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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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in uns aufzunehmen und in unsere dunkeln Wälder zurückzutragen, um unsere
armen Landsleute nach unserer Rückkehr einer allmäligen Civilisation durch
Theewasser und durchsichtige Butterbemmen entgegenzuführen. Der Berliner
ist von Hause aus menschenfreundlich: unsere Fortschritte wurden mit Wohl¬
wollen verfolgt, und als wir soweit gekommen, daß wir nicht nur hegelsche
Collegien, sondern auch grünen Salat mit Zucker, die beiden berliner National¬
gerichte, genießbar fanden, da gab man uns ausgelernt, und wir durf¬
ten in unsere wilde Heimath als die Bonifacius nordischer Cultur zurück¬
kehren.

Und wie freute' sich der Berliner, als durch die thüringische und dann
durch die Werrabahn das Land der barbarischen Thüringer aufgeschlossen war,
über die rasch aufgegangene Saat der Civilisation. In wenig Lustren hatte
die Cultur, welche er uns einst mitgegeben, das wilde Land in einen Zustand
versetzt, der an einigen Orten wenig hinter der königlich preußischen Aufklärung
zurücksteht. Bildung, der Bewohner, Landstraßen, Gasthöfe -- Alles ist wie
in einem civilisirten Lande. Die Berge freilich haben wir noch nicht ganz auf
das Niveau des Kreuzbergs zu reduciren vermocht, und auch die Wälder sind
noch etwas urwüchsiger als die Kiefernhame der Mark und der Thiergarten.
Aber das freut gerade den Berliner: Romantik darf schon sein, aber nur in
civilisirter Umgebung.

Und so sehen wir denn alljährlich ganze Caravanen von Berlinern sich in
unsere Berge werfen. Sie kommen mit der Bahn, dringen in unsere fried¬
lichen Thäler, essen unsere Forellen und begeistern sich an der Aussicht vom
Insclsberg. Auch andere norddeutsche kommen in Schaaren. kneipen Natur
und schnappen Luft. Obgleich diese Einwanderungen uns eingeborne Thüringer
infolge unserer angebornen und nur künstlich zurückgedrängten Wildheit hier
und da in unserer primitiven Gemüthlichkeit einigermaßen derangiren, obgleich
insbesondere unsere liebenswürdigen berliner Civilisateure uns oft dadurch ver¬
letzen, daß sie mit der ihnen eigenthümlichen Eloquenz immer von neuem M
der Aufklärung jedes einzelnen ihnen begegnenden thüringer Individuums arbei¬
ten, während wir uns, vielleicht thörichter Weise, nunmehr für hinlänglich
civilisirt halten: so sind wir doch gastfreundlich genug, allen unsern nordischen
Besuchern die Honneurs unserer Berge und Thäler so gut zu machen, als wir
es eben verstehen. Ja es ist z. B. der einzige Zweck dieser Zeilen, auf den
ich endlich mit wenig Worten komme, sie auf ein Buch aufmerksam zu machen,
welches geeignet ist ihnen diese Besuche genußreich zu machen. Das Buch
heißt: Wegweiser und Führer durch den thüringer Wald und seine näheren
Umgebungen. Ein Reisehandbuch von M. Unding und Radefeld. Hildburg¬
hausen, Bibliogr. Institut 1863 und ist vollständig in deV Weise der bädecker-
schen Handbücher mit voller Sachkenntniß, lichtvoll und instructiv gearbeitet.


in uns aufzunehmen und in unsere dunkeln Wälder zurückzutragen, um unsere
armen Landsleute nach unserer Rückkehr einer allmäligen Civilisation durch
Theewasser und durchsichtige Butterbemmen entgegenzuführen. Der Berliner
ist von Hause aus menschenfreundlich: unsere Fortschritte wurden mit Wohl¬
wollen verfolgt, und als wir soweit gekommen, daß wir nicht nur hegelsche
Collegien, sondern auch grünen Salat mit Zucker, die beiden berliner National¬
gerichte, genießbar fanden, da gab man uns ausgelernt, und wir durf¬
ten in unsere wilde Heimath als die Bonifacius nordischer Cultur zurück¬
kehren.

Und wie freute' sich der Berliner, als durch die thüringische und dann
durch die Werrabahn das Land der barbarischen Thüringer aufgeschlossen war,
über die rasch aufgegangene Saat der Civilisation. In wenig Lustren hatte
die Cultur, welche er uns einst mitgegeben, das wilde Land in einen Zustand
versetzt, der an einigen Orten wenig hinter der königlich preußischen Aufklärung
zurücksteht. Bildung, der Bewohner, Landstraßen, Gasthöfe — Alles ist wie
in einem civilisirten Lande. Die Berge freilich haben wir noch nicht ganz auf
das Niveau des Kreuzbergs zu reduciren vermocht, und auch die Wälder sind
noch etwas urwüchsiger als die Kiefernhame der Mark und der Thiergarten.
Aber das freut gerade den Berliner: Romantik darf schon sein, aber nur in
civilisirter Umgebung.

