroht, und statt sie sich durch würdige Haltung, und nütz¬ liche Wirksamkeit weiterhin zu sichern, suchte es sich gewaltsam darin zu be¬ festigen, verließ es sich lediglich auf seine Macht. Die Folge war wachsende Unzufriedenheit im Volke, stärkere Betonung der Gleichberechtigung desselben, namentlich des intelligenten Bürgerstandes. Als der Druck der Syrer Staat und Religion gefährdete und der Adel dagegen nur zu diplomatisiren wußte, brach der Ingrimm des Volkes aus. Eine schlichte Priesterfamilie erhob die Fahne des Aufstandes, brach die Macht des Auslandes, stürzte die im Innern herrschenden Familien und schwang sich selbst empor. Allein bald umgab der Adel wieder die neue Sonne der Hasmonäer. Waren die Zadokiten früher die Herrschenden gewesen, so.waren sie jetzt als Sadducäer die Hoftheologen, Kron¬ juristen und Gewissensräthe der Herrschenden und so die Mithcrrschenden. Sie fielen wieder und kamen dann aufs Neue empor. Mit jedem solchen Wechsel war eine vollständige Umwälzung nicht nur in den obersten Grundsätzen der Regierung, sondern auch der Sitten und Bräuche des Volkslebens verbunden, Grenzboten III. 1863. 82

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/419>, abgerufen am 28.07.2024.