Und so sehen wir denn alljährlich ganze Caravanen von Berlinern sich in
unsere Berge werfen. Sie kommen mit der Bahn, dringen in unsere fried¬
lichen Thäler, essen unsere Forellen und begeistern sich an der Aussicht vom
Insclsberg. Auch andere norddeutsche kommen in Schaaren. kneipen Natur
und schnappen Luft. Obgleich diese Einwanderungen uns eingeborne Thüringer
infolge unserer angebornen und nur künstlich zurückgedrängten Wildheit hier
und da in unserer primitiven Gemüthlichkeit einigermaßen derangiren, obgleich
insbesondere unsere liebenswürdigen berliner Civilisateure uns oft dadurch ver¬
letzen, daß sie mit der ihnen eigenthümlichen Eloquenz immer von neuem M
der Aufklärung jedes einzelnen ihnen begegnenden thüringer Individuums arbei¬
ten, während wir uns, vielleicht thörichter Weise, nunmehr für hinlänglich
civilisirt halten: so sind wir doch gastfreundlich genug, allen unsern nordischen
Besuchern die Honneurs unserer Berge und Thäler so gut zu machen, als wir
es eben verstehen. Ja es ist z. B. der einzige Zweck dieser Zeilen, auf den
ich endlich mit wenig Worten komme, sie auf ein Buch aufmerksam zu machen,
welches geeignet ist ihnen diese Besuche genußreich zu machen. Das Buch
heißt: Wegweiser und Führer durch den thüringer Wald und seine näheren
Umgebungen. Ein Reisehandbuch von M. Unding und Radefeld. Hildburg¬
hausen, Bibliogr. Institut 1863 und ist vollständig in deV Weise der bädecker-
schen Handbücher mit voller Sachkenntniß, lichtvoll und instructiv gearbeitet.


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[0042] in uns aufzunehmen und in unsere dunkeln Wälder zurückzutragen, um unsere armen Landsleute nach unserer Rückkehr einer allmäligen Civilisation durch Theewasser und durchsichtige Butterbemmen entgegenzuführen. Der Berliner ist von Hause aus menschenfreundlich: unsere Fortschritte wurden mit Wohl¬ wollen verfolgt, und als wir soweit gekommen, daß wir nicht nur hegelsche Collegien, sondern auch grünen Salat mit Zucker, die beiden berliner National¬ gerichte, genießbar fanden, da gab man uns ausgelernt, und wir durf¬ ten in unsere wilde Heimath als die Bonifacius nordischer Cultur zurück¬ kehren. Und wie freute' sich der Berliner, als durch die thüringische und dann durch die Werrabahn das Land der barbarischen Thüringer aufgeschlossen war, über die rasch aufgegangene Saat der Civilisation. In wenig Lustren hatte die Cultur, welche er uns einst mitgegeben, das wilde Land in einen Zustand versetzt, der an einigen Orten wenig hinter der königlich preußischen Aufklärung zurücksteht. Bildung, der Bewohner, Landstraßen, Gasthöfe — Alles ist wie in einem civilisirten Lande. Die Berge freilich haben wir noch nicht ganz auf das Niveau des Kreuzbergs zu reduciren vermocht, und auch die Wälder sind noch etwas urwüchsiger als die Kiefernhame der Mark und der Thiergarten. Aber das freut gerade den Berliner: Romantik darf schon sein, aber nur in civilisirter Umgebung. Und so sehen wir denn alljährlich ganze Caravanen von Berlinern sich in unsere Berge werfen. Sie kommen mit der Bahn, dringen in unsere fried¬ lichen Thäler, essen unsere Forellen und begeistern sich an der Aussicht vom Insclsberg. Auch andere norddeutsche kommen in Schaaren. kneipen Natur und schnappen Luft. Obgleich diese Einwanderungen uns eingeborne Thüringer infolge unserer angebornen und nur künstlich zurückgedrängten Wildheit hier und da in unserer primitiven Gemüthlichkeit einigermaßen derangiren, obgleich insbesondere unsere liebenswürdigen berliner Civilisateure uns oft dadurch ver¬ letzen, daß sie mit der ihnen eigenthümlichen Eloquenz immer von neuem M der Aufklärung jedes einzelnen ihnen begegnenden thüringer Individuums arbei¬ ten, während wir uns, vielleicht thörichter Weise, nunmehr für hinlänglich civilisirt halten: so sind wir doch gastfreundlich genug, allen unsern nordischen Besuchern die Honneurs unserer Berge und Thäler so gut zu machen, als wir es eben verstehen. Ja es ist z. B. der einzige Zweck dieser Zeilen, auf den ich endlich mit wenig Worten komme, sie auf ein Buch aufmerksam zu machen, welches geeignet ist ihnen diese Besuche genußreich zu machen. Das Buch heißt: Wegweiser und Führer durch den thüringer Wald und seine näheren Umgebungen. Ein Reisehandbuch von M. Unding und Radefeld. Hildburg¬ hausen, Bibliogr. Institut 1863 und ist vollständig in deV Weise der bädecker- schen Handbücher mit voller Sachkenntniß, lichtvoll und instructiv gearbeitet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/42>, abgerufen am 22.12.2024.